„3 Body Problem“ auf Netflix: Lassen wir uns doch einfach von ...

22 Mär 2024

Die „Game of Thrones“-Macher haben ihre nächste Serie vorgelegt – und es geht um nichts Geringeres als das Überleben einer Zivilisation. Das ist fesselnde Science-Fiction-Unterhaltung, basierend auf einem chinesischen Bestseller.

3 Body Problem - Figure 1
Foto DiePresse.com

Wie viele Serien haben eigentlich schon den Anspruch erhoben, das nächste „Game of Thrones“ werden zu wollen? Und doch ist es keiner Produktion gelungen, zu einem derart beliebten und prägenden, von Fans wie Kritikern hungrig verschlungenen und bis ins kleinste Detail diskutierten Massenphänomen zu werden. Nicht der „Herr der Ringe“-Serienadaption auf Amazon, nicht dem „Game of Thrones“-Spinoff auf Sky, auch nicht dem jüngst gestarteten Japan-Epos „Shōgun“ auf Disney+. Ein überbordendes Produktionsbudget und eine gewichtige Fantasy- oder Historienhandlung machen eben noch kein Kult-Epos.

Dass der neuen Netflix-Serie „3 Body Problem“ nun schon vor ihrem Start von einigen das Potenzial zugesprochen wurde, das „next big thing“ im Serienkosmos zu werden, liegt weniger an ihren Produktionskosten (20 Millionen Dollar soll jede der acht Folgen gekostet haben, mehr ließ Netflix nur für die letzte „Stranger Things“-Staffel springen). Sondern vor allem an ihren Machern: „3 Body Problem“ ist das erste große Projekt von David Benioff und D. B. Weiss nach „Game of Thrones“. Wird die Serie einen annähernd durchschlagenden Erfolg haben? Vorsichtige Prognose kurz nach dem Serienstart: Nein.

Hier kann man Menschen trocknen und einrollen

Macht aber nix. Als hochwertiger Science-Fiction-Mystery-Thriller macht „3 Body Problem“ (zumindest in den ersten paar Folgen) nichts Neues, das aber ausgesprochen gut. Visuelles Spektakel, philosophische Fragen, eine fesselnde, sich auf zwei Zeitebenen und zusätzlich in einer Art virtuellen Realität entrollende Handlung: alles da. Dazu kommen Szenen, die sich einprägen, nicht nur weil sie computertechnisch betörend gut gemacht sind: Ein Mädchen legt sich auf den Wüstenboden. Die sengende Hitze lässt seinen Körper innerhalb von Sekunden verschrumpeln, bis nur noch eine Art flacher Teppich von der Kleinen übrig ist, der sich zusammenrollen und davontragen lässt wie eine Yogamatte. Wenig später wird sie in ein Wasserbecken geworfen, saugt sich voll, springt zurück in Form und strahlt: „Du hast mich gerettet!“

3 Body Problem - Figure 2
Foto DiePresse.com

Solche Einfälle stammen vom chinesischen Autor Liu Cixin, der mit seinem Bestseller (deutscher Titel: „Die drei Sonnen“) die Romanvorlage für die Serie lieferte. Als „eines der aufregendsten Bücher, die es in jüngster Zeit aus China zu uns geschafft haben“ beschrieb es der „Spiegel“, Fans wie Barack Obama und Mark Zuckerberg schwärmten öffentlich von dem Werk, das als erster Teil der sogenannten „Trisolaris“-Trilogie zum Aushängeschild einer jungen chinesischen Science-Fiction-Welle wurde.

Eine Gruppe von Oxford-Absolventen versteht die Welt nicht mehr: Eiza González, Jess Hong, Saamer Usmani, Jovan Adepo, Alex Sharp.  Ed Miller/Netflix

Benioff, Weiss und ihr dritter Ko-Autor Alexander Woo haben den Stoff für Netflix internationalisiert und teilweise in den Westen versetzt. Im London von 2024 steht eine Gruppe von jungen Oxford-Physik-Absolventen vor großen Rätseln, und mit ihnen die wissenschaftliche Welt: Etliche Forscher haben sich innerhalb kurzer Zeit (scheinbar) selbst umgebracht. Alle Teilchenbeschleuniger der Welt liefern unsinnige Ergebnisse. Wissenschaftlerinnen wie die junge Nanofaser-Pionierin Auggie Salazar (Eiza González) werden von mysteriösen Ziffern heimgesucht, die ihr Sichtfeld blockieren, wohin sie auch blicken. Ein Countdown, der ihnen offenbar eine Warnung sein soll: Brecht eure Arbeit ab, sonst … Und dann flackert auch noch der Sternenhimmel. Ein „Zwinkern“ des Universums?

