„D-Day“-Papier: FDP-Generalsekretär tritt zurück
„D-Day“-Papier
Nach den Enthüllungen über einen länger geplanten und gezielten Austritt aus der deutschen „Ampelkoalition“ gerät die FDP-Spitze unter Druck. Die Idee, das entsprechende – umstrittene – Strategiepapier selbst zu veröffentlichen, scheint nach hinten loszugehen. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, der das Papier zuvor verteidigt hatte und gleichzeitig von seinem Inhalt nichts wissen wollte, trat am Freitag zurück.
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„Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte“, sagte Djir-Sarai in der Berliner Bundeszentrale der Partei, „weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung. Dafür entschuldige ich mich“, betonte er in seiner kurzen Stellungnahme.
„Für einen solchen Vorgang ist der Generalsekretär verantwortlich“, sagte Djir-Sarai. „Daher übernehme ich die politische Verantwortung, um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden.“ Danach verließ Djir-Sarai das Podium, Fragen der Journalistinnen und Journalisten waren nicht zugelassen. Kurz nach Djir-Sarai erklärte auch FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann seinen Rücktritt. Am Donnerstagabend hatte die Parteiführung das Papier veröffentlicht, nachdem Medien davon berichtet hatten.
Am Vortag Papier noch verteidigtAm Vortag hatte Djir-Sarai die Vorgangsweise noch verteidigt: „Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns sogenannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte.“ Er sprach davon, dass die Vorbereitung auf verschiedene Szenarien skandalisiert werde. „Wenn die gesamte deutsche Medienlandschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über das Ende der Ampel spekulierte, dann ist es nur professionell, sich auf diese Option einzustellen.“
Gegenüber der „Welt“ bestritt Djir-Sarai, dass die Führung seiner Partei über das Strategiepapier zu einem möglichen „Ampel“-Bruch informiert gewesen ist. „Das Papier ist auf Ebene der Mitarbeiter entstanden. Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier“, sagte Djir-Sarai dem Blatt. Einen Grund zurückzutreten hatte er am Donnerstag noch nicht gesehen.
Lindner um Beschwichtigung bemühtAuch FDP-Chef Christian war um Schadensbegrenzung bemüht: Er bestritt den Vorwurf, dass seine Partei beim Koalitionsbruch ein falsches Spiel gespielt habe. „Nein“, sagte er der „Rheinischen Post“ auf eine entsprechende Frage. „Denn zu jedem Zeitpunkt ging und geht es uns um den Politikwechsel, den dieses Land braucht. Die Ampel konnte ihn nicht mehr liefern.“
Lindner war sichtlich um Beschwichtigung nach der Aufregung bemüht. „Hier ist ein Papier im Entwurfsstadium, das Mitarbeiter verfasst haben, in die Öffentlichkeit gebracht worden“, sagte er der Zeitung. Lindner betonte, „dass es professionell ist, wenn Mitarbeiterstäbe Eventualitäten durchspielen“. „Wir haben uns monatelang mit allen Optionen beschäftigt“, auch mit der Option eines Koalitionsbruchs, sagte Lindner. „Das wird niemanden angesichts des Streits und der Ablehnung dieser Regierung überraschen“, betonte er.
Detailliertes AusstiegsszenarioDie FDP hatte nach Medienberichten am Donnerstag das Strategiepapier veröffentlicht, in dem die Partei den idealen Zeitpunkt zum Verlassen der Koalition und Medienstrategien durchspielt. Von den Ex-Koalitionspartnern kam scharfe Kritik.
Ein „avisierter Ausstieg“ könnte in der Kalenderwoche 45 zwischen dem 4. und 10. November liegen, heißt es im achtseitigen Papier. Am 6. November, einen Tag nach der US-Präsidentschaftswahl, kam es tatsächlich zum Bruch des Bündnisses – aber indem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister entließ.
Festgehalten wird auch ein „Kernnarrativ“ – also eine Hauptbotschaft, mit der der Ausstieg verknüpft werden könnte. Fundamentale Gegensätze in der Wirtschaftspolitik zwischen Rot-Grün und der FDP seien nicht durch Kompromisse zu überbrücken. Auch ein vorbereitetes Statement von Lindner ist bereits enthalten und Szenarien, wann, wo und über welche Kanäle man den „Ampel“-Bruch am besten verkünden könnte.
„D-Day“ und „Feldschlacht“In dem Papier taucht die Formulierung „D-Day“ mehrfach auf. Bekannt ist sie vor allem in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg – am 6. Juni 1944, dem „D-Day“, begann die Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus.
Lindner, Robert Habeck (Grüne), Scholz (v. l.): Die FDP spielte Szenarien für den „Ampel“-Ausstieg durchAus der FDP war eine Verwendung bestritten worden, nachdem deutsche Medien vor knapp zwei Wochen erstmals über Inhalte aus dem Papier berichtet hatten. Im Papier wird in einer „D-Day-Ablaufpyramide“ auch eine letzte Phase namens „offene Feldschlacht“ aufgeführt.
SPD und Grüne empörtSPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf der FDP-Führung vor, die Öffentlichkeit wiederholt getäuscht zu haben, und forderte eine Entschuldigung von Parteichef Lindner. Miersch kritisierte es gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) als „zynisch“, dass die FDP in dem Papier für den Zeitpunkt des „Ampel“-Bruchs in ihrem Papier das Wort „D-Day“ benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als „offene Feldschlacht“ bezeichnet.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann übte auf der Plattform X Kritik: „Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.“
Kritik auch FDP-internKritik am Papier übte auch FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Jetzt ist ausschließlich Selbstkritik und Aufarbeitung gefragt“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. „Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar.“
Dass man sich aber in einer Situation, wie man sie in der Regierung gehabt habe, mit Ausstiegsszenarien auseinandersetze, sei folgerichtig gewesen, nicht nur für die FDP. Bei dem entsprechenden Treffen sei sie aber nicht dabei gewesen.
Unmittelbar vor der Erklärung Djir-Sarais hatte die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, den Rücktritt des FDP-Generalsekretärs gefordert. Sie erklärte via X, das Strategiepapier sei „einer liberalen Partei unwürdig“. Nicht nur die Öffentlichkeit müsse den Eindruck gewinnen, über Wochen getäuscht worden zu sein – sondern auch die eigene Partei.