Unbedingt anschauen: die ARD-Serie „Kafka“

19 Mär 2024
Kafka

s ist Kafka live: Im letzten Zug, der Prag 1939 in Richtung Freiheit verlässt, sitzt ein jüdischer Mann. Er ist auf der Flucht, umklammert einen Koffer. Der Zollbeamte lässt den Koffer mit den Manuskripten öffnen, nimmt ein Blatt heraus und liest laut Franz Kafkas „Beschreibung eines Kampfes“. „So ein Schwachsinn“, lautet sein Urteil, mit einem Kopfschütteln gibt er das Blatt Papier zurück. Max Brod, Kafkas bester Freund, kann die Schriften, die heute Weltliteratur sind, retten.

Mit dieser Szene beginnt eine sechsteilige Serie, welche die ARD zusammen mit dem ORF zu Kafkas 100. Todestag in Auftrag gegeben hat. Bestsellerautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) hat das Drehbuch verfasst, zusammen mit dem Österreicher David Schalko, der Regie führt. Die beiden treten den Beweis an, dass eine Filmbiografie beides sein kann: informativ und sinnlich zugleich. Kunst erklärt Kunst.

Sechs Folgen mit sechs Personen aus Kafkas Umfeld

Sechs Folgen, sechs Personen. Den Anfang macht Max Brod. Ohne Brod, der das Genie seines Freundes erkannt und ihn immer wieder zum Schreiben und Veröffentlichen gedrängt hat, gäbe es keinen Kafka - und ohne Kafka würde sich heute niemand mehr an Max Brod erinnern. Der war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar ein recht erfolgreicher Schriftsteller in der deutschen Literaturszene Prags, ehrgeizig, aber ohne großes literarisches Talent. Sein Lebenswerk hieß Kafka.

David Kross spielt den warmherzigen, empathischen Max Brod, der Schweizer Joel Basman den kauzigen Franz Kafka. Der stellt die Geduld seiner Mitmenschen schon deshalb auf die Probe, weil er beim Essen jeden Bissen 40-mal kaut. Die ungelenken Bewegungen, das gewöhnungsbedürftige Kichern, der unsichere Augenaufschlag - Basman sieht dem Autor mit dem akkuraten Mittelscheitel nicht nur äußerlich ähnlich. Er schlüpft in ihn hinein und lässt doch Raum für Interpretationen.

Von wegen Einzelgänger

Die Fernsehreihe räumt mit gleich mehreren Kafka-Mythen auf: Kafka, der Einzelgänger? Ein Anwalt, den an seinem Arbeitsplatz niemand beachtet? Ein sexuell unerfahrener Jüngling? Grundlage des Drehbuchs ist die dreibändige Kafka-Biografie von Reiner Stach. Ein Lebenswerk, denn Stach hat über Jahrzehnte recherchiert. Die erste Folge erzählt vom Freundeskreis, dem neben Kafka und Brod der Schriftsteller Felix Weltsch (Robert Stadlober) und der blinde Musiker Oskar Baum (Tobias Bamborschke) angehören. Kaffeehausrunden, Bordellbesuche, Reisen in europäische Metropolen: Kafka nimmt am Leben teil, wenn auch als distanzierter Beobachter. Als Brod und Kafka einmal einen Selbstmörder von der Brücke springen sehen, eilt Brod zur Hilfe, Kafka verharrt regungslos. Zu Brod sagt er: „Wir Schriftsteller haben die Aufgabe, uns solche Dinge sehr genau anzusehen. Unsere Augen sind wichtiger als unsere Hände.“

Bei zu viel Nähe geht Franz Kafka auf Distanz. Davon erzählen die Folgen über die drei wichtigen Frauen in seinem Leben. Mit Felice Bauer (Lia von Blarer) war er gleich zweimal verlobt. Mehr als 500 Briefe, manchmal drei am Tag, hat er an die bodenständige Prokuristin geschrieben. Zur Ehe konnte er sich aber nicht durchringen. Eine Filmszene zeigt ein Tribunal. Felice, deren Schwester und Grete Bloch haben sich als Richterinnen an einem Tisch versammelt und klagen Kafka wegen seines Zauderns an. Die Szene erinnert an den 1914 erschienenen Roman „Der Prozess“.

Schwierige Vater-Sohn-Beziehung

Emotionaler Höhepunkt der Serie ist die Folge über Kafkas Beziehung zur Journalistin und Übersetzerin Milena Jesenská (Liv Lisas Fries), formal wie schauspielerisch. Ein einziger Spaziergang durch den Wiener Wald erzählt von Anfang und Ende dieser kurzen Liebe. Die intelligente Milena bezaubert Kafka mit ihren feurigen Reden, die beiden verlieben sich, doch schon bald werden Bedenken geäußert, die gegen ein gemeinsames Leben sprechen. Am Ende des Spaziergangs steht die Trennung. Eine dreiviertel Stunde Film wie im Traum.

Wenn dies der Höhepunkt ist, dann ist die Folge über Kafkas Familie, beherrscht vom Konflikt mit dem Vater, die anstrengendste. Der Verfremdungseffekt wird hier auf die Spitze getrieben, die Wohnung der Familie Kafka ist eine Bühne, auf der die Schauspieler ihr Tun kommentierend auf und ab gehen. Unter den Schimpftiraden des Vaters verwandelt sich der Sohn des Hauses schließlich in einen Käfer. „Die Verwandlung“ (1916) lässt grüßen.

Neues zum Schriftsteller und seinem Arbeitsplatz

Neues erfährt man in der Folge „Bureau“. Kafka hasst seine Arbeit als Jurist in der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt. Er will sich ganz dem Schreiben widmen. Was weniger bekannt ist: Seine Vorgesetzten schätzen ihn außerordentlich. Wenn es vor Gericht knifflig wird in der Auseinandersetzung Arbeiter gegen Fabrikant, wird Doktor Kafka gerufen. Er gewinnt fast jede Verhandlung und gilt als Geheimwaffe der Versicherungsanstalt. Nach seinen ersten Veröffentlichungen ist ihm zudem die Bewunderung des Direktors, der selbst schriftstellerisch tätig ist, gewiss. Erwidert hat Kafka die Achtung seiner Kollegen allerdings nie.

Sein letztes Lebensjahr verbringt Kafka an der Seite von Dora Diamant (Tamara Romera Ginés). Bereits schwer von der Tuberkulose gezeichnet, zieht er mit ihr für einige Monate nach Berlin (man beachte den furiosen Auftritt von Katharina Thalbach als übellaunige Vermieterin). Dora pflegt Kafka bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924. Ihre Rolle bleibt allerdings merkwürdig blass und schwer zu durchschauen.

Viele bekannte Namen mit von der Partie

Das schadet aber nicht dem gelungenen Gesamteindruck dieses Mammutprojekts. Kaum ein Schauspieler von Rang lässt sich einen Auftritt nehmen, wenn auch nur einen kleinen: Christian Friedel (Franz Werfel), Lars Eidinger (Rainer Maria Rilke), Verena Altenberger (Robert Musil) und viele mehr.

Die genannten Schriftsteller erkannten Kafkas Genie bereits zu Lebzeiten. Die kühle Distanz und die verknappte Sprache, mit der er Urängste zu Papier brachte, lässt seine Werke heute moderner denn je erscheinen. Den Menschen hinter seinen Albträumen lernen wir in dieser Filmreihe kennen.

Kafka, Serie in sechs Teilen,

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