Klimt-Werk »Bildnis Fräulein Lieser«: Das Geheimnis des ...

6 Tage vor

Blick auf das »Bildnis Fräulein Lieser« in Wien

Foto: Eva Manhart / APA / dpa

Zum dritten und letzten Mal donnert der Hammer aufs Holzpult. Um 17. 33 Uhr ist das letzte, siegreiche Gebot hinterlegt, an diesem Mittwochabend im Wiener Palais Kinsky: 30 Millionen Euro. Für eine solche Summe wurde in Österreich noch kein Kunstwerk versteigert.

Gustav Klimt - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

Gustav Klimts »Bildnis Fräulein Lieser« galt fast hundert Jahre lang als verschollen. Entsprechend wurde die Versteigerung dieses Meisterwerks der Moderne im Vorfeld mit Fanfarenstößen und Trommelwirbel angekündigt. Das Spätwerk Klimts sei eine »grandiose Wiederentdeckung«, ja eine Sensation, hatte das »Auktionshaus im Kinsky« verkünden lassen: »Seit Jahrzehnten konnte der Kunstmarkt in Mitteleuropa kein Gemälde präsentieren, das in Seltenheit, künstlerischem Rang und Wert vergleichbar gewesen wäre.«

Klimts unvollendetes Bild zeigt eine junge Dame in farbenfrohem Umhang vor rötlich-orangem Hintergrund. Es fehlen letzte Details und die Signatur des Künstlers. Das Werk geht nun über in die Hände der asiatischen Dame, die drei Plätze neben mir sitzt – und die sich ihre Anweisungen während des Bietens via Handy besorgt.

Beifall brandet auf im brechend vollen Auktionssaal des dreihundertjährigen barocken Palais. Die bisherige Rekordmarke des »Auktionshauses im Kinsky« lag bei 4,4 Millionen Euro – bezahlt 2010 für Egon Schieles »Prozession«. Nun also wurde fast das Siebenfache erzielt.

In der Vergangenheit gab es Klimt-Gemälde, die mehr einspielten: Das Porträt »Adele Bloch Bauer II« etwa wurde von der TV-Moderatorin und Milliardärin Oprah Winfrey für 88 Millionen Dollar ersteigert und Jahre später für 150 Milionen Dollar weitergereicht – eine Rendite von satten 70 Prozent. Bei Sotheby’s wechselte die »Dame mit Fächer« im vergangenen Juni für knapp 100 Millionen Euro den Besitzer; Christie’s rief für Klimts »Birkenwald« erfolgreich mehr als 95 Millionen Euro auf.

Aber Wien ist nicht London oder New York, und das »Auktionshaus im Kinsky« gilt selbst innerhalb Österreichs allenfalls als Nummer zwei. Und doch hat man es dort geschafft, ein Bild weitgehend unfallfrei auf den Markt zu bringen, dessen Geschichte das Zeug zum Kriminalroman hat.

Klimt, das bärtige Genie mit Stirnglatze, war 1918 an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben. Er hinterließ ein gewaltiges, in Teilen unvollendetes Werk. Über Klimts Künstleralltag schrieb Florian Illies: »Wenn er morgens kommt, warten vor der Tür schon die Frauen, die sich danach sehnen, sich für ihn auszuziehen.« Klimt habe bei der Arbeit »nichts unter seinem weiten Kittel getragen«, für alle Fälle – es könnte sich ja spontan »der Mann im Maler« melden. Nach Klimts Tod wurden 14 ehemalige Modelle mit Vaterschaftsanträgen vorstellig. Dabei wohnte der Frauenverehrer noch als Fünfzigjähriger bei seiner Mama.

Das Profane und das Erhabene Seite an Seite

Um die Aufmerksamkeit auf den wiederentdeckten Klimt zu lenken, war das »Bildnis Fräulein Lieser« für Normalsterbliche bereits ab dem 13. April zur Besichtigung freigegeben worden. 15.000 Menschen drängten sich binnen weniger Tage durch die altehrwürdigen Räume des für Feldmarschall Graf Daun errichteten Palastes, um das 1917 entstandene Werk zu bestaunen und zu fotografieren. Wer wollte, konnte danach Grünen Veltliner, geadelt mit dem Etikett »Gustav Klimt Sale Special Edition«, für bescheidene 25 Euro pro Flasche erwerben.

