Die große Heuchelei ums Abnehmen „Hast Du Ozempic genommen?“

Meinung | Los Angeles · Barbra Streisand hat Kollegin Melissa McCarthy öffentlich nach der „Abnehmspritze“ gefragt und wird dafür angegriffen. Das offenbart, wie viel Heuchelei im Spiel ist. Welche Gründe das hat.

Schauspielerin Melissa McCarthy hat auf Ozempic-Nachfrage gelassen reagiert.

Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/Chris Pizzello

Vielleicht war es biestig gemeint. Vielleicht auch nur eine Nachfrage, wie sie in zahlungskräftigen Showbiz-Kreisen in den Kostenpflichtiger Inhalt USA inzwischen selbstverständlich ist: Hast Du Ozempic genommen? Das wollte Diva Barbra Streisand von Schauspielerin Melissa McCarthy wissen, nachdem die gut sichtbar 25 Kilo abgenommen hat. Streisand fragte allerdings auf der Plattform Instagram. Die Öffentlichkeit las also mit – und reagierte empört: Viele fanden die Nachfrage unhöflich, sogar ungehörig und empfahlen Streisand Nachhilfe darin, was man auf Plattformen wie Instagram fragen darf. Und was nicht.

Streisand hat den Kommentar unter einem Foto der Kollegin inzwischen gelöscht und erklärt, sie habe einfach spontan geschrieben und nicht an die Öffentlichkeit gedacht. McCarthy hat ihre Freundin Streisand in Schutz genommen und charmant erklärt, die Nachfrage habe sie zur Siegerin des Tages gemacht, weil Streisand doch finde, sie sehe toll aus. Kein Zickenkrieg. Versöhnlicher Abbinder, so nimmt man einem Shitstorm den Wind. Allerdings schauen nun natürlich doch viele nach, wie McCarthy denn so schnell schlank geworden ist. Ihre Erklärung lautet, sie habe keine spezielle Diät gemacht, es einfach ruhig angehen lassen, weniger unternommen, länger geschlafen und sich nicht mehr um Aussehen und Gewicht gekümmert. Schon seien die Kilos gepurzelt. Klingt zu schön. Menschen, die ähnliche Kämpfe mit ihren Pfunden austragen, machen eher andere Erfahrungen.

Nun kann man sagen, dass es McCarthys Privatsache ist, wie sie mit ihrem Gewicht umgeht. Ob und wie sie abnimmt oder nicht. Bekannt ist sie durch das, was sie als Schauspielerin und Regisseurin leistet, darum sollte es in der Öffentlichkeit auch darum gehen. Wie bei männlichen Kollegen.

Allerdings hat McCarthy ihre neue Figur in schicken Kleidern ja selbst öffentlich präsentiert und scheint sich über Komplimente zu freuen. Auch in ihrer großzügigen Reaktion auf Streisand ist sie nicht grundsätzlich geworden und hat etwa den wertenden Blick auf Frauenkörper zurückgewiesen. Das Taxieren gibt es ja nicht nur von Männern, sondern auch von Frau zu Frau. Wie Streisand vorgemacht hat.

Bemerkenswerter an dem Fall ist aber der heuchlerische Umgang mit der sogenannten Abnehmspritze. Mittel wie Ozempic sind Medikamente, die eingesetzt werden sollen, wenn Menschen an starkem Übergewicht und Folgeerkrankungen leiden. Denn die Abnehmmittel müssen dauerhaft eingenommen werden, damit der Effekt erhalten bleibt. Es gibt Nebenwirkungen, über Langzeitfolgen ist naturgemäß noch nicht alles bekannt. Die Einnahme birgt also gravierende Risiken, die nur zu rechtfertigen sind, wenn Menschen auf der anderen Seite mit schweren Folgeerkrankungen ihres Übergewichts ringen. Doch anscheinend wird dieses Medikament in bestimmten Kreisen wie selbstverständlich als Mittel zur Körpergestaltung eingesetzt. Zur Korrektur des Erscheinungsbildes, so wie Make-Up ein müdes Gesicht oder erste Falten verschwinden lässt. Nur reden darf man anscheinend nicht darüber. Das ist nicht nur ein amerikanisches Phänomen. Auch in Deutschland, wo Mittel wie Ozempic für Schönheitszwecke nicht zugelassen sind, finden Menschen Wege, doch an die Spritze zu kommen. Und sei es durch eine Fahrt ins Ausland. Wellness-Urlaub heißt das dann.

Wo Heuchelei im Spiel ist, geht es eigentlich um Scham. Und die gründet eben nicht nur darauf, dass Leute gegen den Rat von Medizinern handeln, wenn sie ein starkes Abnehmmittel zur Korrektur ihrer Körperkurven einsetzen. Dahinter geht es darum, dass Übergewicht als Versagen gilt. Wer immer dicker wird, so die Wahrnehmung, habe sich und seine Gelüste nicht im Griff. Oder ernähre sich ungesund, treibe zu wenig Sport. So wird Dicksein zum Stigma. Und dazu gehört dann auch das Abnehmen mit Spritze, das eben auch kein Zeichen von Willen und Selbstüberwindung ist. Werte, die in einer Leistungsgesellschaft hoch im Kurs stehen. Also wird auch die Abnehmspritze zum Tabu, was dazu führt, dass über den Einsatz nicht mehr offen gesprochen wird. Leute verschwinden dann in Wellnesswochen, kommen erschlankt zurück und erzählen Wundergeschichten, wie sie ihr Gewicht spielend schnell verloren hätten.

So verständlich das ist angesichts der Abfälligkeiten, denen übergewichtige Menschen zum Teil in der Öffentlichkeit, manchmal auch im privaten Umfeld begegnen. Die „Abnehmspritze“ würde doppelt schaden, wenn sie nicht nur fälschlich eingesetzt würde, sondern auch noch Fantasievorstellungen vom Abnehmen beförderte. Seine Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten umzustellen, ist eine anstrengende, komplexe Aufgabe. Keine Frage schlichter Selbstdisziplin, kein vorübergehendes „diäten“. Wer dauerhaft Gewicht verlieren will, muss hinterfragen, wie er aufgewachsen ist, welchen Glaubenssätzen er gehorcht, welchen Stellenwert Essen in seinem Leben einnimmt und muss Gewohnheiten und Vorlieben ändern. Das dauert. Es verdient Anerkennung. Und wem das alles nicht sofort gelingt, sollte sich nicht schämen müssen.

Vor allem aber sollte eine Spritze mit ungewissen Folgen nicht auch noch eine heimliche Spritze werden.

Diäten Ringen