Fall Teichtmeister: Regisseurin Kreutzer hält an „Corsage“ fest

23 Jan 2023
Marie Kreutzer

Fall Teichtmeister

Die Regisseurin Marie Kreutzer beschäftigt das Strafverfahren gegen den Schauspieler Florian Teichtmeister, der in ihrem Film „Corsage“ mitgewirkt hat, auf persönlicher wie struktureller Ebene. Teichtmeister muss sich ja im Februar vor Gericht für den Besitz von Dateien sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verantworten – er ist geständig. In ihrem ersten TV-Auftritt seit Bekanntwerden der Anklage gegen Teichtmeister unterstrich Kreutzer in „ORF III LIVE“, dass ein Rückzug des Films für sie nicht infrage komme.

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Der Hintergrund dazu: „Corsage“ befindet sich noch im Rennen um den Auslandsoscar. Derzeit findet er sich auf einer Shortlist mit 15 fremdsprachigen Filmen. Welche fünf Filme davon nominiert werden, entscheidet sich am Dienstag. Ob sie sich eine Nominierung wünsche? „Ich weiß nicht mehr, was ich mir wünschen soll“, so Kreutzer. Bis vor ein paar Tagen hätte sie wohl darauf gehofft – nun seien aber „andere Dinge wichtiger“.

„Der gleiche Film, der es vorher war“

Kreutzer sagte, die Entwicklungen hätten ihr Leben „auf den Kopf gestellt“, sie sei „sprachlos dem Vorfall gegenüber und ihm (Teichtmeister, Anm.) gegenüber“. Seit Bekanntwerden der Anklage habe sie mit Teichtmeister nicht gesprochen, sagte die Regisseurin. Es liege ohne Zweifel „ein Schatten über Corsage“, doch „käme es mir nicht richtig vor", den Film zurückzuziehen“, so Kreutzer. „Es ist für mich der gleiche Film, der es vorher war.“

Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“, Sonntag-Ausgabe) sagte Kreutzer dazu: „Wir würden ihm eine ungeheure Macht geben, wenn wir sagen, man kann diesen Film nicht mehr sehen. Dazu bin ich nicht bereit“, so Kreuzer. Zudem sei Teichtmeister nur einer von vielen Beteiligten am Film. „In ‚Corsage‘ stecken jahrelange Arbeit und viel Liebe von vielen Menschen. Deshalb tut es ja auch so weh, dass der Film immer mit diesen grauenvollen Taten behaftet sein wird“, so Kreutzer.

„Der Fall Teichtmeister – Die Unschuldsmiene einer Kulturnation“

Der Fall Florian Teichmeister löste vergangene Woche Schock und Bestürzung aus. Inzwischen wurde der Schauspieler aus dem Ensemble des Burgtheaters entlassen, am Film „Corsage“ wird aber weiterhin als Kandidat für den Auslandsoscar festgehalten. Müssen sich Kulturbranche und Medien den Vorwurf gefallen lassen, nicht gehandelt zu haben? Ist das Kunstwerk von den Taten der Künstlerinnen und Künstler getrennt zu betrachten? Und wie sollte man angemessen auf Verdachtsmomente reagieren? Das und mehr diskutiert ORF-III-Moderatorin Ani Gülgün-Mayr mit Marie Kreutzer (Regisseurin „Corsage“), Florian Klenk (Chefredakteur „Falter“), Petra Morze (Schauspielerin), Heinz Sichrovsky (Kulturjournalist) und Natascha Strobl (Politikwissenschaftlerin und Autorin).

Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky gab bei bei der Diskussionssendung „Im Zentrum“ zu bedenken, dass man nicht darum bitten könne, nicht nominiert zu werden. Die Stimmzettel seien ausgefüllt. „Man könnte aber die internationale Aufmerksamkeit, die man jetzt hat, nutzen, um ein Statement zu machen, sich zu distanzieren, sich weniger selber als Opfer zu sehen, sondern die wirklichen Opfer – die Kinder – in den Vordergrund zu stellen“, meinte der Regisseur.

„Wir hätten uns vertragsbrüchig gemacht“

Über die Frage, ob man nach Aufkommen der Anklage in der Vorwoche noch Szenen aus dem Film hätte herausschneiden können, habe sie bisher mangels Zeit noch nicht nachdenken können, so Kreutzer in „ORF III LIVE“. Davor, bei Aufkommen der Gerüchte, hätte man sich das fragen können, so Kreutzer, doch könne man Produktionen auf Grundlage von Gerüchten nicht einfach beenden oder Szenen herausschneiden. „Wir hätten uns vertragsbrüchig gemacht.“

Gegenüber der „SZ“ verwies Kreutzer auf den Umstand, dass die Dreharbeiten zu „Corsage“ beendet waren, als die Gerüchte rund um Teichtmeister aufgekommen seien. Sie habe ihn zweimal zur Vorbereitung auf den Film getroffen und elf Tage mit ihm gedreht. „Meine Verbindung mit Teichtmeister geht darüber nicht hinaus“, gab die Regisseurin an. Am Set sei er „bis zu einem gewissen Grad unnahbar geblieben“.