Das Profane und das Erhabene Seite an Seite, im Umgang der Wiener mit Klimt gehört das zum Alltag. Wer in den Innenstadt-Souvenirläden der österreichischen Hauptstadt stöbert, findet emblematische Kunstwerke des Mitbegründers der Secession in vielfältiger Ausführung wieder: verewigt auf Espressotassen, Kuchenplatten, Strandtaschen.

Ausgerechnet unweit des Stephansdoms, wo heute vom Massentourismus genährt der Kitsch Konjunktur hat, soll Klimts verschollenes Spätwerk jahrelang überdauert haben: in den Händen von Adolf Hagenauer, dem Inhaber eines Delikatessengeschäfts an den Tuchlauben. Dem Mann, einem NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, fiel nach jetzigem Kenntnisstand das »Bildnis Fräulein Lieser« während des Zweiten Weltkriegs zu.

Bei ihm soll die ursprüngliche Eigentümerin Henriette »Lilly« Lieser das Bild in Verwahrung gegeben haben. Sie dürfte so gut wie mittellos gewesen sein – nach erzwungener Veräußerung großer Teile ihres Vermögens und der von den Nationalsozialisten verordneten Bezahlung von Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe. Nicht auszuschließen, dass das Klimt-Bild im Tausch gegen Lebensmittel den Besitzer wechselte. Lilly Lieser starb später in den Gaskammern der Nationalsozialisten. Ein Stolperstein vor ihrer einstigen Wiener Villa erinnert bis heute daran.

Von Kindheit an kannte Lieser keinen Mangel: als geborene Landau war sie Tochter einer der reichsten Familien der Monarchie; später heiratete sie den Kaiserlichen Rat Justus Lieser, Mitgesellschafter der »I. österreichischen mechanischen Hanfspinnerei, Bindfaden- und Seilfabrik«. Außer einem Klimt-Werk besaß sie »Munch, Cezanne, Rembrandt, Kokoschka«, diese »Judenassel« Lieser, so Helene Berg – die antisemitisch geifernde Ehefrau des Komponisten Alban Berg, mutmaßlich uneheliche Tochter von Kaiser Franz Joseph I.

Hochkultur und Holocaust, NS-Mitläufertum und Nachkriegsaufarbeitung: Wie im Brennglas gebündelt zeigen sich die Verwerfungen des vergangenen Jahrhunderts am Beispiel der Rätsel um das »Bildnis Fräulein Lieser«. Wurde das Werk arisiert, also geraubt, oder nur zu treuen Händen übergeben? War es wirklich Lillys Tochter Helene, die von Klimt nach neun Sitzungen in seinem Atelier nahe Schloss Schönbrunn verewigt wurde? Jene Helene, die später als erste Österreicherin im Fach Staatswissenschaften promovieren sollte? Oder zeigt das Gemälde nicht doch, wie bisher von der Fachwelt angenommen, die Cousine Margarete Constanze Lieser?

Die Frage ist von erheblichem Gewicht, weil ihre Beantwortung Rückschlüsse auf die rechtmäßigen Besitzer und Erben zuließe. Im Interesse einer Klärung wurde daher vor Auktionsbeginn nichts unversucht gelassen: Mit den Mitteln KI-gestützter Alterung glich man die von Klimt Porträtierte mit einem Passfoto der später in die USA ausgewanderten Helene ab. Künstliche Verjüngung via Face App sollte im Vergleich mit einem Jugendfoto Helenes deren durch Pigmentstörung charakteristische Augenbraue als Nachweis beisteuern.

Schlagende Beweise aber blieben aus. Der Leiter des Auktionshauses Ernst Ploil entschloss sich deshalb zu einer salomonischen Vorgehensweise. Er handelte einen geheim gehaltenen Verteilungsschlüssel aus: mit den Nachfahren beider Familienzweige und mit dem bisherigen »Besitzer« des Gemäldes, einem entfernt verwandten Nachfahren des nationalsozialistischen Delikatessenhändlers. Auf diese Weise geregelt, scheint nun der Anteil, zu dem die Parteien vom Millionenertrag profitieren: Ploil und das Auktionshaus erhalten 14 Prozent – das entspräche einer Summe von gut vier Millionen Euro.

Vier Tage lang soll das »Bildnis Fräulein Lieser« kommende Woche noch öffentlich zu sehen sein. Dann wird es in unbekannter Richtung Wien verlassen – die Stadt, in der sich Klimt ruhelos seiner Kunst verschrieb.

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