Wie Speaker Mike Johnson die Ukraine-Hilfe durch das ...

Mike Johnson

Als am frühen Samstagnachmittag das Ergebnis der Abstimmung über die Militärhilfe für die Ukraine verkündet wird, halten die Abgeordneten der Demokraten kleine blau-gelbe Fähnchen in ihren Händen und jubeln. 311 Abgeordnete haben für das Paket gestimmt, eine überwältigende Mehrheit. Die war vor allem der Minderheitsfraktion der Demokraten zu verdanken. Bei den Republikanern stimmten 101 Abgeordnete für die Vorlage, 112 allerdings dagegen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Johnson kurz nach dem Votum. „Das ist eine Entscheidung, die uns das Leben rettet“, sagte er. Die Mehrheit seiner Fraktion aber hat Johnson gegen sich. Vielleicht auch deshalb verzichtete er auf einen Auftritt im Plenum. Es ist an sich nicht unüblich, dass Sprecher selbst nur an Abstimmungen teilnehmen, wenn es auf ihre Stimme ankommt. Dass der Republikaner am Samstag aber während der Kongresssitzung unsichtbar blieb, hatte auch mit dem Zustand seiner Fraktion zu tun. Er wollte die ohnehin erhitzten Gemüter nicht weiter provozieren. Lob erhielt er hauptsächlich von der anderen Seite.

Lob von Pelosi

Keine andere als die Demokratin Nancy Pelosi, Johnsons Vorvorgängerin, hatte sich am Samstag in der Parlamentsdebatte von ihrem Platz in der ersten Kammer erhoben und Johnson dafür gedankt, die Abstimmung über die Militärhilfe für die Ukraine ermöglicht und sich dem Rechtsaußen-Flügel seiner Fraktion, den sie den „Putin-Caucus“ nennt, entgegengestellt zu haben. Die Unterstützung der Ukraine sei Teil des Kampfes zwischen „Demokratie und Anstand“ einerseits sowie „Autokratie und dem Böses“ andererseits, sagte sie. An die Gegner der Ukraine-Hilfe gewandt, fügte sie hinzu: Sie fürchte, wer Putins Weg wähle, der werde Blut an seinen Händen haben.

Auch Hakeem Jeffries, der Minderheitsführer der Demokraten, lobte den Sprecher Johnson. Dieser sei ein „traditioneller Konservativer“, der im entscheidenden Moment gezeigt habe, dass er seiner Verantwortung gerecht werde. Über Monate hätten „Pro-Putin-Extremisten“ die nationalen Sicherheitsinteressen Amerikas behindert. Die Abgeordneten hätten die Aufgabe, „Tyrannei, Totalitarismus und Terror“ zurückzudrängen. Und auch Präsident Joe Biden dankte Johnson und Jeffries für die fraktionsübergreifende Einigung.

Für das Lob kann sich Johnson nichts kaufen. Es könnte sich nichtsdestotrotz noch als wichtig erweisen. Und das hat mit einer Frau zu tun, die ursprünglich zu den Unterstützern des Abgeordneten aus Louisiana zählte. Marjorie Taylor Greene vom rechtspopulistischen Flügel hatte sich zuvor im Plenum energisch gegen die Ukraine-Hilfe ausgesprochen. Die Abgeordnete aus Georgia bekräftigte nicht nur ihre Argumente, die Biden-Regierung – und mit dieser auch Sprecher Johnson – dienten nicht dem amerikanischen Volk. Sie sagte auch: Die Vorlage sei ein „America last“-Paket. Lieber gebe man Geld an die Ukraine, um Menschen umzubringen, als die amerikanische Grenze zu schützen. Dann sprach sie noch über den „militärisch-industriellen Komplex“ in Washington und sagte: Es sei eine Schande. Statt fremden Staaten Geld zu geben, um andere Völker zu töten, müsse man Frieden fordern. Aber Frieden sei das Letzte, was Washington wolle, weil es nicht dem Geschäftsmodell entspreche.

Verrats-Vorwürfe von rechts

Kurz nach der Abstimmung legte Taylor Greene dann eine Schippe drauf: Johnson habe nicht nur seine Fraktion verraten, sondern auch das Land. Ende März hatte sie damit gedroht, einen Antrag auf Absetzung des Sprechers einzubringen. Zwei andere Fraktionsrechte unterstützten sie. Das würde angesichts knapper Mehrheitsverhältnisse reichen, um Johnson abzusetzen. Würde sie nun ihren Worten Taten folgen lassen? Johnson ließ mitteilen, er fürchtete die Frondeure nicht. Über Monate hatte er selbst die Verabschiedung der Ukraine-Hilfe blockiert, indem er ein entsprechendes Paket, das der Senat verabschiedet hatte, partout nicht dem Plenum seiner Kammer vorlegte. Wie kam es zu der Wandlung?

