„Babylon“: Dieser Film ist nur dazu da, den Exzess zu feiern

19 Jan 2023

Natürlich weiß jeder Kinokenner, dass man Filme wie „Jeanne Dielman“ oder „Triangle of Sadness“ bedeutend finden muss. Leider sind das Langweiler ohne Gemetzel, gewaltige Explosionen und Nacktszenen mit keinem höheren Zweck, als Nacktheit zu zeigen.

Vielleicht geht es deswegen dem Kino nicht mehr wirklich gut. Warum sollte man viel Geld für Popcorn ausgeben und sich mit Leuten, die man nicht kennt, etwas reinziehen, für das auch ein Handy reicht? Für Kapitalismusanalyse und Tiefsinn braucht man kein Dolby Surround.

Es war einmal anders, vor ungefähr hundert Jahren. Damals durften Regisseure noch die durchgeknalltesten Geschichten erzählen, Menschenmassen durch die Wüste scheuchen oder Babylon wiederaufbauen, falls es ihnen gerade einfiel. Und die Schauspieler mussten nicht Texte lernen, sondern konnten sich auf ihre Kernkompetenzen beschränken: gut aussehen, Mimik in die Kamera halten, weinen, blankziehen.

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Jenseits ihrer Arbeit schlugen sie ungestraft über die Stränge, es gab ja noch niemanden, der auf sie achtgab und ihnen philanthropische Bemühungen gutschrieb. So jedenfalls soll es gewesen sein, als Hollywood noch eine richtige Traumfabrik war. Schade eigentlich, dass es das nicht mehr gibt.

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Das hat sich auch Damien Chazelle gedacht. Und ein Spektakel gedreht, das drei Stunden lang die Sau rauslässt, bei jeder Einstellung merkt man, wie viel Geld, Körperflüssigkeiten und Lust zum Schockieren mobilisiert wurden.

„Babylon“ erzählt, falls man es denn erzählen nennen will, von den Jahren, in denen Hollywood ein permanent auf Hochtouren laufendes Berghain war, in dem Filme eher nebenbei entstanden.

Mit Klapperschlangen kämpfen

Aus der Provinz geflohene Möchtegerne, die Stars werden wollen; Legenden in albernen Kostümen. Sträflinge, die mit Schwertern aufeinander einhauen; Frauen, die in eine Bar kommen und nur mit ihrem Aussehen zehn Männer plattmachen. Fahrer, die undichte Elefanten transportieren und Leichen entsorgen.

Partys, bei denen Zwerge geworfen werden, Champagnerflaschen in dafür nicht vorgesehenen Körperöffnungen versenkt werden und goldene Duschen strömen. Falls das zu langweilig wird, fahren die Leute eben hinaus in die Wildnis, um mit einer Klapperschlange zu kämpfen.

Die Handlung ist nicht weiter der Rede wert: Drei Menschen – gespielt von Margot Robbie, Brad Pitt und Diego Calva – versuchen, sich in Hollywood zu behaupten, erleben dabei ganz schön viel und steigen als Verlierer aus. „Babylon“ ist im Grunde nur dafür da, den Exzess zu feiern.

Und Action: Diego Calva und Brad Pitt in „Babylon“

Und Action: Diego Calva und Brad Pitt in „Babylon“

Quelle: Scott Garfield/© 2022 Paramount Pictures

.Und zu betrauern, dass ihm irgendwann der Stecker gezogen wurde – zu vulgär, zu unmoralisch, viel zu teuer. Außerdem kam der Tonfilm in Mode: Selbst die hibbeligsten und zugekokstesten Schauspieler mussten still auf ihren Markierungskreuzen stehen, Toningenieure übernahmen die Macht, Neuankömmlinge vom Land brauchten Sprach- und Manierentraining.

Stars, die nie jemanden mit Worten behelligt hatten, weil ihr Gesicht ausreichte, mussten jetzt „Ich liebe dich“ sagen und klangen dabei so peinlich, dass ihr Gesicht fortan nicht mehr zog.

So ein Film ist „Babylon“: eine Aneinanderreihung von Beobachtungen, Effekten, Vignetten und Pointen, die zeigen will, wie immens viel das Kino durch Zurückhaltung und Anspruch verloren hat. Es ist eine zwar unbarmherzige Maschine, die Menschen wieder auswürgt, sobald sie dem Publikum nicht mehr vermittelbar sind, doch eine, die immer wieder Magie produziert.

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Etwas, wie Brad Pitt einmal sagt, das der Tankwart sehen will – anders als den Ibsen-Scheiß, den sich die Theaterheinis einbilden, die mit dem Tonfilm gekommen sind. Doch auch er nimmt kein gutes Ende, weil ihn der Tankwart und seine Frau irgendwann nicht mehr sehen wollen, obwohl er so lange für Magie gesorgt hat. Alles hat seine Zeit, und irgendwann eben nicht mehr.

An den amerikanischen Kinokassen funktioniert „Babylon“ nicht wie erhofft. Eine große Überraschung ist das nicht. Abgesänge können ja erst gesungen, Trauertränen erst vergossen werden, wenn das, dem sie gelten, nicht mehr existiert. Und die Menschen da draußen sind tatsächlich so herzlos, wie „Babylon“ es konstatiert. Sie wollen weniger in eine Vergangenheit schauen, in der Partys noch so ausschweifend waren, wie sie es selbst nie erleben werden, als mit etwas beschenkt werden, das ihnen ein wenig durch die Gegenwart hilft.

Ob sie weinen könne, wird die von Margot Robbie gespielte Schauspielerin einmal gefragt, und sie antwortet darauf: „Kein Problem. Eine oder zwei Tränen?“ Für das alte Hollywood hätte eine einzige genügt, Damien Chazelle hat sich dafür entschieden, ein paar Hektoliter zu vergießen. Die Stummfilm-Großaufnahme allerdings, in der es aus Robbies Auge fließt, ist pure Magie.

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