Broken Britain: Ein schweres Erbe für Keir Starmer

5 Jul 2024

Keir Starmer, der neue britische Premier, bei der Wahlparty in der Tate Modern in London. Reuters / Suzanne Plunkett

Keir Starmer - Figure 1
Foto DiePresse.com

14 Jahren waren genug. Die Briten haben den Machtwechsel herbeigesehnt und den Tories die Quittung verpasst für eine letztlich desaströse Bilanz. Die Labour-Regierung muss rasch aufräumen und dem Land neuen Mut geben.

Es kam zwar nicht ganz so schlimm für die Tories, wie manche befürchtet hatten. Eine Reihe konservativer Minister verlor ihren Parlamentssitz, nicht jedoch Rishi Sunak. Der Noch-Premier behauptete sein Mandat in North Yorkshire. Er zeigte sich als fairer Verlierer und gestand eine Niederlage ein, die indes historisch war für seine Partei, die sich als natürliche Regierungspartei in Großbritannien versteht.

Nach 14 Jahren haben die britischen Wählerinnen und Wähler den Machtwechsel geradezu herbeigesehnt - weniger aus Enthusiasmus für die Opposition, mehr als Abrechnung mit der Regierung. Unter dem glücklosen Sunak bekamen die Tories die Quittung für eine lange Serie von Affären und Skandalen, für Intrigen und Grabenkämpfe - und vor allem für eine letztlich desaströse Bilanz: ein kaputt gespartes Land, ein marodes Gesundheitssystem, die Teuerung und die gestiegene Armut. Und nicht zuletzt für die Brexit-Wirren, die all das noch verschlimmert haben.

In Richtung Blair und New Labour

Keir Starmer ist nicht zu beneiden. Der Labour-Chef tritt ein schweres Erbe an. Als Oppositionsführer hatte er vier Jahre Zeit, sich und seine Partei darauf vorzubereiten. Er rückte Labour wieder in die Mitte, er richtete den Kompass an Tony Blair und New Labour aus, um sie wieder für breite Schichten wählbar zu machen. Starmer hat sich den Ruf eines ehrlichen Arbeiters erworben, und diese Eigenschaft wird er nun auch brauchen, um nach den Tories aufzuräumen - in der Downing Street in London und im ganzen Land. Wie er das Land ohne Steuererhöhungen konsolidieren will, bleibt freilich vorerst sein Geheimnis.

Er zieht nicht mit Schwung und Verve in den Regierungssitz ein wie Blair vor 27 Jahren. Nach 18 Jahren Tory-Herrschaft unter Margaret Thatcher und John Major prägten 1997 die Vibes von „Cool Britannia“ die Stimmung im Königreich. Diesmal herrscht das Gefühl von „Broken Britain“ vor - die Ahnung, dass es mit dem Land abwärts geht. Starmer muss den Briten neuen Mut geben, und er muss die Insel wieder stärker an Europa orientieren. Der Brexit hat dem Land schweren Schaden zugefügt, das dämmert inzwischen auch vielen gemäßigten Brexit-Befürwortern. Ein Wiedereintritt in die EU ist Illusion, der neue Premier - ein Brexit-Gegner - wird allerdings die Kooperation mit Brüssel suchen.

Die Tories müssen sich mit Farage herumschlagen

Zunächst wird Keir Starmer wohl - wie einst Tony Blair - Symbolpolitik betreiben. Das Ruanda-Modell, die umstrittene Abschiebung von Asylwerbern nach Ostafrika, wird wohl bald Makulatur sein. Ein teurer Spaß, der die Steuerzahler 300 Millionen Pfund kosten wird.

Und die Tories? Die werden sich mit Nigel Farage herumschlagen müssen, dem Rechtspopulisten und Brexit-Vorkämpfer, der den Konservativen mit seiner Neugründung Reform UK den Rang als führende Opposition streitig machen will. Den Tories stehen Flügelkämpfe und ein Richtungsstreit bevor - wieder einmal. Nur, dass sie nun nicht mehr die Regierungspolitik lähmen.

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