Warum bei Sturm Graz der Fall Moritz Wels kein Zufall ist
A: "Hätten wir ihn mehr in der 1. Kampfmannschaft spielen lassen, dann wäre er nie zur Austria gegangen."
B: "Wo hätte er deiner Meinung nach spielen sollen??? Statt wem???"
A: "Ja gute Frage"
A: "Aber dann ins Ausland und ned zu die Wiener"
Folgender Dialog fand auf der LAOLA1-Facebook-Seite anlässlich des Wechsels von Sturm-Talent Moritz Wels zur Wiener Austria statt - ein Transfer, der in sozialen Netzwerken generell eifrig debattiert wurde.
So war etwa auch folgender Gedanke eines Sturm-Fans zu lesen: "Is teilweise logisch, da die aktuelle Mannschaft einfach viel zu stark ist mit den ganzen Legionären, aber frag mich dann langsam für was die Akademie wirklich is."
Ein sinnbildlicher TransferDie Personalie Moritz Wels steht in all ihren Facetten durchaus sinnbildlich für die Gegenwart des SK Sturm Graz.
Wie ist der Output einer Akademie zu bemessen? Wir haben uns angesehen, wer von der Saison 2013/14 an, also in den letzten zehn Jahren, in den jeweiligen U18-Kadern gestanden ist. In die Tabelle aufgenommen wurden all jene Spieler, die danach zumindest ein Bundesliga-Spiel absolviert haben.
Diese Output-Analyse ist ein Teil unseres "Talente-Fokus", in dem wir die Chancen der in Österreichs Akademien ausgebildeten Talente beleuchten.
>>> Wie gut bilden Österreichs Klubs wirklich aus?
>>> Bundesliga: Welche Teenager sind und waren Stammspieler?
>>> ÖFB-Team: Wo wurden die Besten der Besten ausgebildet?
>>> RB Salzburg: Wie viele Red-Bull-Akademiker schaffen es wirklich?
>>> SK Sturm: Warum der Fall Moritz Wels kein Zufall ist
>>> LASK: Wie der Turnaround in der Talenteförderung geschafft werden soll
>>> SK Rapid: In Hütteldorf wird mit Talenten Geld verdient
>>> Austria Wien: Viel Masse, aber auch Klasse?
>>> WAC, Admira und Ried: Wie gut sind die "Kleinen"?
>>> Verbands-Akademien: Zwischen hui (St. Pölten) und pfui (Burgenland)
Für den steilen sportlichen Aufstieg eines Vereins, der sich aus seiner Tradition heraus gerne des "steirischen Wegs" rühmen würde, der mit seiner Entwicklung in den letzten drei Jahren den eigenen Nachwuchs allerdings ein Stück weit abgehängt hat. Mag er noch so talentiert sein.
Dieser Transfer dient daher auch nicht wirklich dazu, um mit dem Finger auf einzelne Personen zu zeigen.
Es sei denn, man nickt die Version von Sturms Entwicklungscoach Günther Neukirchner ab, der im Podcast "BlackFM" deutliche Worte gegen den Berater von Wels findet und generell sehr interessante Einblicke zu dieser Personalie gibt.
Dass sich ein hochveranlagter 18-Jähriger am Übergang in den Erwachsenen-Fußball intensivst Gedanken darüber macht, wo er sich am ehesten durchsetzen und etablieren kann, ist allerdings legitim.
"Akademiker" Sandro Schendl probiert es nun bei der SV RiedFoto: © GEPA
Herausforderung für die hausinternen TalenteEbenso legitim ist es, dass Geschäftsführer Sport Andreas Schicker und Trainer Christian Ilzer bevorzugt auf Akteure setzen, die den Anforderungen qualitativ gewachsen sind, nachdem Sturm in den drei Jahren unter ihrer Anleitung einen immensen Sprung gemacht hat.
Beide sportlich Verantwortlichen in schwarz-weiß sind alleine schon aus geschäftlichen Überlegungen heraus mehr als gewillt, jungen Spielern am Anfang ihrer Profi-Karriere eine Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln und im Idealfall mit den Transfer-Einnahmen noch besseres, entwicklungsfähiges Spieler-Material an Land zu ziehen.
