"Corsage"-Regisseurin: "Ich kann nicht in Festplatten hineinschauen"

23 Jan 2023

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Regisseurin Marie Kreutzer stellte sich am Sonntagabend einer Fernsehdiskussion. "Corsage" sei auch nach dem Fall Teichtmeister der gleiche Film, aber "beschädigt".

01/23/2023, 12:21 AM

Am Sonntagabend nahm „Corsage“-Regisseurin Marie Kreutzer erstmals im österreichischen Fernsehen zum Fall Teichtmeister Stellung. Florian Teichtmeister, der sich wegen des Besitzes von Dateien, die sexualisierte Gewalt an Minderjährigen zeigen, vor Gericht verantworten muss, spielt in dem viel beachteten Sisi-Film Kreutzers den Kaiser Franz Joseph.

Sie könne „absolut nachvollziehen“, dass man ein ungutes Gefühl dabei habe, dass der Film nun möglicherweise vor einer Oscar-Nominierung stehe, meinte Kreutzer in einer Live-Diskussion auf ORFIII. „Wir müssen natürlich zu Kenntnis nehmen und respektieren, wenn sich Leute dadurch angegriffen fühlen.“

"Leben auf den Kopf gestellt"

„Mir fehlen ein bisschen die Worte“, sagte Kreutzer und berichtete, was in den letzten Tagen über sie hereingebrochen ist. Sie sei gerade auf dem Rückweg von einer Pressetour in Los Angeles gewesen, als sie von den Vorwürfen und dem gerichtlichen Vorgehen erfahren hatte. „Ich bin seit einer Woche damit beschäftigt und das hat mein Leben und auch dieses Projekt zur Gänze auf den Kopf gestellt.“

Sie verwies darauf, dass mehrere hundert Menschen an der Arbeit an dem Film beteiligt gewesen seien. „Es käme mir nicht richtig vor, den Film zurückzuziehen.“ Dadurch, dass „Corsage“ eine große internationale Koproduktion sei mit vielen Vertragspartnern, könne man das auch nicht alleine entscheiden.

"Der gleiche Film, der er vorher war", aber "beschädigt"

„Es ist für mich der gleiche Film, der er vorher war. Aber natürlich liegt jetzt ein Schatten über dem Film, ist der Film beschädigt“, sagte Kreutzer. Dennoch solle man sich „nicht ausschließlich damit beschäftigen, was die Kulturnation dazu sagt.“ Die Branche aber auch die Gesellschaft sei nun gefragt, “wie wir damit umgehen“. Es gehe um Darstellung von Kindesmissbrauch und Gewalt an Kindern, die Energie gehe in der Diskussion ihrer Ansicht nach derzeit nicht immer in die richtige Richtung.

Moderatorin Ani Gülgün-Mayr sprach Kreutzer darauf an, dass Teichtmeister im Film auch in nicht jugendfreien Szenen zu sehen sei. Ob sie daran denke, Szenen herausschneiden, oder zu kontextualisieren?

„Darüber habe ich nicht nachgedacht, dazu war gar keine Zeit“, sagte Kreutzer. Sie könne aber über jene Phase sprechen, als es noch die Gerüchte um Teichtmeister gab, und „diese Gerüchte uns gegenüber dementiert wurden.“ Als Nicht-mehr-Arbeitgeber habe es keine Handhabe gegeben, von einer anderen Stelle etwas darüber zu erfahren. „Es gab natürlich die Frage: Ist da was dran oder nicht? Es gab in der Branche auch das Gerücht, es sei alles fallengelassen worden.“

In diese Monaten „hätte man sich fragen können“, ob man in den Film eingreift, meinte die Regisseurin, aber es sei „nicht möglich gewesen, weder budgetär noch organisatorisch,  die Szenen mit Florian Teichtmeister mit einem anderen Schauspieler nachzudrehen oder ihn aus dem Film zu schneiden.“ Kreutzer wies auf Verträge hin, und gewisse Fertigstellungsvereinbarungen, „wir können nicht einfach ein Projekt unterbrechen, nur weil es Verdachtsmomente oder Gerüchte über einen Darsteller gibt.“ Man hätte sich dadurch vertragsbrüchig gemacht.

Noch nicht mit Teichtmeister gesprochen

Nach Bekanntwerden des Geständnisses von Teichtmeister habe sie nicht mit ihm gesprochen. Sie habe auch nicht darüber nachgedacht. „Ich einfach sprachlos dem Vorfall und ihm gegenüber.“

Anfeindungen ihr gegenüber in den sozialen Medien und auch die Presseberichte verfolge sie nicht, sagte Kreutzer. Persönlich erhalte sie fast ausschließlich Nachrichten, die unterstützend sind.