Der 52 Jahre alte Republikaner hatte bis zu seiner Wahl ins Sprecheramt für keines der Ukraine-Pakete votiert. Nicht nach Beginn des Angriffskrieges durch Russland. Nicht nach den militärischen Erfolgen Kiews. Auch nicht nach den atomaren Drohungen Putins. Als er dann ins dritthöchste Staatsamt gewählt wurde, sagte er plötzlich, er sei offen für die Ukraine-Hilfe – aber nur in Verbindung mit einem Paket zur Sicherung der eigenen Südgrenze. Er wurde von allen Seiten bedrängt, die Abstimmung zuzulassen – wissend, dass es eine fraktionsübergreifende Mehrheit gäbe. Ende Februar saß er mit den drei anderen Führungsfiguren des Kongresses – Jeffries sowie Chuck Schumer und Mitch McConnell, den Fraktionsvorsitzenden des Senats – mit Präsident Biden im Oval Office. Alle vier Männer bearbeiteten ihn, schnell zu handeln.

Kurz zuvor war ein Kompromiss gescheitert. Im Senat hatten Republikaner und Demokraten ein Paket zusammengeschnürt, das Hilfen für Kiew mit einer strengen Migrationsreform verband. Trump, der in den parteiinternen Vorwahlen für die Kandidatur im November seine Konkurrenten niederwalzte, zog allerdings kurz vorher die Reißleine und ordnete an, seine Partei müsse den Deal scheitern lassen. Er war zu dem Ergebnis gekommen, er brauche die Migrationskrise als Wahlkampfthema. Johnson stand düpiert da: Ein Sprecher, der seine Tagesbefehle aus Mar-a-Lago erhält?

Schrittweiser Sinneswandel

Ende März änderte sich die Lage: Johnson ließ sich auf einen Haushaltsdeal mit den Demokraten ein. Später sorgte er dann dafür, dass auch über ein strittiges Gesetz zur geheimdienstlichen Überwachung abgestimmt werden konnte. Dann kam die Wende in Sachen Ukraine. Er selbst begründete seinen Sinneswandel mit Erkenntnissen, die er bei einer nachrichtendienstlichen Unterrichtung erhalten habe. Er glaube den Informationen, die er in dem geheimen Briefing erhalten habe, sagte Johnson später. Er glaube, Xi Jinping, Wladimir Putin und Iran bildeten eine „Achse des Bösen“. Putins Ambitionen gingen über die Ukraine hinaus. „Um es unverblümt zu sagen“, ergänzte er: „Ich schicke lieber Patronen in die Ukraine als amerikanische Soldaten.“ Tatsächlich zirkulierten Hinweise in Washington, dass die Ukraine ohne amerikanische Hilfe auf dem Schlachtfeld nicht mehr lange durchhalten werde.

Wollte Johnson nicht für die Niederlage Kiews verantwortlich sein? Plötzlich machte er auf Staatsmann und sagte, seine Philosophie laute: Tue das Richtige. Alles andere sei dem Schicksal überlassen. Dies sei ein entscheidender Zeitpunkt auf der internationalen Bühne. Er denke nicht an seinen Posten, sollte das heißen.

Mindestens so wichtig wie die nachrichtendienstliche Unterrichtung war gewiss eine Reise nach Palm Beach in Florida. Trump empfing Johnson und man darf unterstellen, dass der Sprecher den Kandidaten um Unterstützung in diesem Machtkampf bat. Er sollte sie erhalten. Trump trat mit ihm vor die Presse und lobte seinen Gast, der in schwierigen Zeiten gute Arbeit leiste. Das werde sicher auch Taylor Greene, die eine gute Freundin sei, verstehen, bemerkte Trump zudem.