Diese Teenager sind Stammspieler in der Bundesliga>>>
Und die hausinternen Talente? Hier steht man fraglos vor der Herausforderung, dass Ausbildung und Förderung qualitativ einen ziemlichen Sprung machen müssten, um mit dem rasanten Tempo "oben" ansatzweise Schritt zu halten.
Außerdem lässt sich auch darüber streiten, ob dies bei Sturm überhaupt der Fall war, bevor Schicker und Ilzer im Sommer 2020 ein neues Zeitalter eingeläutet haben.
Denn die gemeinsam mit dem Steirischen Fußballverband betriebene "Akademie Steiermark-Sturm Graz", die erst unlängst ihren zehnten Geburtstag gefeiert hat, lieferte nach Bundesliga-Einsätzen gereiht folgenden Output:
*) Folgende Akteure kickten auch in internationalen Ligen: Lovric spielte in der Schweiz (93/9) und der Serie A (37/5), Schmid in der deutschen Bundesliga (49/1) und der 2. deutschen Bundesliga (33/3), Maresic in der Ligue 1 (8/0) und in Kroatien (27/1), Shabanhaxhaj in Slowenien (25/1).
Interpretations-SpielraumVermutlich logisch und deshalb außer Streit gestellt sei der Gedanke, dass es für eine endgültige Bewertung der jüngeren Jahrgänge viel zu früh ist, auch wenn es natürlich auch in diesem Alter alles andere als verboten ist, Bundesliga-Luft zu schnuppern, wie neben Wels etwa auch 2006er-Jahrgang Leon Grgic bewiesen hat.
Sturms Teenager der Gegenwart stehen jedoch wie erwähnt vor der Aufgabe, sich in einer vergleichsweise qualitativ besseren Kampfmannschaft durchsetzen zu müssen als so mancher Vorgänger-Jahrgang.
Lovric und Maresic bekamen früh in der Karriere eine ChanceFoto: © GEPA
Wie gut selbige sich geschlagen haben, liegt möglicherweise ein wenig im Auge des Betrachters. Auf der einen Seite könnte man darauf verweisen, dass 25 "U18-Akademiker" mit zumindest einem Bundesliga-Einsatz eine vertretbare Ausbeute sind - vor allem weil natürlich davon auszugehen ist, dass aus den jüngeren Jahrgängen weitere folgen.
Unsere Bestandsaufnahme zeigt, dass es im Vergleich mit anderen Vereinen auch schlechter geht (Beispiel LASK) - allerdings auch deutlich besser (Beispiel Rapid oder Austria Wien).
Der Interpretations-Spielraum lässt zudem auch folgende Fragen zu: Wer hat es außer Sandi Lovric, Romano Schmid und Dario Maresic wirklich geschafft? Und vor allem: Was hatte Sturm eigentlich davon?
Von Maresic hatte Sturm etwasBis auf Maresic, den man früh in die Kampfmannschaft integrierte und für den man kurz vor seinem 20. Geburtstag stattliche drei Millionen Euro von Stade Reims kassierte, ist die letzte Frage bei jedem der genannten Herren zulässig.
Auch bei "Jahrhunderttalent" Lovric, der Sturm ablösefrei verließ und sich erst in der Schweiz zu einem Serie-A-Kandidaten entwickelte, und bei Schmid, der den Grazern früh den Rücken kehrte und es via Salzburg und Bremen mit Zwischenstopp in Wolfsberg versuchte.
Da sich Lovric für Slowenien entschied, ist Schmid der einzige ÖFB-A-Team-Spieler in dieser Auflistung. Hier wurden die ÖFB-Teamspieler ausgebildet>>>
Und sonst?
Das Etablieren in der BundesligaAus Johannes Handl wurde ein solider Bundesliga-Spieler, der allerdings nie für Sturm auflief. Mit Niklas Geyrhofer hat ein aktuelles Kadermitglied die Liga-Tauglichkeit nachgewiesen, die betriebsinterne Konkurrenz für den Innenverteidiger ist jedoch bekanntlich nicht gering.
