Folterspuren: Moskauer Terrorverdächtige in U-Haft

26 Mär 2024

Folterspuren

Nach dem Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau mit über 130 Toten sind vier mutmaßliche Attentäter Sonntagnacht einem russischen Gericht vorgeführt worden. Die Männer, über die bis 22. Mai Untersuchungshaft verhängt wurde, wiesen sichtbare Folterspuren auf. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag, veröffentlichte Details der Tat und untergrub damit Moskaus Vorwürfe an Kiew.

Moskau-Attentäter - Figure 1
Foto ORF

Online seit gestern, 10.06 Uhr (Update: gestern, 16.59 Uhr)

Die Angeklagten wurden von vermummten Sicherheitskräften ins Basmanny-Gericht in der russischen Hauptstadt gebracht und mit deutlich sichtbaren Blutergüssen, Schwellungen, Schürf- und Platzwunden in Glaskäfigen platziert. Einer von ihnen war offensichtlich nicht mehr in der Lage zu gehen und saß mit geschlossenen Augen festgeschnallt auf einem Pflegesessel. Ein anderer hatte einen wenig fachmännisch wirkenden Verband am rechten Ohr.

Vor dem Gerichtstermin waren Videoaufnahmen im Netz verbreitet worden, die zeigen sollen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Ein weiterer Mann soll mit Elektroschocks gefoltert worden sein. Ob die Aufnahmen authentisch sind, lässt sich von außen nicht unabhängig prüfen.

Anhörung hinter verschlossenen Türen

Die Anhörung fand hinter verschlossenen Türen statt, wie die russische Staatsagentur TASS berichtete. Der Terrorverdächtige auf dem Pflegesessel, der den Anschlag gefilmt haben soll, habe „Schwierigkeiten zu sprechen“ gehabt, berichtete die Agentur. Das Ermittlungskomitee wirft ihm und seinen drei mutmaßlichen Komplizen einen gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlag vor.

Nach der Tat in der Crocus City Hall, bei der laut offiziellen Angaben mindestens 137 Menschen getötet und 182 verletzt wurden, gab es insgesamt elf Festnahmen. Vier der Verdächtigen gelten als die eigentlichen Todesschützen – es sind diejenigen, die nun dem Haftrichter vorgeführt wurden. Die Haftbefehle wurden laut TASS Sonntagabend erlassen. Die vier Männer waren am Wochenende in der russischen Region Brjansk festgenommen und nach Moskau gebracht worden.

Einer der Tatverdächtigen vor Gericht in Moskau

Drei der vier Männer, die einem Gericht in Moskau vorgeführt worden waren, bekannten sich laut dem Gericht in allen Anklagepunkten schuldig. Laut russischen Medien soll es sich bei den Verdächtigen um Staatsbürger der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan handeln, die in Russland gelebt hätten.

Moskau-Attentäter - Figure 2
Foto ORF

Menschenrechtsorganisationen verurteilten die mutmaßliche Folter der Tatverdächtigen durch Sicherheitskräfte. „Die Antwort auf Barbarei darf nicht Barbarei sein“, teilte die russische Vereinigung Komanda protiw pytok (dt.: Team gegen Folter) mit. Gewalt und Schikane wirkten sich zudem negativ auf die Ermittlungen aus.

Islamischer Staat reklamierte Tat für sich

Zu dem Anschlag bekannte sich der IS. Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte als angeblichen Beweis, für den Angriff verantwortlich zu sein, ein Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. Die BBC konnte die Aufnahmen verifizieren. Zudem wurde ein Bild der angeblichen Attentäter mit unkenntlich gemachten Gesichtern gezeigt.

Der Kreml zeigt seit dem Angriff dennoch mit dem Finger auf die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt. Präsident Wladimir Putin behauptete, die Täter hätten in die Ukraine flüchten wollen. Beweise dafür legte Moskau nicht vor. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jede Verwicklung seines Landes in den Anschlag zurück.

„Sie haben versucht, sich zu verstecken, und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war“, hatte Putin am Samstag in einer Fernsehansprache gesagt. Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte das mit dem Hinweis, dass die Grenze seit Langem vermint sei.

Keine Stellungnahme aus Kreml

Der Kreml lehnte es am Montag ab, sich zum Bekenntnis des IS zu äußern. „Die Ermittlungen dauern an“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Es wurde noch keine kohärente Version vorgebracht. Wir sprechen nur über vorläufige Daten.“ Putin plane nicht, den Tatort zu besuchen, fügte Peskow hinzu.

Schallenberg: Putin „instrumentalisiert“ Anschlag

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ging im Interview mit der „Kleinen Zeitung“ davon aus, dass Putins Narrativ, die Ukraine stecke hinter dem Terrorangriff, in der russischen Bevölkerung verfange, da die Menschen über „keine alternativen Informationsquellen“ verfügten.

„Ich vermute, es wird einfach instrumentalisiert werden, um eine weitere Begründung zu finden, warum dieser sinnlose Angriffskrieg geführt wird“, sagte Schallenberg dem Blatt. Das zeigten auch die russischen Angriffe auf Kiew am Montag.

Spekulationen seit 7. März

Spekulationen über einen möglichen Terroranschlag in Moskau kursierten seit dem 7. März. Damals hatte die US-Botschaft eine diesbezügliche Warnung ausgesprochen, die am 8. März unter anderem auch vom österreichischen Außenministerium übernommen wurde.

Der Anschlag auf die Konzerthalle war der größte Terrorangriff auf russischem Boden seit 20 Jahren

Putin hatte seinerseits am Dienstag „provokative Erklärungen einer Reihe von offiziellen westlichen Strukturen“ über einen möglichen Terroranschlag in Russland heftig angeprangert. „All das erinnert an offene Erpressung und die Absicht, Angst zu verbreiten und unsere Gesellschaft zu destabilisieren“, hatte er ausgerechnet vor den Spitzen des für Terrorbekämpfung verantwortlichen Inlandsgeheimdienstes FSB erklärt.

„Putin wird Anschläge ausnutzen“

In Moskaus Fingerzeig auf Kiew ortete Militärexperte Nico Lange ein Ablenkungsmanöver. Putin habe Warnungen vor Anschlägen ignoriert und die innere Sicherheit des Landes zugunsten des Krieges vernachlässigt, sagte Lange, Mitglied der Münchner Sicherheitskonferenz, der „Bild am Sonntag“. Das räche sich nun. „So oder so“ werde Russland westliche Geheimdienste, die Ukraine und die NATO verantwortlich machen, „auch um vom Versagen Putins abzulenken.“

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