Fed-Zinsentscheid: Hat Jerome Powell den Mut eines Paul Volcker?

Jerome Powell – jetzt zeigt sich, ob der Fed-Präsident den Mut eines Paul Volcker hat oder nicht

Eine weitere Leitzinserhöhung oder eher nein? Sollte die amerikanische Zentralbank am Mittwoch «geldpolitisch pausieren», würde sie ein bedenkliches Signal der Wankelmütigkeit aussenden. Vor knapp sechzig Jahren legte sie so die Saat für die hohe Inflation in den Folgejahren.

Der Fed-Gouverneur Jerome Powell versprach, den Preisauftrieb konsequent zu bekämpfen. Wird er sich daran halten?

Der Fed-Gouverneur Jerome Powell versprach, den Preisauftrieb konsequent zu bekämpfen. Wird er sich daran halten?

Kevin Lamarque / Reuters

Es fühlt sich an wie die Dramaturgie eines Thrillers. Erst spekulieren aufsässige kalifornische Venture-Kapitalisten gegen ein bekanntes Finanzinstitut aus ihrem Umfeld, von dem sie wissen, dass es eine sehr gewagte Bilanzstruktur hat – und treiben es in die Pleite. Dann lamentieren prominente Hedge-Funds-Manager publikumswirksam aus ihrem goldenen Käfig über eine drohende Bankenkrise, fordern jammernd die Rettung auf Kosten der Steuerzahler und warnen die Notenbank vor weiteren Zinserhöhungen.

Und so kommt es zunächst auch. In den USA verteilen Regierung, Notenbank und Einlagensicherungsfonds angesichts wankender Regionalbanken grosszügig Garantien oder räsonieren erst einmal darüber. Und in der Schweiz jagt die Regierung die angeschlagene Credit Suisse in die Arme der konkurrierenden UBS, um angesichts der entstandenen Turbulenzen scheinbar entschieden und zügig für Ruhe zu sorgen.

Stellt das Fed die Fahne in den Wind?

Was aber tun am Mittwoch die Zinsstrategen der amerikanischen Notenbank Fed? Haben sie nach acht Leitzinserhöhungen in kurzer Folge den Mut, die Schraube fester anzuziehen und das Leitzinsniveau angesichts einer Inflationsrate von jüngst 6 Prozent, eines heissen Arbeitsmarkts und eines erstaunlich robusten Wachstums auf 5 Prozent oder gar darüber anzuheben? Oder lassen sie sich von den Turbulenzen an den Finanzmärkten und dem seit Monaten anhaltenden Rätseln über eine drohende Rezession nötigen und halten zunächst einmal inne?

Der Leitzins ist deutlich gestiegen

Entwicklung, in %

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Beginn der Corona-Krise

Knickt das zinsbestimmende Gremium also unter der Führung des Fed-Gouverneurs Jerome Powell unter äusserem Druck ein? Obwohl dieser immer wieder versprach, den Preisauftrieb so konsequent zu bekämpfen wie sein Vorbild Paul Volcker vor etwa fünfzig Jahren? Die Anleger an den Finanzmärkten jedenfalls rechnen damit, dass Powell die Fahne nach dem Wind hängen und sich opportunistisch verhalten wird. Anders lassen sich die jüngste Kurserholung an den Börsen und die fallenden Renditen an den Bondmärkten nicht erklären.

So ist die Rendite zweijähriger amerikanischer Treasuries innerhalb von zwei Wochen von mehr als 5 auf gut 4 Prozent gefallen. Das zeigt zum einen, wie aussergewöhnlich hoch die Verunsicherung und damit die Volatilität an den normalerweise eher trägen Anleihemärkten ist. Zum anderen haben die Anleger an den Finanzmärkten auf diese Weise schon die «abwartende Haltung» des Fed vorweggenommen und die finanziellen Rahmenbedingungen faktisch gelockert – natürlich in der Erwartung, richtig zu liegen. Sie übersehen dabei, dass die jüngste Pleite der Silicon Valley Bank auf falsche Zinserwartungen und demzufolge auf gravierende Fehler im Risikomanagement zurückzuführen ist – und dass sie genau dasselbe Wagnis eingehen.

Finanzstabilität, Inflation – oder was ist das Ziel?

Die amerikanische Notenbank steht im Moment vor einem Trilemma: Geht es nach den Anlegern, muss sie erstens für Stabilität an den Finanzmärkten und für steigende Kurse sorgen. An das haben sie sich in den vergangenen Jahrzehnten gewöhnt; und darauf glauben sie inzwischen einen Anspruch zu haben, obwohl die damit verbundenen Billiggeld-Orgien zur Entstehung grosser Ungleichgewichte etwa in Form rekordverdächtiger Schulden oder einer extrem hohen Bewertung von Vermögenswerten geführt hat.

Die Nervosität an den Bondmärkten ist hoch wie während der Finanzkrise

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Beginn der Corona-Krise

Zweitens muss die Notenbank den immer noch überhitzten Arbeitsmarkt in den USA abkühlen, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Wie der Blick auf den «Wage Growth Tracker» des regionalen Fed in Atlanta zeigt, steigen die Löhne derzeit in weiten Teilen der amerikanischen Wirtschaft stärker als die Preise – und diese Entwicklung kann schnell ausser Kontrolle geraten. So zeigt eine Analyse der Ökonomen Claudio Borio, Marco Jacopo Lombardi, James Yetman und Egon Zakrajšek von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), wie eine strukturell hohe Inflation zu stärker steigenden Löhnen als in der Vergangenheit führt.

