Londoner Gericht entscheidet über Auslieferung von Julian Assange

21 Feb 2024

Von OÖN, 21. Februar 2024, 04:05 Uhr

Julian Assange - Figure 1
Foto nachrichten.at
Für viele ist der WikiLeaks-Gründer Assange ein Freiheitskämpfer. Bild: APA/AFP/JUSTIN TALLIS LONDON. Es geht um "Leben oder Tod", sagt seine Gattin – in den USA drohen ihm 175 Jahre Haft

Seit Jahren kämpft WikiLeaks-Gründer Julian Assange gegen seine Auslieferung an die USA, der Rechtsweg ist fast ausgeschöpft. In London hat gestern seine womöglich letzte Anhörung begonnen. Das Oberste Gericht soll entscheiden, ob Julian Assange ein Recht auf Berufung hat. "Jetzt geht es um Leben oder Tod", warnt seine Frau Stella. Denn wenn der 52-Jährige von Großbritannien an die USA ausgeliefert werde, könne er die Haft nicht überstehen, fürchtet sie. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Die Anhörung ist für zwei Tage angesetzt. Ein Urteil wird Ende der Woche erwartet.

Bereits in der Früh demonstrierten eine Handvoll Unterstützer Assanges vor dem Londoner Gericht. Sie schwenkten Plakate mit der Aufschrift "Freiheit für Julian Assange" und riefen in Sprechchören: "Es gibt nur eine Entscheidung: keine Auslieferung."

Letzte Hoffnung EU-Gericht

Die sofortige Entlassung von Julian Assange steht diesmal allerdings gar nicht zur Verhandlung. Bestenfalls kann der gebürtige Australier erreichen, dass er gegen die vom britischen Innenministerium schon beschlossene Auslieferung an die USA noch einmal Berufung einlegen darf. Wird sie ihm verweigert, droht die Abschiebung innerhalb von 28 Tagen. Dann kann ihn nur noch eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) davor bewahren, den amerikanischen Behörden überstellt zu werden. Allerdings ist fraglich, ob die britische Regierung eine Entscheidung des EGMR überhaupt akzeptieren würde. London befindet sich derzeit im Streit mit dem Gerichtshof, nachdem dieser die von der Regierung beschlossene Abschiebung von Asylwerbern ins afrikanische Ruanda blockiert hatte.

Assange nahm gestern jedenfalls nicht persönlich an dem Gerichtstermin teil. Nach Angaben seines Anwalts fühlte er sich "unwohl". Sein Gesundheitszustand gilt ohnehin als kritisch. Er hatte bereits einen Schlaganfall und sich zuletzt aufgrund krampfartiger Hustenanfälle eine gebrochene Rippe zugezogen. Außerdem habe er, wie sein Anwalt sagt, "mentale Probleme". Seine Ehefrau Stella macht die Behörden für seinen Zustand verantwortlich: Die Gefängniszelle, in der Julian Assange seit 2019 im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert ist, ist zwei mal drei Meter groß. Hier ist er 21 Stunden am Tag allein eingesperrt.

Lesen Sie mehr im Kommentar: "Unser Nawalny"

Der Fall beschäftigt schon seit 14 Jahren die Weltöffentlichkeit. Weltweit berühmt geworden ist Assange Anfang der 2010er-Jahre. Damals veröffentlichte WikiLeaks in mehreren Runden Hunderttausende interne Dokumente des US-Militärs. Darin enthalten waren unter anderem Hinweise darauf, dass es sowohl im Irak als auch in Afghanistan mehr zivile Todesopfer durch die USA und Koalitionstruppen gab, als Washington öffentlich zugab. Die brisanten Papiere deuteten auch darauf hin, dass den USA bekannt war, dass irakische Sicherheitskräfte Kriegsgefangene folterten. Die Enthüllungen lösten einen internationalen Aufschrei aus und brachten Washington in Erklärungsnot.

Dass Assange überhaupt in einem Gefängnis für Terroristen und Schwerverbrecher festgehalten werde, sei ein "Skandal", kritisiert der österreichische Menschenrechtsexperte Manfred Nowak. Denn eigentlich handle es sich nur um eine "Auslieferungshaft". Im Falle einer Auslieferung in die USA würden den WikiLeaks-Gründer noch schwierigere Haftbedingungen erwarten.

Der Fall geht aber weit über die Person Julian Assange hinaus. Assanges Auslieferung hätte verstörende Auswirkungen auf die Pressefreiheit. Der investigative Journalismus selbst wäre bedroht und könnte als "Spionage" weltweit strafverfolgt werden.

WikiLeaks

WikiLeaks wurde 2009 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als die Plattform hunderttausende Nachrichten von Funkmeldeempfängern, sogenannten Pagern, veröffentlichte. Die Nachrichten wurden am Tag der Terroranschläge vom 11. September 2001 verschickt. Ab November 2010 publizierte die Plattform mithilfe großer internationaler Medienhäuser mehr als 250.000 als geheim eingestufte Dokumente. Dieses „Cablegate“ genannte Leak legte die Aktivitäten der USA in den Kriegen in Afghanistan und im Irak teilweise offen. Dabei ging es auch um die Tötung von Zivilisten und die Misshandlung von Gefangenen.

Mit der Veröffentlichung wurde Assange zum Staatsfeind der USA.

Ohne US-Militär-Whistleblower Chelsea Manning wäre „Cablegate“ nicht möglich gewesen: Manning leitete mehr als 700.000 als geheim eingestufte Dokumente an WikiLeaks weiter. Im Jahr 2013 wurde Manning dafür zu 35 Jahren Haft verurteilt, später dank US-Präsident Barack Obama freigelassen.

Leserfavoriten »

Aktuelle Meldungen

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten