Kraftwerk in Schönbrunn: Ein Schloss strahlt im Elektroglanz der ...

7 Jul 2024
Kraftwerk

Die deutschen Elektronik-Pioniere Kraftwerk konzertierten am Samstag im Ehrenhof Schloss Schönbrunn. Die majestätische Kulisse adelte die bewährte Lichtshow der Band.

War das fesch! Zu einer simplen Synthie-Melodie raste ein illuminierter Nachtzug über die Fassade von Schloss Schönbrunn. Von links nach rechts, also vom Ost- zum Westflügel. Und dann aus der anderen Richtung. Dazu krächzten vom Computer verfremdete Stimmen „Trans-Europa-Express“. Dabei hieß der europäische Fernzug, der von 1957 bis 1988 durch ein noch nicht vereintes Europa fuhr, offiziell Trans-Europ-Express. Zuweilen setzt sich das Falsche durch. Diesem Faktum musste sich auch der Duden, diese eminente Rechtschreibinstitution, immer wieder beugen. Kraftwerk haben also auch sprachlich eine gewisse Macht.

Ihre herrlich reduzierten Texte sind bestens gealtert. Und immer noch freut man sich darüber, dass Wien im Text von „Trans-Europa-Express“ vorkommt: „In Vienna we sit in a late-night cafe“, lautete die auch an diesem Abend wieder über zehntausende Köpfe hinwegrauschende Zeile. Als dieses Album 1977 veröffentlicht, war es der Klang der Zukunft.

Zukunft? Vergangenheit!

Heute ist es bester Retrofuturismus. Die Gegenwart zeigt, wie hoffnungslos blauäugig sich die deutschen Elektronikpioniere dem technischen Fortschritt angedient haben. Dass damit auch ein gesellschaftlicher Rückschritt möglich wird, damit haben sie, wie ihre ganze Generation, wohl nicht gerechnet. Egal – im Ehrenhof von Schloss Schönbrunn schwelgte die reifere Jugend in den Erinnerungen an eine Zukunft, die längst Vergangenheit ist. Als die gemütsaufkräuselnden Melodien von „Radioaktivität“ bis „Tour de France“ an die gespitzten Ohren waberten, verbreitete sich rasch viel gute Laune. Natürlich nicht bei den Musikern – die waren steif, wie es sich für Düsseldorfer geziemt.

Mastermind Ralf Hütter lässt sich ja schon seit Jahrzehnten nicht mehr fotografieren. Ähnlich wie Marlene Dietrich in ihren letzten Jahren bringt er Opfer, um den Mythos zu bewahren. Und der ist noch immer recht lebendig. Roboterhaft wirkten die Musiker auch dann, wenn nicht gerade Puppen an ihrer statt auf der Bühne standen. Sie wirkten wie Eisenbahnstellwerker beim Modulieren der elektronischen Sounds. Selbst dann, als es hieß „Wir fahren, fahren, fahren auf der Autobahn“. Klassische deutsche Automobile wie ein VW-Käfer und eine Mercedes-Limousine cruisten da gemessenen Tempos über eine praktisch leere Schnellstraße. Auch eine Utopie. Ein Tempolimit gibt es bis heute nicht in Deutschland.

Das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine war stets ein zentrales Motiv im Œuvre von Kraftwerk. Und so war es nicht sehr überraschend, dass sie auch in ihre an diesem Abend englischsprachig dargebrachte Version von „Mensch-Maschine“ sehr viel Detailarbeit einfließen ließen. Es plöngelte und zwitscherte, brummte und zischte auf eine Art, die noch den ältesten anwesenden Kindern gefiel.

Dem Kaiser hätt’s gefallen

Die behaglich auf die Netzhaut prasselnden Visuals waren altbekannt. Aber die neue Projektionsfläche war wirklich etwas ganz Besonderes. Getrübt wurde die Freude darüber allerdings davon, dass ein paar Fenster im Schloss erleuchtet waren. Das verhaute Fotomotive und letztlich auch die Lichtshow. So eine rare Gelegenheit muss man professioneller nützen, als Schloss Schönbrunn es am Samstag tat.

Wenn es der Kaiser persönlich war, der da aus erleuchteten Fenstern auf die Szenerie runterglurte, dann sei es ihm verziehen. Aber nur dann. Das majestätisch rasselnde „Boing Boom Tschak“, das Kraftwerk auf den Heimweg mitgab, hallte jedenfalls noch lange nach.

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