Russen-Söldner: Streit mit Moskau verschärft sich

6 Mär 2023

Wagner-Chef Prigoschin kritisiert die Militärführung in Moskau.

APA/AFP

06.03.2023 um 17:53, APA, Red

Der Streit zwischen der russischen Militärführung in Moskau und der russischen Söldnertruppe Wagner um Prigoschin verschärft sich weiter.

Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin erklärte am Montag auf Telegram, seinem Vertreter sei der Zugang zum russischen Einsatzhauptquartier in der Ukraine verwehrt worden. Zuvor hatte Prigoschin Russland vor einem Frontzusammenbruch bei der schwer umkämpften Stadt Bachmut gewarnt, wenn seine Kräfte dort nicht bald die versprochene Munition bekämen und sich deshalb zurückziehen müssten.

Bachmut "zerschlagen"

Prigoschin erklärte später aber auch, seine Truppen würden weiterhin die ukrainische Armee in Bachmut "zerschlagen". Der Streit über die Munition zieht sich bereits seit einiger Zeit hin und bringt Prigoschin vor allem gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow auf. Am Sonntag hatte Prigoschin nach eigenen Angaben schriftlich bei der russischen Militärführung in der Ukraine - Gerassimow selbst - Munitionsnachschub gefordert. Am Montag erklärte er mit Blick auf ausbleibende Munitionslieferungen: "Im Moment versuchen wir herauszufinden, was der Grund dafür ist: Ist es nur gewöhnliche Bürokratie oder ein Verrat."

Ukrainischer Rückzug

Laut Militärbeobachtern könnte Kiew einen Teil seiner Streitkräfte aus der seit Monaten umkämpften Stadt Bachmut abziehen. "Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen", schrieb das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW). Russischen Militärbloggern zufolge nahm die dort kämpfende Söldnertruppe Wagner inzwischen Teile im Osten, Süden und Norden Bachmuts ein.

Kiew: "Anhaltende Kämpfe"

Eine offizielle Bestätigung für den Abzug gab es vom ukrainischen Militär bisher nicht. Auf den Lagekarten sind die Gebiete östlich des Bachmutka-Flusses allerdings inzwischen als russisch oder sogenannte Grauzone eingezeichnet. Der ukrainische Generalstab berichtete Montagfrüh in seinem Lagebericht über anhaltende Kämpfe in dem Raum. Beschossen worden seien sowohl die Stadt selbst als auch etliche Vororte von russischer Seite. Am Sonntag seien 95 Angriffe in der Region Bachmut abgewehrt worden, teilte das Militär mit. Zugleich wurden aber auch Vorstöße der russischen Truppen nördlich von Bachmut eingeräumt. Wolodymyr Nasarenko, ein ukrainischer Kommandant in Bachmut, erklärte auf Telegram, die Verteidigung halte, auch wenn die Lage kritisch sei. "Die Situation in Bachmut und Umgebung ist ziemlich die Hölle, wie auf der ganzen Ostfront." Aber es habe keinen Befehl zum Rückzug gegeben.

Fortsetzung der Verteidigungsoperation

Nach einer Lagebesprechung am Montag zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj, Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj und dem Chef der Landstreitkräfte, Olexander Syrskyj, wurde nach Angaben Kiews beschlossen, Bachmut zumindest vorerst weiter zu halten. Der Präsident habe Saluschnyj und Syrskyj nach der Zweckmäßigkeit der Verteidigung befragt, heißt es auf der Seite des Präsidialamts. "Sie haben sich für die Fortsetzung der Verteidigungsoperation und die weitere Stärkung unserer Positionen in Bachmut ausgesprochen", heißt es weiter. Der Bericht könnte Beobachtern zufolge eine Reaktion sein auf unter anderem von der "Bild"-Zeitung veröffentlichte Gerüchte über ein Zerwürfnis zwischen Selenskyj und Saluschnyj über das Vorgehen in Bachmut.

Russische Winter-Offensive

Für Russland wäre die Einnahme der Stadt der erste Triumph in einer nach Mobilmachung Hunderttausender Reservisten gefürchteten Winter-Offensive. Bachmut gilt der Regierung in Moskau als strategisch wichtig für die vollständige Eroberung des Donbass - einem der wichtigsten Ziele Russlands in dem vor gut einem Jahr begonnenen Krieg.

Verteidigungsminister in Mariupol

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu besuchte unterdessen nach offiziellen Angaben die ukrainische Hafenstadt Mariupol, die im Frühjahr 2022 bei der Eroberung durch Moskauer Truppen zerstört wurde. Schoigu habe während seiner Inspektionsreise durch den Donbass in Mariupol die Arbeit der Baubrigaden kontrolliert, teilte das Verteidigungsministerium am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit. Auf den Videoaufnahmen ist der 67-jährige Schoigu unter anderem in einem neu gebauten Lazarett und vor dem Gebäude des Zivilschutzes zu sehen. Es ist bereits der zweite Besuch Schoigus innerhalb weniger Tage in der von russischen Truppen teilweise annektierten ukrainischen Region Donezk, nachdem er am Wochenende die Front dort besucht haben soll. Die Bilder sollen wohl die Aktivität und Fürsorge der russischen Führung demonstrieren.

Kritik an Kriegsführung

Zuletzt mehrte sich Kritik, die Verantwortlichen in Moskau führten den Krieg nur aus ihren Kabinetten und kümmerten sich nicht um die Sorgen der Soldaten und der örtlichen Bevölkerung, die Russland nach eigenem Verständnis befreit hatte. Nicht nur Prigoschin, sondern auch Kommentatoren und Kriegsverfechter in Russland haben Verteidigungsminister Schoigu für den Verlauf des Krieges kritisiert, der nicht den raschen Sieg, dafür aber mehrere herbe Rückschläge brachte. Bisher hat Schoigu selten die russischen Truppen in der Ukraine besucht.

Befehlsverweigerung?

Unterdessen erklärte das ukrainische Militär, dass Kommandanten von Russlands 155. Brigade, die bei der Stadt Wuhledar südlich von Bachmut im Einsatz sind, Befehle verweigerten. Laut der Ukraine hat Russland dort zuletzt schwere Verluste erlitten. Hochrangige Offiziere weigerten sich nun, Anordnungen von ungeschulten Befehlshabern zu befolgen, "nämlich gut verteidigte ukrainische Stellungen ohne jeglichen Schutz oder Vorbereitung zu stürmen". Die Darstellung konnte - ebenso wie Berichte über das Kampfgeschehen - zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Altes Kriegsmaterial

Laut britischen Geheimdiensten ersetzt Russland wegen Materialmangel zerstörte Fahrzeuge durch jahrzehntealte Modelle. Zuletzt seien sogar Transportpanzer des sowjetischen Typs BTR-50 in der Ukraine eingesetzt worden, die seit 1954 hergestellt wurden, teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Zerstörte Kampfpanzer würden bereits seit Monaten durch alte Modelle des Typs T-62 ersetzt. Selbst die 1. Gardepanzerarmee, eine der prestigeträchtigsten Einheiten, habe solche Panzer erhalten, um ihre Verluste an modernen Panzern auszugleichen. "Seit Sommer 2022 wurden etwa 800 T-62 aus den Lagern geholt", hieß es in London weiter. "Einige haben verbesserte Visiersysteme erhalten, die ihre Wirksamkeit bei Nacht höchstwahrscheinlich verbessern." Allerdings hätten die Fahrzeuge viele Schwachstellen, so fehle eine moderne Reaktivpanzerung.

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