„Göttinnen und Fußabstreifer“: Picasso und die Frauen

Picasso

Es war an einem Abend im Januar 1927, als die junge Frau in Paris auf dem Weg ins Kaufhaus Galeries Lafayette war, um sich einen Kragen zu kaufen. „Er schaute mich an. Er hatte eine superbe Krawatte, rot und schwarz“, erinnerte sie sich knapp fünfzig Jahre später an einen Herren, dem sie damals begegnet war. Er lächelte charmant, sprach sie an und sagte: „‚Mein Fräulein, Sie haben ein interessantes Gesicht. Ich würde Sie gerne porträtieren. [...] Ich habe das Gefühl, dass wir große Dinge zusammen machen werden.‘ [...] Und dann, na ja, sagte er zu mir: ‚Ich bin Picasso.‘“

So soll sie ausgesehen haben, die erste Begegnung zwischen der siebzehnjährigen Marie-Thérèse Walter, einer athletisch gebauten Blondine, und dem damals 45 Jahre alten Pablo Picasso. Mehrere Jahre waren sie danach ein Paar, 1935 brachte Marie-Thérèse die gemeinsame Tochter Maya zur Welt, das zweitälteste der vier Kinder, die Picasso einmal haben würde – von drei Frauen. Die Begegnung vor dem Pariser Nobelkaufhaus ist eine von vielen anekdotenhaften „Erstkontakt-Szenen“, die Marie-Thérèse mit manch anderer Frau in Picassos Leben verbindet und die, so die Autorin und Kunstkritikerin Rose-Maria Gropp, „den Eintritt in den Bannkreis des Künstlers“ jeweils „mit einer Aura“ versehen.

Rose-Maria Gropp hat ein Buch geschrieben nicht über Picasso und die Frauen, sondern über die Frauen und Picasso – ein feiner Unterschied, der deutlich macht, wer hier im Zentrum der Betrachtung steht. Der Band trägt das Zitat „Göttinnen und Fußabstreifer“ im Titel, das überliefert ist von Françoise Gilot, die zwischen 1943 und 1953 mit Picasso liiert war und in den Sechzigerjahren in ihren Erinnerungen (deren Veröffentlichung in Frankreich Picasso mit allen Mitteln zu verhindern suchte) schrieb: „Er behauptete mit Vorliebe: ‚Es gibt nur zwei Kategorien von Frauen – Göttinnen und Fußabstreifer.‘ Und immer, wenn er dachte, ich könne mich zu sehr als Göttin fühlen, tat er, was er konnte, um mich zum Fußabstreifer zu erniedrigen.“

Ein „Prinzip der Überschneidung“

Elf sehr unterschiedlichen Frauen, die zeitweise an Picassos Seite waren, widmet Rose-Maria Gropp je ein Kapitel. Mit wissenschaftlicher Akribie nimmt sie dabei insbesondere die teils wenig bekannten Lebensläufe der gemeinhin als Musen titulierten Frauen – ein Wort, das Gropp vermeidet – vor und nach ihrer Zeit mit dem selbsternannten Gottgleichen („Gott ist ja auch nichts anderes als ein Künstler – wie ich“) in den Blick. Zugleich widmet sie sich der Frage, was die Beziehung mit Picasso für jede von ihnen bedeutet hat.

Marie-Thérèse Walter erscheint bei Gropp als „Schattenfrau“, weil sich die ersten acht Jahre ihrer Liaison mit Picasso im Verborgenen abspielten. Der war da nämlich noch mit seiner ersten, ziemlich eifersüchtigen Gattin Olga Khokh­lova zusammen. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, Marie-Thérèse während Urlauben mit der Ehefrau heimlich ganz in der Nähe einzuquartieren, zwecks Stelldichein in einer Strandhütte. Das „Prinzip der Überschneidung“ praktizierte Picasso in Sachen Beziehungen sein Leben lang. Über Marie-Thérèse etwa lagerte sich, als sie Mutter wurde und für ihn an Attraktivität verlor, Dora Maar, Dora Maar wurde abgelöst von Françoise Gilot, der Mutter seiner 1947 und 1949 geborenen Kinder Claude und Paloma. Kaum eine seiner Beziehungen hat Picasso offiziell beendet. Aber er brauchte in der Kunst wie im Leben die stets neue, junge Frau, „die seine Potenz in jedem Sinne beglaubigte“.

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