Die ultimative menschliche Verunsicherung

Eine andere Erzählebene zeigt, wie Jahrzehnte zuvor eine chinesische Wissenschaftlerin (Zine Tseng) in einem Geheimlabor den Hebel einer riesigen Antenne betätigt. Die chinesische Kulturrevolution hat ihren Glauben an die Menschheit heftig erschüttert. Ihr Vater, ein Physikprofessor, wurde vor ihren Augen zu Tode geprügelt, weil er die Relativitätstheorie, dieses Instrument der „Imperialisten“, unterrichtete. Die Tochter, so standhaft in ihrer wissenschaftlichen Integrität wie verbittert, schickt eine Botschaft ins All: „Kommt. Wir können uns nicht selber retten.“

3 Body Problem - Figure 3
Foto DiePresse.com

Düsteres Weltbild: Zine Tseng als chinesische Wissenschaftlerin.  Ed Miller/Netflix

Die chinesische Kulturrevolution als Auslöser einer Erneuerung der ganzen Zivilisation? Das ist eine Interpretation des Stoffs. (Autor Liu lässt sich in Interviews nicht auf politische Botschaften festnageln.) Daneben wirft „3 Body Problem“ den Gedanken auf, ob die Menschheit nicht vielleicht ein wenig naiv war, als sie, etwa mit der Voyager-Sonde in den 1970ern, Grüße ins Weltall sandte: „Wir treten aus unserem Sonnensystem ins Universum auf der Suche nur nach Frieden und Freundschaft“, sprach Kurt Waldheim auf die Schallplatte, die bislang 24 Milliarden Kilometer weit gereist ist. Was, wenn die Empfänger nicht so friedlich eingestellt sind? Was, wenn eine fremde Zivilisation, um ihr eigenes Überleben zu sichern, unseres in Gefahr bringt?

Zunächst spielt „3 Body Problem“ vor allem mit einer anderen Idee, jener der ultimativen menschlichen Verunsicherung: Wenn selbst wissenschaftliche Gewissheiten nichts mehr gelten, was dann? Was wissen wir überhaupt? Während die wissenschaftliche Welt also am Rätseln ist, und ein privater Ermittler (Benedict Wong) versucht, die Fäden zu verknüpfen, fällt einigen der jungen Oxford-Physiker, darunter der Forscherin Jin Cheng (Jess Hong), eine Art futuristische VR-Brille in die Hand. Sie entführt in ein ultrarealistisches Computerspiel, in dem klimatische Bedingungen herrschen, die menschliches Leben immer und immer wieder unmöglich machen: Mal zieht dort kochende Hitze auf, mal eine Eiseskälte, die die Menschen schockgefrieren lässt, der Himmel scheint unberechenbar (das dahinterliegende astronomische Phänomen gibt der Serie ihren Namen). Immer wieder stirbt die Zivilisation in diesem Spiel daher aus – wenn sie es nicht rechtzeitig schafft, sich zu „dehydrieren“ und, bei besserem Wetter, wieder zu „rehydrieren“ …

Ultrarealische VR-Simulation in „3 Body Problem“: Nur ein Spiel?   Ed Miller/Netflix

Klingt nach einer ziemlich dicht gepackten Erzählung – das ist „3 Body Problem“ auch. Allerdings auch eine, der man leicht folgen kann. Im Zweifel bleibt die Serie ganz nah bei den Figuren, statt allzu weit in die physikalischen oder philosophischen Sphären zu steigen. Allzu sehr darf man sich mit den Figuren hier aber dennoch nicht anfreunden: Die Serienmacher schrecken nicht davor zurück, die eine oder andere Person abrupt sterben zu lassen. Da kommen eben doch die „Game of Thrones“-Macher durch.

„3 Body Problem“ („3 Sonnen“), auf Netflix

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:
Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche