Ukraine-Krieg: Deutsche Unternehmen an russischen Bauprojekten ...

26 Tage vor

Russland hat die Hafenstadt Mariupol bei der Eroberung fast komplett zerstört. Ein plakativer Wiederaufbau soll das vertuschen – und deutsche Firmen helfen offenbar mit.

Mariupol - Figure 1
Foto ZEIT ONLINE

Aktualisiert am 5. April 2024, 13:12 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, ale

Baustelle in Mariupol im Februar 2024 © Dmitry Yagodkin/​Tass/​imago images

In der 2022 von Russland eroberten ukrainischen Hafenstadt Mariupol sind laut einer Recherche des ARD-Politikmagazins Monitor zwei deutsche Unternehmen an Bauarbeiten der Besatzer beteiligt. Der Gipshersteller Knauf und die Firma WKB Systems, die Beton für Bauprojekte liefert, versorgen demnach Baustellen in der Stadt mit Material.

So habe ein Vertragshändler von Knauf öffentlich damit geworben, im Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums ein Wohnhausprojekt mit Knauf-Baustoffen errichtet zu haben. Monitor sichtete dem Bericht zufolge Aufnahmen der entsprechenden Baustelle, auf der Säcke mit dem Knauf-Logo zu sehen seien. WKB Systems, deren Hauptgesellschafter der russische Geschäftsmann Viktor Budarin sei, liefert demnach ebenfalls Betonsteine nach Mariupol.

Unternehmen mit langjährigen Verbindungen nach Russland

Beide Firmen haben dem Bericht zufolge schon seit Langem Verbindungen nach Russland. WKB Systems habe laut Zolldaten ganze Anlagen für Fabriken zur Herstellung von Betonsteinen an ein Unternehmen Budarins geliefert, das auch in Mariupol aktiv sei. Nikolaus Knauf, der zu den reichsten Unternehmern Deutschlands gehört, war jahrzehntelang russischer Honorarkonsul.

In Russland hat Knauf etwa 4.000 Mitarbeiter. Auf eine Anfrage von Monitor reagierte das Unternehmen dem Bericht zufolge mit einer Zusicherung, "ausschließlich für den russischen Markt" zu produzieren. Wie genau es die Firma damit nimmt, ging aus der Antwort aber nicht hervor. Mariupol gehört zur ukrainischen Region Donezk, die Russland im Herbst 2022 annektierte und als Teil seines Staatsgebiets betrachtet. 

Knauf weist Vorwürfe direkter Beteiligung an Bauprojekten in Mariupol zurück

Auch früher hatte es Vorwürfe gegen Knauf gegeben, in die russischen Kriegsbemühungen verwickelt zu sein. Laut einer Spiegel-Recherche vom Oktober 2022 stellte Knauf von seinem Standort im russischen Krasnogorsk mehr als 80 Mitarbeiter für die damals in Russland laufende Teilmobilmachung ab. Ein Schreiben, in dem das Unternehmen von russischer Stelle dazu aufgefordert wurde, sei allerdings nur eine Bitte gewesen, der die Firma Folge geleistet hätte, ohne dazu verpflichtet zu sein.

In einer Stellungnahme teilte Knauf ZEIT ONLINE mit, dass das Unternehmen keine Baustoffe nach Russland exportiere. "Knauf liefert aus der EU weder nach Russland noch nach Mariupol", heißt es in der Erklärung. Zudem betonte das Unternehmen, weder als Investor noch als Bauherr an Bauarbeiten in Mariupol beteiligt zu sein. 

Es gebe zudem keine direkten Lieferverträge zu Kunden in Russland. "Unsere Produkte gelangen dort über viele verschiedene, von Knauf unabhängige Händler zu den Endkunden", schrieb Knauf. Man habe keinen Einfluss darauf, wie Endkunden die Produkte der Firma verwendeten. "Knauf verhält sich jederzeit gesetzes- und sanktionskonform. Wir weisen den Vorwurf, das nicht zu tun, aufs Schärfste zurück."

Mariupol bei russischen Angriffen fast völlig zerstört

Die Aktivitäten deutscher Firmen auf besetztem ukrainischem Gebiet sind dem Bericht zufolge auch in der Politik bekannt. So habe der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter das Engagement für Russland verurteilt. Es sei "bei Knauf sehr augenscheinlich, weil sie in den besetzten Gebieten auch in Mariupol tatsächlich russische Macht zementieren".

Mariupol war von Russlands Armee in den ersten Kriegsmonaten belagert und dabei stark mit Artillerie und Bomben angegriffen worden. Mehr als zwei Drittel der Stadt wurden dabei vollständig zerstört, insgesamt 90 Prozent der Gebäude beschädigt. Mit dem Angriff auf ein Theater in Mariupol, in dem Menschen Schutz vor dem Bombardement gesucht haben, ereignete sich in der Stadt auch der größte einzelne russische Angriff auf Zivilisten in dem gesamten Krieg. Mindestens 300 Menschen wurden dabei getötet. 

Bis heute ist nicht die genaue Zahl der Toten in Mariupol bekannt. Die Ukraine hatte Russland vorgeworfen, Trümmer abzutransportieren, ohne vorher Leichen zu bergen. Satellitenaufnahmen von Massengräbern, die 2022 bei Mariupol entstanden, legen nahe, dass dort mehr als 10.000 Menschen begraben worden sind. Die Ukraine geht von mehr als 25.000 getöteten Zivilisten in der Stadt aus – mehr als zweieinhalbmal so viel wie die bisher bestätigte Zahl der Toten insgesamt.

Propagandavorwürfe bei Wiederaufbau Mariupols

Russlands Regierung kündigte dabei früh an, Mariupol wiederaufbauen zu wollen. Im russischen Staatsfernsehen werden häufig Bilder aus der Stadt präsentiert, die neu errichtete Gebäude zeigen. Ob das den in der Stadt verbliebenen Einwohnern zugutekommt, ist aber fraglich. Auch in anderen besetzten Gebieten erhalten Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, oft nur gegen Vorlage eines russischen Passes einen Ersatz. Zudem wurden Tausende Einwohner Mariupols von den Besatzern nach der Eroberung der Stadt in Richtung Russland zwangsevakuiert, was die Regierung in Kiew als Deportation verurteilt.

Mariupols ukrainische Exilbehörden werfen den Besatzern vor, die Neubauten würden vor allem als Unterkünfte für aus Russland dort angesiedelte Menschen und Besatzungsbeamte dienen. Recherchen unabhängiger exilrussischer Medien zufolge haben zudem viele Restaurationsarbeiten nur demonstrativen Charakter: Gebäude würden nur oberflächlich restauriert, zum Bewohnen seien sie unsicher oder unzureichend mit Strom und Wasser versorgt.

Von mehr als 400.000 Menschen, die in Mariupol gewohnt hatten, leben dort mutmaßlich inzwischen weniger als die Hälfte, nach russischen Angaben noch etwa 280.000. Es ist allerdings unklar, wie viele derzeitige Einwohner Mariupols noch zur ursprünglichen Bevölkerung gehören und wie viele von Russland dorthin gebracht worden sind, etwa als Bauarbeiter. Zudem erfüllen nicht alle zivil erscheinenden Gebäude in der Stadt, die von den Besatzern wieder- oder neu aufgebaut werden, einen zivilen Zweck. Der Bahnhof Mariupols soll beispielsweise ein wichtiges Drehkreuz für die russische Militärlogistik in der Südostukraine werden.

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