Pandemie: Der rätselhafte Fall eines Mannes, der 613 Tage lang ...

6 Tage vor

Gesundheit Pandemie

Der rätselhafte Fall eines Mannes, der 613 Tage lang coronapositiv war

Stand: 13:19 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten

613 Tage Corona - Figure 1
Foto DIE WELT

Ob die Intensivstation oder doch häusliche Pflege besser ist – eine Frage für den Einzelfall

Quelle: Getty Images/Westend61

Mehr als 50 Mutationen in 613 Tagen – Forscher berichten von einem Corona-Patienten, dessen Immunschwäche ihn besonders anfällig für die Viren machte. Sie warnen vor hochmutierten Varianten, betonen aber, dass es möglich sein sollte, Schwerkranke zuhause zu pflegen.

Mediziner aus den Niederlanden beobachteten den Verlauf einer extrem langen Coronainfektion – und warnen vor der Entstehung gefährlicher Varianten. Im besonderen Fall handelt es sich um einen 72-jährigen Mann, der aufgrund von Vorerkrankungen immungeschwächt war und im Februar 2022 mit einer Sars-CoV-2-Infektion in eine Klinik der Universität in Amsterdam eingeliefert worden war.

Bis zu seinem Tod im Oktober 2023 sei er ununterbrochen coronapositiv gewesen – 613 Tage lang mit einer hohen Viruslast, wie es jetzt in einer Mitteilung heißt. Zuvor waren bereits andere Fälle sehr langer Infektionen bei Menschen bekannt geworden, deren Immunsystem das Virus nicht ausreichend bekämpfen konnte. Dieses scheint die bislang längste Dauer zu sein.

Lesen Sie auch

Der Fall ist für Forscher unter anderem deshalb interessant, weil sich das Coronavirus in solchen Langzeit-Infizierten besonders stark verändern kann. Das birgt die Gefahr, dass Varianten des Virus entstehen, die das Immunsystem von gesunden Menschen leichter überwinden können. Ergebnisse der Untersuchung will das Team um die Doktorandin Magda Vergouwe von der Universität Amsterdam Ende April auf dem diesjährigen Kongress der Europäischen Gesellschaft für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten, ESCMID Global Congress, in Barcelona vorstellen.

Das Ärzteteam in Amsterdam hatten immer wieder Proben aus dem Nasen- und Rachenraum des Mannes entnommen, um das Erbgut des Coronavirus zu untersuchen. Im Nachhinein stellten sie in den 27 Proben insgesamt mehr als 50 Mutationen im Vergleich zu der damals kursierenden Omikron-Variante BA.1 fest. Darunter auch solche, mit denen das Virus sich der Immunabwehr entziehen könnte, beziehungsweise solche, die beeinflussen, wie gut das Virus an den ACE-2-Rezeptor menschlicher Zellen bindet. Und schon 21 Tage, nachdem der Mann das Coronamedikament Sotrovimab per Infusion bekommen hatte, ließen sich bei dem Virus typische Merkmale einer Resistenz dagegen feststellen.

613 Tage Corona - Figure 2
Foto DIE WELT

Lesen Sie auch

Der Mann hatte aufgrund einer früheren Stammzelltransplantation Medikamente erhalten, die sein Immunsystem schwächen. Und weil sich ein sogenanntes Lymphom entwickelt hatte, wurde er zusätzlich mit dem Krebsmittel Rituximab behandelt, das alle vorhandenen B-Zellen abbaut. Einschließlich derjenigen, die normalerweise die gegen Sars-CoV-2 gerichteten Antikörper produzieren. Er wurde mit dem gegen Sars-CoV-2 gerichteten therapeutischen Antikörper Sotrovimab, dem Anti-IL6-Antikörper Sarilumab und Dexamethason behandelt – ohne klinisch darauf anzusprechen.

Der Patient war laut den Angaben mehrfach gegen Sars-CoV-2 geimpft. Als er ins Krankenhaus kam, konnte allerdings keine messbare „SARS-CoV-2-IgG-Antikörper-Reaktion“ festgestellt werden. Auch die weiteren Untersuchungen im ersten Monat – zu Antikörpern und T-Zell-Aktivitäten – deuteten darauf hin, dass das Immunsystem des Patienten nicht in der Lage war, das Virus zu beseitigen. Der Mann ist schließlich am Wiederaufflammen einer seiner Vorerkrankungen verstorben. Mit einer der mehrfach mutierten Varianten des Coronavirus hatte er, nach allem was bekannt ist, niemanden angesteckt.

Ein Risiko für die Öffentlichkeit?

„Dieser Fall unterstreicht das Risiko, das von andauernden Sars-CoV-2-Infektionen bei immungeschwächten Personen ausgeht“, erklären die Forscher. Durch die umfangreiche Entwicklung des Virus bei einem einzelnen Patienten könnten sich einzigartige Varianten herausbilden. Es sei wichtig, die Evolution des Coronavirus in immungeschwächten Personen genau zu überwachen. Es bestehe die Gefahr, dass Varianten entstehen und sich in der Gesellschaft verbreiten, denen das Immunsystem gesunder Menschen weniger anhaben kann.

Zugleich betonen Vergouwe und ihre Kollegen in der Mitteilung, dass eine strenge Überwachung zwar notwendig sei, dass aber ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit vor potenziellen neuen Varianten – und einer humanen häuslichen Pflege von schwerkranken Patienten am Lebensende gefunden werden müsse.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern

Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Als eine mögliche Lösung schlagen sie vor, einerseits auf potenzielle Risiken hinzuweisen und andererseits frühzeitig diagnostische Tests anzubieten, falls bekannte (familiäre) Kontaktpersonen entsprechende Symptome entwickeln. Dies sollte außerdem mit einer genetischen Überwachung der Virusvarianten kombiniert werden, um die potenzielle Bedrohung der Allgemeinbevölkerung gemeinsam mit Fachleuten des öffentlichen Gesundheitswesens zu bewerten.

Das Team wird diese Forschungsarbeit fortsetzen und die Verläufe von mehreren immungeschwächten Patienten untersuchen, deren Corona-Infektionen lange anhielten: zwischen einem Monat und zwei Jahren.

Der Hinweis auf die Impfung wurde noch ergänzt.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche