Weltrekord im Eiskunstlauf: Der junge Gott der Vierfachsprünge

Ilia Malinin

Der selbsternannte „Quad God“, also der „Gott“ der Vierfachsprünge, „flog“, wie er es selbst empfand, zum Abschluss der spektakulären Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft in Montreal durch seine Kür.

Umrauscht vom frenetischen Jubel eines hingerissenen Publikums, das sich mit dem 19 Jahre alten Amerikaner usbekischer Herkunft aufmachte zu einer Art Überschallflug in die höchsten Schwierigkeitssphären dieser Sportart für wagemutige Artisten und stilprägende Künstlernaturen.

Ilia Malinin ist noch zu jung, um sich selbst auch schon als einfühlsamer Figurenzeichner präsentieren zu können. Der junge Mann aus Fairfax/Virginia ist dafür aber in dem Alter angekommen, in dem Himmelsstürmer auf Kufen unglaubliche Ziele ansteuern können.

Der neue Weltmeister, nach dem Kurzprogramm noch Dritter der WM, startete in seine Weltrekord-Kür gleich mal mit dem Vierfachaxel, dem Nonplusultra im Kanon der sechs Sprünge, und ließ danach weitere fünf „Vierfache“ folgen. Allein den Vierfachflip vertagte der von der Schwerkraft scheinbar unberührte Amerikaner auf ein anderes Mal.

„Lasst euch überraschen!“

Auf die Frage, was denn als Nächstes kommen könne, antwortete Malinin, den während der Woche Schmerzen am linken Fuß geplagt hatten: „Lasst euch überraschen!“ Ob er etwa einen fünffach rotierten Sprung in seine Flugshow integrieren will und überstehen kann?

Nichts scheint unmöglich bei diesem jungen Mann, der sich gleichwohl bis zur Kür seines Lebens, gekrönt mit dem ersten Weltmeistertitel für den Vorjahresdritten, mit Skrupeln herumplagte. „Als ich auf das Eis kam“, schilderte er seine labile Befindlichkeit kurz vor dem Start ins Kunstlauf-All, „wusste ich nicht, was passieren würde. Ich könnte die Kür meines Lebens laufen, oder es könnte total schiefgehen.“

Am Ende der atemraubenden letzten Vorstellung dieser WM am späten Samstagabend (Ortszeit) hatte Malinin, der aufs Eis sank und für einen Moment ganz bei sich bleiben wollte, alle Ziele bei seinem Aufbruch zu neuen Horizonten erreicht. Ihm am nächsten kam der drittplatzierte französische Europameister Adam Him Siao Fam, der nach seinem vollkommenen missratenen Kurzprogramm nur 19. war.

Er katapultierte sich mit vier Vierfachsätzen und trotz eines verbotenen und mit zwei Minuspunkten sanktionierten famosen Rückwärtssalto noch bis auf Rang drei. Hinter dem Japaner Yuma Kagiyama, der anders als sein von Platz eins nach der Kurzkür auf Rang vier abgestürztem Landsmann und Titelverteidiger Shoma Uno auf hohem Niveau mithalten konnte und dennoch 24 Punkte hinter dem Gladiator Malinin gelandet war.

Dessen Triumph auf einsamer Höhe illustrierte die auf den ersten Blick unendlichen Möglichkeiten, die in der Traditionssportart Eiskunstlauf stecken. Sie sind aber nicht begrenzt auf junge Höhenflieger wie Malinin oder die derzeit wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine nicht zugelassenen russischen Vierfachspringerinnen.

Die älteste Weltmeisterin der Geschichte

Dass in Montreal die 40 Jahre alte, für Kanada gemeinsam mit Maxime Deschamps startende amerikanische Paarläuferin Deanna Stellato-Dudek die älteste Weltmeisterin in der Geschichte dieses Sports wurde, kann womöglich beflügelnd für die Karrieren anderer Spitzensportler sein.

„Ich bin stolz darauf“, hob die in ihrer Jugend von vielen Verletzungen geplagte und nach 16 Jahren ohne Spitzensportaktivitäten 2016 in die Eisarenen zurückgekehrte frühere Zweite der Damenkonkurrenz bei der Juniorenweltmeisterschaft 2000 hervor. „Ich hoffe, dass mein Beispiel noch andere Athleten dazu ermutigt, nicht aufzuhören, ehe sie ihr ganzes Potential ausgeschöpft haben.“

Dass der Eiskunstlauf in der jüngeren Vergangenheit von den Drehmomenten der vierfach springenden russischen Wunderkinder in der Damenkonkurrenz bestimmt wurde, die so schnell kamen wie sie gingen, hat dazu geführt, dass die Internationale Eislauf-Union in der Disziplin Eiskunstlauf das Mindestalter für Teilnehmer an Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen von 15 auf 17 Jahre angehoben hat.

Eine weise und reife Entscheidung, die genug Raum bietet für juvenile Vierfachflieger wie Ilia Malinin und lebenserfahrene Rückkehrer wie Deanna Stellato-Dudek, die ihr großes Glück im Sport als Paarläuferin und eine Art Grand Old Lady beim Generationenfestival in Montreal gefunden hat.

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