Selbiges gilt für Christoph Lang, der nach einer persönlich gelungenen Leihe in Ried abermals andernorts den Schritt zum etablierten Bundesliga-Kicker machen muss, diesmal per Leihe nach Hartberg.
Komposch versucht sich via Hartberg in der Bundesliga zu etablierenFoto: © GEPA
Dies könnte auch noch anderen gelingen. Lukas Fadinger etwa debütierte bereits 2017/18 in der Bundesliga. Auf seine beiden Einsätze für Sturm folgten jedoch vier unterklassige Jahre in der Regionalliga Mitte (Sturm Amateure) und der 2. Liga (SV Lafnitz), ehe er sich in der abgelaufenen Spielzeit beim TSV Hartberg durchsetzte. Nun soll beim SCR Altach der nächste Schritt gelingen.
Ebenfalls in Hartberg wiederum möchte sich Innenverteidiger Paul Komposch im Oberhaus etablieren. Christoph Urdl ist inzwischen 23 und bekommt ab sofort nach drei Regionalliga-Jahren in Deutschlandsberg eine Bundesliga-Chance bei den Oststeirern.
Im Oberhaus nimmt auch Tobias Koch einen neuen Anlauf, nachdem er als Stammkraft des FC Blau-Weiß Linz den Aufstieg bejubeln durfte.
Plan BDardan Shabanhaxhaj wiederum überzeugte bei seiner Leihe zum NS Mura, weshalb sich die Slowenen erfolgreich um eine fixe Verpflichtung bemüht haben.
Spieler entwickeln sich unterschiedlich schnell. Aus Akademie-Sicht ist es auch in Ordnung, wenn Absolventen erst im zweiten oder dritten Anlauf den Sprung schaffen.
So dient etwa auch Sturm als Plan B für die früheren Salzburger Akademiker David Affengruber, Alexander Prass und Jusuf Gazibegovic, die nach ihrer Zeit bei den "Bullen" auf einen Umweg angewiesen waren.
Der Blick nach Salzburg ist womöglich auch für Sturm kein uninteressanter, wenn es um die internen Ansprüche geht. Zumindest in Relation gesehen.
ErwartungshaltungDie Salzburger Erwartungshaltung an die eigenen Talente, nämlich internationale Tauglichkeit, wird sich in Graz alleine schon aus finanziellen und infrastrukturellen Gründen so nur schwer konstant umsetzen lassen.
Aber im Maßstab der Entwicklung der eigenen Kampfmannschaft, die am besten Weg zum Europacup-Gruppenphasen-Stammgast ist, sind natürlich Schritte erforderlich. Dass dies nicht von heute auf morgen geht, versteht sich von selbst - auch die Installierung der Zweitvertretung in der Admiral 2. Liga erfolgte erst vor einem Jahr und kann nur schwer auf Anhieb Früchte tragen.
Vom Wunsch-Szenario, auch mit selbst entwickelten Talenten Geld zu verdienen, nachdem man sportlich von ihnen profitiert hat, ist man derzeit jedoch einigermaßen weit entfernt - und nichts anderes sollte das Ziel sein.
Eine wichtige ThematikAbseits eines kaum vernehmbaren Rumorens wird dies derzeit mehr oder weniger mit der Schulter zuckend zur Kenntnis genommen, aufgrund des sportlichen wie finanziellen Erfolgs auch irgendwo verständlich. Die Transfer-Erlöse stechen derzeit auch eine Ö-Topf-Beteiligung.
Sich der Nachwuchs-Thematik deshalb jedoch nicht noch intensiver als bisher zu widmen, wäre allerdings ziemlich kurzsichtig.
Dafür bedarf es jedoch auch einer gewissen Hilfe der Stadt und des Landes. Denn in Sachen Infrastruktur hat Sturm nicht nur beim Stadion einen massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz, sondern angesichts der großteils veralteten Anlagen auch im Nachwuchsbereich.
Aufholbedarf auf sämtlichen Ebenen also. Und selbige muss auch gelingen. Denn niemand sollte sich in Graz fragen müssen, "für was die Akademie wirklich is".