Trump hat kein Interesse an Johnsons Sturz

Lass den Quatsch, sollte das heißen. Ein abermaliger Sturz eines Sprechers, wieder Chaos im Kongress – das sei so kurz vor den Wahlen keine gute Idee. Eine gänzlich gespaltene Fraktion mit einem Sprecher, dessen Abwahl mit den Stimmen der Demokraten verhindert würde, auch nicht. Mehrere Demokraten hatten signalisiert, Johnson im Fall der Fälle zu stützen. Trumps Tonlage in Sachen Ukraine-Hilfe änderte sich auch: „Wir sind uns alle einig, dass das Überleben und die Stärke der Ukraine für Europa viel wichtiger sein sollte als für uns, aber es ist auch für uns wichtig!“

Johnson hatte sich entschlossen, die Abstimmung über die Militärhilfe für die Ukraine zuzulassen. Doch lehnte er es ab, einfach den Senatsentwurf vorzulegen. Als Zugeständnis an den rechten Fraktionsflügel bestand er auf Änderungen. Eine Idee stammte dabei von Trump selbst: Das Geld für die Ukraine müsse ein Darlehen sein. Ein Teil der Gelder wird nunmehr tatsächlich Kiew geliehen – zumindest formal. Auch wurde in das Paket hineingeschrieben, dass man in Amerika eingefrorenes russisches Auslandsvermögen Kiew zur Verfügung stelle.

Johnson trat am Samstag noch einmal vor die Presse und erklärte sein Vorgehen. An seine Kritiker gewandt, sagte er, er verstehe deren Position. Es handle sich nicht um ein perfektes Gesetz. Doch die Alternative hätte geheißen, dass eine Gruppe von Republikanern und Demokraten aus der Mitte des Parlaments heraus die Senatsvorlage zur Abstimmung gestellt hätte. Er hingegen habe diesen Entwurf verbessert.

Paket mit mehreren Vorhaben

Konkret ging es um vier Gesetzentwürfe, die nach der Abstimmung als Paket an den Senat geschickt wurden. Die zweite Kammer will es nun rasch billigen: Insgesamt wurden 95 Milliarden Dollar für die Verbündeten in der Ukraine, in Israel und im indopazifischen Raum gebilligt. Ein vierter Entwurf, der Johnsons Fraktionsrechte besänftigen sollte, fordert das Video-Portal TikTok ultimativ auf, sich vom chinesischen Mutterkonzern zu lösen. Das richtete sich ebenso gegen Peking wie die acht Milliarden für den indopazifischen Raum. Für Israel und die humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen wurden 26 Millionen Dollar bewilligt. Hier war die Frage, inwieweit Jeffries seine Fraktion angesichts der Kritik an der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen unter Kontrolle haben würde. Die Gegenstimmen vom linken Flügel hielten sich letztlich in Grenzen. Die Ukraine erhält 60 Milliarden, zum Teil indirekt über amerikanische Rüstungsgüter, zum Teil als Darlehen.

Zudem heißt es in dem Text, Biden solle der Ukraine „so bald wie machbar“ weittragende Raketensysteme vom Typ ATACMS zur Verfügung stellen, auf die Kiew seit Langem hofft. Das hatten die außenpolitischen Falken bei den Republikanern ins Gesetz geschrieben. Auch diese gibt es noch: Abgeordnete, die ungeachtet der Isolationisten in den eigenen Reihen, Biden vorwerfen, Kiew zu zaghaft zu unterstützten. So ist die Lage in der „Grand Old Party“.

Taylor Greene und die anderen vom „America-first“-Lager konnte Johnson freilich nicht damit überzeugen, einen Teil der Ukraine-Hilfe als Darlehen zu vergeben. Niemand glaube, dass Kiew das Geld jemals zurückzahle, fluchte sie. Trumps Tonwechsel blieb aber doch nicht ganz ohne Wirkung: Nach dem Votum wurde sie auf den Stufen vor dem Kapitol gefragt, ob sie nun ihren Antrag auf Absetzung des Sprechers stellen werde: Sie werde nichts überstürzen, erwiderte sie mit Blick auf das Chaos nach dem Sturz Kevin McCarthys. Sie werde vielmehr ihre Fraktionskollegen nun zunächst in ihre Wahlkreise heimkehren lassen. Dort könnten sie hören, was ihre Wähler von der Sache hielten. Dann werde man sehen.

Das klang nicht so, als sei sie dabei, die Messer zu wetzen. Auch Thomas Massie, ein Verbündeter Verbündeter Taylor Greenes, sagte, man ziehe es vor, dass Johnson einfach seinen Rücktritt ankündige. Dann könne man einen Nachfolger suchen und stehe nicht ohne Sprecher da, wie nach dem Sturm McCarthys. Das hat Johnson bereits ausgeschlossen. Massie zeigte sich gleichwohl zuversichtlich, dass der Sprecher in Bälde hinschmeiße, da er nicht mehr das Vertrauen der Fraktion genieße. Johnson klang am Samstag anders: „Ich glaube, wir haben unsere Arbeit geleistet“, sagte er. Und: „Die Geschichte wird sie gutheißen“.

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