EZB lässt Leitzinsen erneut unverändert, die Zinswende erfolgt wohl ...

Die EZB lässt die Leitzinsen nochmals unverändert, doch im Juni dürfte sie erstmals seit 2019 die Zinsen reduzieren

EZB Leitzinsen - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Die Inflation im Euro-Raum sinkt seit Monaten kontinuierlich. Das freut die Menschen und macht eine erste Zinsreduktion durch die EZB wahrscheinlicher. Noch zögert die Führung der Notenbank jedoch.

Hauptsitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt: Der EZB-Rat bereitet die Euro-Zone langsam auf die erste Zinssenkung seit 2019 vor.

Florian Gaul / Imago

An den Finanzmärkten und bei den Notenbanken stehen die Zeichen angesichts sinkender Inflationsraten auf Zinswende. Der Zeitpunkt der ersten Zinsreduktion und das Ausmass möglicher weiterer Zinsschritte im Jahr 2024 sind allerdings vielerorts noch unklar. Am 21. März war zwar die Schweizerische Nationalbank (SNB) vorgeprescht und hatte als erste der grossen Zentralbanken die Zinswende eingeläutet, indem sie den Leitzins überraschend von 1,75 auf 1,5 Prozent reduzierte.

Diesem Beispiel folgten die US-Notenbank (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) bisher noch nicht. Am Donnerstag liess die EZB ihre Schlüsselzinssätze einmal mehr unverändert. Der Leitzins notiert weiterhin bei 4,5 und der Einlagensatz bei 4 Prozent. Bankökonomen rechnen aufgrund verschiedener Äusserungen der EZB-Präsidentin Christine Lagarde und anderer EZB-Vertreter jedoch fest mit einer Reduktion der Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte bei der nächsten EZB-Sitzung im Juni. Es wäre die erste Zinsreduktion seit September 2019, als die EZB die Leitzinsen von –0,4 auf –0,5 Prozent herabgesetzt hatte.

Die Inflation in der Euro-Zone sinkt

Die neu verfügbaren Daten hätten die bisherige Einschätzung der mittelfristigen Inflationsaussichten weitgehend bestätigt, hiess es von der Notenbank am Donnerstag. Die Inflation sei weiter zurückgegangen, was vor allem dem schwächeren Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln und Waren zuzuschreiben gewesen sei. Zugleich wies der EZB-Rat aber darauf hin, dass wegen des kräftigen binnenwirtschaftlichen Preisdrucks die Teuerung bei Dienstleistungen weiterhin hoch sei.

Im März ist die Inflationsrate in der Euro-Zone gemäss einer ersten Schätzung der Statistikbehörde Eurostat von 2,6 auf 2,4 Prozent gesunken. Damit liegt die Teuerung in der Nähe des Zielwerts der EZB. Die Notenbank strebt eine Inflationsrate von mittelfristig 2 Prozent an.

Der Rückgang war etwas stärker, als von Ökonomen im Durchschnitt erwartet worden war. Während vor allem die Energiepreise (–1,8 Prozent) deutlich nachgaben, blieb der Inflationsdruck bei Dienstleistungen (4,0) sowie Lebensmitteln, Alkohol und Tabak (2,7) recht stark. Die Kerninflation, aus der die volatilen Preise für Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak herausgerechnet werden und auf welche die Notenbanker deshalb besonders achten, sank zwar ebenfalls von 3,1 auf 2,9 Prozent, sie notiert aber immer noch deutlich über dem Ziel der EZB.

Die EZB hat die Zinsen in kurzer Zeit auf ein Rekordniveau erhöht

Entwicklung des derzeit massgebenden Einlagensatzes seit dem Jahr 2000, in Prozent

Die nachlassende Teuerung erhöht die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Zinssenkung im Euro-Raum. Bis jetzt zögert der EZB-Rat aber noch, weil die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale nicht gebannt ist. Vor allem bei den Dienstleistungen ist der Lohndruck hoch. Neue offizielle Daten über die Entwicklung der Tariflöhne in der Euro-Zone kommen erst am 23. Mai. Dieses Datum will die EZB zumindest abwarten, bevor sie sich zu einer Zinsreduktion durchringt. Präsidentin Lagarde hat in den vergangenen Monaten immer wieder auf die anhaltend hohe inländische Teuerung hingewiesen und betont, dass die Notenbank weiterhin auf Basis der eintreffenden Daten entscheiden werde.

Das soll laut EZB auch so bleiben. Dennoch gab die Notenbank am Donnerstag einen neuen Hinweis darauf, dass die Zinswende im Juni wohl vollzogen wird. Sollten nämlich die dann aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, die Dynamik der zugrunde liegenden Teuerung und die Stärke der geldpolitischen Transmission die Zuversicht des EZB-Rats weiter stärken, dass die Inflation sich nachhaltig dem Zielwert von 2 Prozent annähert, wäre eine Lockerung der gegenwärtigen Geldpolitik angemessen, hiess es im etwas kryptischen Jargon der Notenbank. Zugleich betonte Lagarde, dass sich die EZB nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festlegen werde. Weitere Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte sind somit kein Selbstläufer.

«Es ist nachvollziehbar und sinnvoll, dass die EZB und das Fed die Zinsen trotz dem nachlassenden Inflationsdruck nicht zu früh senken wollen, zumal beide vor zwei Jahren viel zu spät auf den Inflationsanstieg reagiert haben», sagt Volker Wieland im Gespräch. Der Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie an der Frankfurter Goethe-Universität verweist auf die harten Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern und die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Der Wunsch der Arbeitnehmer nach einem Ausgleich der Reallohnverluste sei berechtigt und verständlich, doch die hohen Tarifabschlüsse könnten die Teuerung noch längere Zeit auf einem aus geldpolitischer Sicht unerwünscht hohen Niveau halten.

Die Inflation in der Euro-Zone nähert sich wieder dem Zielwert der EZB

Jährliche Teuerung in Prozent

Kerninflation (ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol, Tabak)

Laut Wieland, der von 2013 bis 2022 auch Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen war, sollte die EZB zudem nicht nur auf die Löhne im Dienstleistungssektor schauen, sondern auch auf jene im öffentlichen Dienst sowie auf die Preisentwicklung bei Investitionsgütern. Die EZB könne durchaus auch noch länger als bis Juni mit der ersten Zinsreduktion warten. Sie sollte sich dabei am besten an bekannten Zins-Regeln orientieren, die in der Vergangenheit sehr gute Signale für Zinserhöhungen und Zinssenkungen geliefert hätten.

Dass es bei der Inflation immer wieder auch unangenehme Überraschungen geben kann, hat sich diese Woche in den USA gezeigt. Dort stieg die Gesamtinflation im März von 3,2 auf 3,5 Prozent. Das war eine stärkere Zunahme, als von Ökonomen im Durchschnitt erwartet worden war. Dadurch sank aus der Sicht von Marktteilnehmern die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung durch die amerikanische Notenbank im Juni von 55 auf 20 Prozent und im Juli von 70 auf 45 Prozent. Dies hatte an den Aktienmärkten für einen deutlichen Dämpfer gesorgt.

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