Finanzstabilität ist wichtig, aber nicht alles

Aus diesem Grund muss sie drittens der Inflation entschieden begegnen. Sie darf sich auf diesem Weg von Forderungen aus der politischen Arena und von der allgemeinen Hoffnung auf höhere Vermögenspreise nicht abbringen lassen. Sollte das Fed am Mittwoch «geldpolitisch pausieren», würde sie in den Augen kritischer Beobachter ein bedenkliches Signal der Wankelmütigkeit aussenden. Finanzstabilität ist zwar wichtig, «aber das heisst nicht, dass die Zentralbank ihre Inflationsbekämpfungsmassnahmen einstellen oder aussetzen sollte, wenn eine Bankenkrise oder ähnliche systemische Turbulenzen drohen», argumentiert zum Beispiel Willem Buiter, der frühere Chefökonom der Citigroup.

Der Konflikt zwischen den Zielen der Preisstabilität und der Finanzstabilität sollte bewältigt werden können, und zwar durch die Verwendung des Leitzinses zur Dosierung des Preisauftriebs und durch die Verwendung der Bilanz als makroprudenzielles Instrument zur Steuerung der Finanzstabilität. Um beide Ziele zu erreichen, sei eine glaubwürdige Kommunikation unerlässlich, argumentiert Buiter und ergänzt: «Die Finanzstabilität einer grossen, fortgeschrittenen Volkswirtschaft wird durch eine Erhöhung des risikofreien kurzfristigen Nominalzinssatzes um 50 Basispunkte nicht wesentlich beeinträchtigt.»

Vermögenspreis-Inflation an der Wall Street weiterhin unübersehbar

Wert des Wilshire-5000-Indexes zum BIP

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Geplatzte Internetblase 2001

Anders sehe es dagegen mit den miteinander verknüpften Liquiditäts- und Kreditrisikoprämien sowie mit dem Verschwinden von potenziellen Käufern und Kreditgebern auf illiquiden Finanzmärkten aus, sollte sich die Kreditrationierung verschärfen – wie jüngst in Grossbritannien, wo die Finanzmärkte gegen die finanzpolitisch unvernünftige Strategie der Kurzzeitregierung von Liz Truss revoltierten.

Kneift das Fed wegen irrtümlicher Bedenken?

Wenn jüngst selbst die verschlafene Europäische Zentralbank (EZB) den Mut gehabt habe, den Leitzins trotz allen Wirren an den Finanzmärkten um einen halben Prozentpunkt anzuheben, sollte das Fed angesichts einer Inflation der persönlichen Ausgaben von 4,7 Prozent nachziehen, sagt Buiter. Allerdings fürchtet er, Jerome Powell werde aufgrund irrtümlicher Bedenken über die Auswirkung einer grösseren Zinserhöhung auf die Finanzstabilität kneifen.

Mickey Levy vom amerikanischen Ableger der Privatbank Berenberg schlägt einen ähnlichen Ton an. Nachdem das Fed die lockere Geldpolitik zu lange beibehalten und dann abrupt die Zinsen angehoben habe, sei es jedes Mal zu Erschütterungen gekommen. Diesmal sei es nicht anders. Levy erinnert an den Börsencrash im Oktober 1987, die Spar- und Darlehenskrise zu Beginn der 1980er Jahre und den Konkurs von Orange County in Kalifornien während der Zinserhöhungen des Fed im Jahr 1994.

Die Löhne steigen in den USA nun stärker als die Inflationsrate

Lohnsteigerungen* (%)

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Beginn der Corona-Krise

In seinen Augen muss das Fed nun ein Gleichgewicht zwischen Zinserhöhungen zur Senkung der Inflation und dem Erreichen von Finanzstabilität finden. Es muss seine Versäumnisse bei der Bankenaufsicht eingestehen und unnötige neue Vorschriften vermeiden, welche die Kreditvergabe der Banken zu stark einschränken. Gegen übermässige Risikobereitschaft helfe nur eine aufmerksame, proaktive Aufsicht – unabhängig davon, ob eine Bank «systemisch wichtig» sei oder nicht.

Saat für eine neue Ära der Hochinflation?

Die Befürworter einer Zinserhöhung argumentieren, im Gegensatz zu vielen schlecht geführten Banken werde ein grosser Teil der amerikanischen Wirtschaft mit höheren Zinsen fertig. Abgesehen von einzelnen Nischen wie etwa den Bürotürmen in den Grossstädten schlage sich sogar der Immobilienmarkt besser als befürchtet. Mit einer Kombination aus Einlagensicherung, der neuen Liquiditätsfazilität des Fed und der Hilfe grösserer Banken für kleinere Institute gebe es nun einen Rahmen, in dem sich die Sturmböen abwehren liessen, heisst es.

Fragt sich nur, ob Jerome Powell und seine Kollegen das auch so sehen oder ob sie die Inflation als das kleinere Übel betrachten. Letzteres wäre ein bedenkliches Omen für die weitere Zukunft – wie der Blick zurück auf das Jahr 1966 zeigt. Damals hatte der Fed-Chef William McChesney Martin Jr. mit verfrühten Zinssenkungen die Saat für die Ära der Hochinflation gelegt, die Paul Volcker erst fünfzehn Jahre später mit radikalen Methoden in den Griff bekam.

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