„Klar dementiert“

Erfahren habe sie von den Vorwürfen durch anonymisierte Medienberichte. Sie habe Teichtmeister daraufhin per E-Mail gefragt, was an den Gerüchten dran sei. Teichtmeister habe „klar dementiert“, so Kreutzer. In die Pressearbeit zu „Corsage“ habe man ihn nicht eingebunden. Auf einigen Premieren traten sie dennoch gemeinsam auf. „Man kann natürlich sagen, wir hätten das ganz aktiv unterbinden können. Aber da kommen wir in den problematischen Bereich, wie man mit Gerüchten umgeht. Auch dafür gibt es kein Protokoll, nicht mal ein moralisches“, so die Regisseurin.

„Das ist mein größtes Unglück“

Auch jener zweite, namentlich nicht genannte „Corsage“-Schauspieler, der mit Vorwürfen sexueller Belästigung konfrontiert ist, war bei „ORF III LIVE“ Thema. Dieser wandte sich per Anwältin an die Öffentlichkeit, wies die Vorwürfe zurück und bestand darauf, auch weiterhin nicht beim Namen genannt zu werden. „Das ist eine ganz andere Geschichte, die hochproblematisch ist“, so Kreutzer. „Das ist mein größtes Unglück“, sie habe „den beiden Männern vertraut, das war vielleicht nicht richtig“.

Gegenüber der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „profil“ hielt Kreutzer dazu fest, dass dieser Schauspieler ihr in vielen Gesprächen versichert habe, dass gegen ihn keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe vorlägen und er nie übergriffig gehandelt hätte. Dass er sich nun über seine Anwältin geäußert habe, sei „gut und richtig“. Dass er das ohne Namensnennung macht, könne sie zwar verstehen. Doch müssten damit alle Männer, die an diesem Film mitgewirkt haben, damit leben, unter Verdacht zu stehen, so Kreutzer gegenüber „ORF III LIVE“ und „profil“.

Ruf nach Kinderschutzkonzepten im Film

Auch merkte Kreutzer an, dass es in der Branche noch an Regeln für den „schwierigen Umgang mit öffentlichen, aber anonymisierten Vorwürfen über sexuelle Belästigung durch Mitglieder eines Filmteams außerhalb einer Produktion“ mangle. Es gibt keine verpflichtende Kinderschutzkonzepte (…) im Film, so Kreutzer. Zwar gebe es einen Code of Ethics zum Umgang untereinander, aber Kinderschutzkonzepte würden fehlen, sagte Kreutzer. „Das ist ehrlich gesagt der Fokus, die Frage, was wir tun können“, sagte die Regisseurin.

Seit September 2020 arbeitet Kreutzer an einem neuen Filmstoff und befasst sich dabei unter dem Arbeitstitel „Johnny Maccaroni“ mit einem ähnlichen Themenkreis wie der Fall Teichtmeister. „Ich wollte das tun, was ich kann: Nämlich eine Geschichte zu erzählen, um die Wahrnehmung zu schärfen oder eine Sensibilisierung für die Thematik zu schaffen“, erklärte Kreutzer der „SZ“ und „ORFIII LIVE“ dazu. Die Recherche gestalte sich „hart und schmerzhaft“. Immer wieder sei sie unsicher, ob der Film überhaupt zustandekomme.

„Bei Weitem kein Einzelfall“

Gegenüber der „SZ“ sagte Kreutzer: „Wie es mir geht, ist natürlich unwichtig in Relation zu den Opfern von Kindesmissbrauch, von denen bestimmt viele, die jetzt erwachsen sind, diesen Fall verfolgen und retraumatisiert werden“, sagte Kreutzer. Wichtiger als jeder Preis sei aber, „sich jetzt mit dem Delikt selbst auseinanderzusetzen und damit, was da eigentlich passiert ist“. Generell sei der Fall Teichtmeister „bei Weitem kein Einzelfall, wenngleich ein sehr prominenter Fall“, so Kreutzer.

„Schweigekartell“ in Kulturbranche?

Ruzowitzky hielt es für „katastrophal“, wenn nun so getan werde, als gäbe es ein „Schweigekartell“ in der Kulturbranche. Man habe viel von der MeToo-Debatte gelernt, es habe sich viel verändert. Eva Blimlinger, Kultursprecherin der Grünen, sah zwar kein Kartell des Schweigens in der Branche, aber „ein Kartell des Ignorierens, wenn es um mutmaßliche Täter geht“. Das sei das Hauptproblem. „Der springende Punkt für mich ist, Glauben zu schenken“, so Blimlinger bei „Im Zentrum“.

Das Burgtheater wurde über den Ermittlungsstand in der Causa Teichtmeister nicht von den Behörden informiert. Blimlinger trat bei „Im Zentrum“ dafür ein, dass Arbeitgeber künftig im Falle solcher Ermittlungen verständigt werden müssen. Es liege dann immer noch am Arbeitgeber, was er mit den Informationen mache.

Kulturjournalist Heinz Sichrovsky trat bei „ORFIII LIVE“ dafür ein, das Werk von den Künstlerinnen und Künstlern zu trennen, andernfalls müsse man beginnen, die gesamte Kulturgeschichte auf Verfehlungen zu durchforsten. „Das halte ich für ganz und gar bedenklich.“ Wenig Verständnis zeigte er dafür, dass das Burgtheater Teichtmeister auch nach Vorliegen des Verdachts weiter in Hauptrollen auf die Bühne schickte und ihn nun auf Schadenersatz klagen will. „Das erscheint mir schon sehr absurd“, so Sichrovsky.

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