Dennoch merkte sie über die Berichterstattung an: „Es ist sehr interessant, dass einerseits gesagt wird, man kann so einen Film nicht mehr zeigen, man kann so einen Menschen nicht mehr auf eine Leinwand oder auf einem Fernsehschirm lassen. Aber jedes Medium, dass im Moment über diesen Menschen berichtet, gibt ihm eine unglaublich großee Bühne. Er ist jeden Tag auf den Tag auf den Startseiten mehrerer Magazine und Zeitungen zu sehen. Ich frage mich auch, wie diese Forderung mit diesen Tatsachen zusammengeht.“

Kulturjournalist Heinz Sichrovsky trat bei der Diskussion auf ORF III dafür ein, das Werk von den Künstlerinnen und Künstlern zu trennen, andernfalls müsse man beginnen, die gesamte Kulturgeschichte auf Verfehlungen zu durchforsten. "Das halte ich für ganz und gar bedenklich." Wenig Verständnis zeigte er dafür, dass das Burgtheater Teichtmeister auch nach Vorliegen des Verdachts weiter in Hauptrollen auf die Bühne schickte und ihn nun auf Schadenersatz klagen will. "Das erscheint mir schon sehr absurd", so Sichrovsky.

Schauspielerin Petra Morzé spielte gemeinsam mit Teichtmeister im Film "Serviam - Ich will dienen". Dabei soll Teichtmeister am Set Minderjährige fotografiert haben. Die Promotion für den Film erfolgte daraufhin ohne ihn. "Wir sollten mehr auf unsere Intuition achten", meinte Morzé auf ORF III. Man müsse Zivilcourage zeigen und Verdächtiges melden und sagen: „Da stimmt etwas nicht“. Sie berichtete von einem Erlebnis am Theater in den Neunziger Jahren, wo sie ein Kind beobachtet habe, dass vor dem Auftritt immer nervös gewesen sei, der Vater habe es immer „so auf die Toilette geschubst“. Sie habe sich dann an Regieassistenten gewandt.

Erlebnis mit Teichtmeister am Tag der Hausdurchsuchung

Morzé berichtete auch von einem Erlebnis mit Teichtmeister im Rahmen einer gemeinsamen Thomas-Bernhard-Lesung, das sei am Tag der Hausdurchsuchung bei dem Schauspieler gewesen, erklärte die Schauspielerin. „Wir haben ersucht, ihn am Handy zu erreichen“, aber der Kollege war nicht erreichbar. „Er kam dann 15 Minuten vor Vorstellungsbeginn“, habe angegeben, sein Handy verlegt zu haben, „er sah aus wie der Tod“. Aber auf der Bühne habe es „fantastisch funktioniert“, im Nachhinein „ein Phänomen“ für sie.  „Sobald er von der Bühne herunten war, ist er wieder in sich zusammengebrochen, stand nehmen sich- Ich hab mir laienhaft gedacht, da gibt es psychische Probleme oder ein Drogenproblem. Mehr in dem Fall nicht.“

Seit September 2020 arbeitet Marie Kreutzer an einem neuen Filmstoff und befasst sich dabei unter dem Arbeitstitel "Johnny Maccaroni" mit einem ähnlichen Themenkreis wie der Causa Teichtmeister. Das sei „eine bittere Ironie“, sagte sie in der Diskussion auf ORF III. Sie habe in ihren Recherchen Kontakt zu einem hochrangigen Beamter der Pädokrimininalität in Wiesbaden (D) aufgenommen. Sie habe sich daher mit dem Thema „lange beschäftigt“ sei sich aber „nicht sicher, ob ich es schaffe, es in einem Film zu verarbeiten“. Es handle sich um eine „harte Recherche“, es wäre auch „kein angenehmer Film“, es wäre aber ihre Art sich dem Thema zu nähern, weil sie als Filmemacherin Geschichten erzählen könne.

Keine ausreichenden Kinderschutzkonzepte

Sie habe sich in den letzten Tagen eingehend damit beschäftigt, was man für die Prävention tun könne. Sie habe festgestellt, „dass es in Österreich keine verpflichtenden Kinderschutzkonzepte für Schulen, Kindergärten, Musikschulen, Vereine Ferienlager. Das hat mich eigentlich sehr schockiert.“

In der Filmbranche habe man zuletzt zwar einen „Code of Ethics“ entwickelt, den die Mitarbeiter unterschreiben müssten. Es gehe darum, „wie wir uns im Arbeitsumfeld miteinander verhalten.“ Es gäbe künftig Vertrauenspersonen am Set. Aber Kinderschutzbestimmungen seien in dem Konzept nicht enthalten, berichtete Kreutzer.

Es gehe auch darum, Kindern mitzugeben, „was ist eigentlich nicht korrekt?“ Ihr Fokus sei in den letzten Tagen gewesen: „Was wir tun können als Branche, aber auch als Gesellschaft.“

#MeToo-Vorwürfe

Die Diskussion drehte sich dann auch noch um die Vorwürfe gegen einen anderen „Corsage“-Darsteller bezüglich sexueller Übergriffe, die jedoch nicht mit dem Fall Teichtmeister vergleichbar sind.  

