Mafiaboss Messina Denaro tot: „Ohne meinen Krebs hättet ihr mich ...

Eine seiner letzten Äußerungen im Verhör, ehe er im Gefängniskrankenhaus von L’Aquila ins Koma versank, soll gewesen sein: „Ich will nicht überheblich klingen, aber ohne meinen Krebs hättet ihr mich nie erwischt.“ An dieser Darmkrebserkrankung ist Matteo Messina Denaro, der „Boss der Bosse“ der sizilianischen Cosa Nostra, in der Nacht zum Montag gestorben. Er wurde 61 Jahre alt.

Matthias Rüb

Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

Viel spricht dafür, dass Messina Denaro zuletzt etwas Wahres gesagt hat, ehe sein überaus brutales Verbrecherleben endete. Denn er wurde am 16. Januar dieses Jahres, nach mehr als drei Jahrzehnten auf der Flucht, in einer Privatklinik in Palermo verhaftet. In der Klinik „La Maddalena“ hatte sich Messina Denaro unter dem falschen Namen Andrea Bonafede einer Darmoperation unterzogen und musste hernach das Krankenhaus für die postoperative Chemotherapie immer wieder aufsuchen.

Die Reisen und Arztbesuche machten ihn verwundbar

Die häufigen Reisen von seinem Versteck in seiner Heimatstadt Castelvetrano in der westsizilianischen Provinz Trapani nach Palermo, die Kommunikation mit den Ärzten und der Klinik sowie mit seinen Verwandten und Vertrauten über seine Krankheit machten ihn verwundbar und brachten die Ermittler auf seine Spur. Die Krankheit und die Therapie machten ihn offenbar auch müde.

Mancher Mafiaexperte spekulierte, Messina Denaro habe sich am Ende freiwillig festnehmen lassen, um die letzten Monate seines Lebens in der Ruhe einer Einzelzelle in einem Hochsicherheitsgefängnis zu verbringen, statt ständig auf der Hut sein zu müssen.

Er war nicht bereit, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten

Als die Beamten der Carabinieri-Spezialeinheit ROS im Januar in Palermo zugriffen, gab der seinerzeit meistgesuchte aller Mafiabosse sogleich zu: „Ich bin Matteo Messina Denaro.“ Abgeführt wurde er in einer dunkelbraunen Wildlederjacke mit Schafswollfutter, dazu trug er eine cremefarbene Wollmütze und eine getönte Brille. Jahrzehntelang waren keine Fotos von ihm bekannt geworden. Nach einem ersten Verhör in Palermo wurde Messina Denaro zum Hochsicherheitsgefängnis in L’Aquila in den Abruzzen geflogen. Im dortigen Krankenhaus wurde er weiter behandelt, auch zwei weitere Male operiert.

Zur Zusammenarbeit mit den Ermittlern fand sich Messina Denaro nicht bereit. Was hätten diese ihm auch bieten können im Gegenzug zur Kooperation: Hafterleichterungen für die letzten Monate einer Palliativtherapie? Am Freitagabend hatten die behandelnden Ärzte bekannt gegeben, dass Messina Denaro in ein Koma gefallen sei, aus dem er nicht mehr erwachen werde. Auf seinen eigenen Wunsch hin seien lebenserhaltende Maßnahmen eingestellt worden. In den letzten Stunden war seine Tochter bei ihm, die während seiner Jahre im Versteck geboren wurde.

Messina Denaro wurde 1962 in Castelvetrano geboren, sein Vater war der als „Don Ciccio“ bekannte Mafiaboss Francesco Messina Denaro, dessen Nachfolge er antrat. Matteo Messina Denaro war unter Beinamen wie „Diabolik“ und „Rolex“ bekannt und pflegte damit zu prahlen, mit den Opfern, die er eigenhändig umgebracht habe, könne man „einen ganzen Friedhof füllen“. Seinen ersten Mord soll er mit 18 Jahren begangen haben, insgesamt wurden ihm mehr als 50 Tötungsdelikte zur Last gelegt.

Bombenanschläge und Massaker in den Neunzigern

Neben den berüchtigten Cosa-Nostra-Bossen Bernardo Provenzano und Totò Riina, die 2016 beziehungsweise 2017 in der Haft starben, gehörte Messina Denaro zur Generation jener Paten der „Prima Grandezza“, die in den Neunzigerjahren mit Bombenanschlägen und Massakern den italienischen Staat herausforderten. Auch an den Bombenanschlägen auf den Anti-Mafia-Ermittler Giovanni Falcone und den Richter Paolo Borsellino in Palermo vom Sommer 1992 war Messina Denaro beteiligt. Neben Falcone und Borsellino starben damals auch mehrere Leibwächter und Begleiter der prominenten Mafiajäger. Auch die Entführung des kleinen Giuseppe Di Matteo 1993 soll Messina Denaro mitgeplant haben: Der Sohn eines verfeindeten Clanchefs wurde verschleppt, damit sein Vater nicht vor Gericht aussagt. Nach 779 Tagen Geiselhaft wurde der Junge kurz vor seinem 15. Geburtstag erdrosselt, sein Leichnam in Säure aufgelöst.

Bald lernten die Bosse der „Prima Grandezza“ die Lektion, dass eine Totalkonfrontation mit der Staatsgewalt zur Niederlage und möglicherweise zur Auslöschung ihrer Organisation führen würde. Also ließen die Clanbosse davon ab, öffentlichkeitswirksam ranghohe Vertreter des Staates zu ermorden, und bauten stattdessen in der Stille des Untergrunds ihre kriminellen Netzwerke aus. Dass Matteo Messina Denaro jahrzehntelang unter falscher Identität in seiner Heimatstadt leben konnte, zeugt vom Erfolg dieser Strategie.

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