Kreutzer wollte die beiden Dinge nicht vermischen, sagte aber: „Mein größtes Unglück, aber es ist so: Es sind zwei Männer denen ich beiden vertraut habe, das war vielleicht nicht richtig.“ Dieser zweite Sschauspieler habe sie selbst zwei Tage vor Drehbeginn über die Vorwürfe informiert. Er sei bereits mit einer Anwältin in Kontakt gewesen, „weil er sich gegen anonymisierte Vorwürfe zu Wehr setzen wollte“, sagte Kreutzer. „Das war kurz vor Drehbeginn, das ist nicht der Moment, wo man noch schnell jemand anderen aus dem Hut zaubert. Vor allem, wenn es um so etwas Unkonkretes geht.“

Man sei über diese Dinge „in Kontakt geblieben“. Dass er sich nun öffentlich über einen Anwalt zu Wort gemeldet habe, begrüßt Kreutzer, schränkte aber ein: „Leider ohne Namen, was natürlich nicht nur dem Film schadet, sondern auch seinen männlichen Kollegen in dem Film.“ Sie nannte als Beispiel Manuel Rubey, für Kollegen, die durch diese „hochproblematischen“ Vorwürfe Schaden nehmen würden, „wenn er sich nicht zu erkennen gibt.“

"Ist mir nicht gelungen"

Sie habe auf mehreren Wegen versucht, zu möglichen Betroffenen Kontakt aufzunehmen, habe „signalisiert, dass ich erreichbar bin“. Sie habe versucht, sich richtig zu verhalten, „es ist mir vielleicht nicht gelungen.“ Aber: „Darum geht‘s mir jetzt nicht mehr“, sagte die „Corsage“-Regisseurin. „Mir geht’s jetzt darum, wie gehen wir in unserer Branche mit Gerüchten um. Was können wir tun, müssen wir tun, gibt es einen Handlungsablauf, den wir in solchen Situationen empfehlen können?“

Als es um den Code of Ethics ging, habe man viel festlegen können, meint Kreutzer. „Da können wir sehr viel tun, viel Bewusstsein schaffen, Maßnahmen setzen und auch Konsequenzen, aber wenn es um das Privatleben eines Menschen geht, ist es natürlich sehr schwer. Ich habe mehrere 100 Mitarbeiter und ich kann natürlich nicht in deren Vorleben und Festplatten hineinschauen, bevor ich mit denen arbeite. Und das ist das Problem, das uns derzeit beschäftigt. Wie können wir noch vertrauen, wie können wir miteinander arbeiten? Und wie können wir reagieren und in welchen Schritten, wenn es zu so etwas kommt?“

„Weiß nicht, was ich mir wünsche“

Abschleßend wollte die Moderatin noch wissen, was sie sich für die Nominierung für den Auslandsoscar wünsche.

„Im Moment weiß ich überhaupt nicht, was ich mir wünsche“, sagte Kreutzer. „Bis vor ein paar Tagen hätten wir es uns noch gewünscht. Jetzt ist es natürlich eine andere Situation, in der uns andere Dinge beschäftigen und in der auch andere Dinge wichtiger sind als ein Preis.“

Diskussion bei "Im Zentrum" ohne Kreutzer

Auch bei „Im Zentrum“ auf ORF2 wurde über das Thema Teichtmeister diskutiert. Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky zu bedenken, dass man nicht darum bitten könne, nicht nominiert zu werden. Die Stimmzettel seien ausgefüllt. "Man könnte aber die internationale Aufmerksamkeit, die man jetzt hat, nutzen, um ein Statement zu machen, sich zu distanzieren, sich weniger selber als Opfer zu sehen, sondern die wirklichen Opfer - die Kinder - in den Vordergrund zu stellen", meinte der Regisseur.

Ruzowitzky hielt es für "katastrophal", wenn nun so getan werde, als gäbe es ein "Schweigekartell" in der Kulturbranche. Man habe viel von der #MeToo-Debatte gelernt, es habe sich viel verändert. Eva Blimlinger, Kultursprecherin der Grünen, sah zwar kein Kartell des Schweigens in der Branche, aber "ein Kartell des Ignorierens, wenn es um mutmaßliche Täter geht". Das sei das Hauptproblem. "Der springende Punkt für mich ist, Glauben zu schenken", so Blimlinger bei "Im Zentrum".

Das Burgtheater wurde über den Ermittlungsstand in der Causa Teichtmeister nicht von den Behörden informiert. Blimlinger trat bei "Im Zentrum" dafür ein, dass Arbeitgeber künftig im Falle solcher Ermittlungen verständigt werden müssen. Es liege dann immer noch am Arbeitgeber, was er mit den Informationen mache.

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