KTM-Pleite: Kein Geld für Beschäftigte im Reich des Stefan Pierer

3 Stunden vor

KTM ist zahlungsunfähig. Beschäftigte erhalten für November keine Zahlungen, auch das Weihnachtsgeld bleibt aus. Die Insolvenz ist vorläufiger Tiefpunkt einer rasanten Abwärtsfahrt des Konzerns um den Industriellen Stefan Pierer. Der machte immer wieder mit Aussagen von “mehr Leistung” Schlagzeilen. Aber auch mit Großspenden an die ÖVP, Millionen an staatlichen Förderungen bei gleichzeitiger Ausschüttung von Millionen an Dividenden und einer Selbstanzeige wegen “Verkürzung an Einkommenssteuer”.

KTM Pierer - Figure 1
Foto Moment.at

Motor aus bei KTM. Der Motorradhersteller aus Oberösterreich muss Insolvenz anmelden. Am Freitag soll das Unternehmen des Industriellen Stefan Pierer ein Sanierungsverfahren beantragen. Das teilte die Muttergesellschaft Pierer Mobility mit. Die Lage ist dramatisch, vor allem für die 3.670 betroffenen Beschäftigten. Wegen der Insolvenz werden die November-Gehälter nicht ausgezahlt, und auch nicht das Weihnachtsgeld. Das sagte zuerst der Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich, Andreas Stangl im Ö1-Morgenjournal.

Später kündigte KTM an, die Löhne und Gehälter für Dezember schon in der kommenden Woche zu zahlen. Man wolle damit „Härtefälle vor Weihnachten abfedern“, so das Unternehmen. Die ausstehenden Zahlungen für November und das Weihnachtsgeld „sind dann vom Insolvenzfonds im Nachhinein zu bezahlen, wenn diese Ansprüche anerkannt sind“, erklärte Stangl. Das werde aber einige Monate dauern. Was Beschäftige jetzt vor allem tun sollten: Nichts unterschreiben, was KTM ihnen vorlegt.

KTM-Pleite: Dreistelliger Millionenbetrag fehlt

Betroffen von der Pleite jetzt sind die KTM AG, die KTM Components GmbH und die KTM Forschungs & Entwicklungs GmbH. KTM trug laut Unternehmen zuletzt 95 Prozent der Umsätze von Pierer Mobility bei. Schon Tage vor der Insolvenzankündigung meldete die börsennotierte Pierer Mobility, dass sie bei KTM einen „zusätzlichen Liquiditätsbedarf“ in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags abzudecken habe.

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Pierer ist größter Eigner im KTM-Konstrukt

Angekündigt wurden tags darauf bis zu 300 Kündigungen. Dazu werde die Produktion von Motorrädern im Jänner und Februar gestoppt und Kurzarbeit eingeführt. Gespräche liefen mit der Kernaktionärin Pierer Bajaj AG, der rund 74,9 Prozent der Anteile gehören, und anderen Gläubiger:innen. Das Firmengeflecht der Konzerngruppe um Stefan Pierer ist äußerst verschachtelt.

Denn Pierer Bajaj wiederum gehört zu 49,9 Prozent dem indischen Autohersteller Bajaj und 50,1 Prozent der Pierer Industrie AG und zu. Da hört es aber noch nicht auf: Die Pierer Industrie AG gehört zu 100 Prozent der Pierer Konzerngesellschaft mbH. Alleiniger Gesellschafter dieses Unternehmens ist: Stefan Pierer. Das macht ihn indirekt zum mit Abstand größten Anteilseigner an der nun in die Insolvenz schlitternden KTM AG, dessen Geschäftsführer er auch ist.

KTM und Stefan Pierer, das ist eine Einheit. Der heutige Präsident der Oberösterreichischen Industriellenvereinigung übernahm Anfang der 1990er Jahre den maroden Zweiradhersteller aus Mattighofen – und trimmte ihn auf Erfolg. Von einigen hundert Beschäftigten wuchs das Unternehmen auf heute in Österreich rund 3.670 Mitarbeiter:innen. 

Geld aus Liechtenstein: Pierer erstattete Selbstanzeige

Für Aussagen wie “vier Tage arbeiten und für fünf Tage verdienen – das wird’s nicht spielen” und “Wir müssen mehr Leistung bringen”, der Forderung von Arbeiten bis ins hohe Alter oder den Hinweis darauf, dass Angestellte in China “einfach mehr arbeiten” machte er nicht nur einmal klar, was Pierer von Beschäftigten erwartet.

Im Jahr 2017 spendete er 456.563 Euro an die ÖVP des damaligen Kanzlerkandidaten Sebastian Kurz. Im selben Jahr wurde bekannt, dass Pierer zwei Wochen vor Inkrafttreten eines Steuerabkommens mit Liechtenstein im Jahr 2013 mehr als 20 Millionen Euro von dort zu sich nach Österreich überwies – und sich so Millionen an Abgaben ersparte. Weil Österreich später beschloss, dass solche Geldflüsse auch rückwirkend gemeldet werden müssen, bekam Pierer Probleme. Er erstattete eine Selbstanzeige bei der Finanz. Darin war zu lesen, dass es “seit den 1990er-Jahren bis einschließlich 2010 bei Dr. Pierer zu einer Verkürzung an Einkommensteuer gekommen” sei. 

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Für die Errichtung der “KTM-Motohall” in Mattighofen sagte das Land Oberösterreich der KTM-Gruppe im Jahr 4,5 Millionen Euro zu. Zusätzlich stellte die Stadt Mattighofen weitere 2,24 Millionen Euro an Steuergeld für den Bau des “Museums” bereit. Der Landesrechnungshof kritisierte im Jahr 2020 die “sehr hohe Quote” von 30 Prozent der Förderungen an den gesamten Kosten des Baus und sah Mängel bei deren Vergabe. 

Schulden explodierten bei Pierer zuletzt

Noch im vergangenen Jahr erzielte Pierer Mobility einen Umsatz von 2,6 Milliarden Euro und 160 Millionen Euro Gewinn. Doch jetzt der Knick: Im ersten Halbjahr meldete Pierer Mobility einen Verlust von 172 Millionen Euro. Volle Lager und hohe Schulden drücken auf KTM. Waren es Mitte 2022 noch 256,5 Millionen Euro Schulden, standen Ende Juni dieses Jahres plötzlich 1,47 Milliarden Euro Schulden in den Büchern.

Die Eigenkapitalquote von Pierer Mobility ging dramatisch zurück: von 35,8 Prozent Ende 2022 auf nur mehr 22,1 Prozent Ende Juni 2024. Einen Grund dafür nennt Pierer Mobility im eigenen Halbjahresbericht: „Zudem führten auch Dividendenzahlungen in Höhe von 17,1 Millionen Euro zu einer Verringerung des Eigenkapitals“, heißt es dort. Die jährliche Belohnung für Aktieninhaber:innen – darunter Stefan Pierer – fiel nicht aus.

Beschäftigte in Kurzarbeit, Millionen an Dividende

Im Jahr 2022 schüttete Pierer Mobility 67,8 Millionen Dividenden aus, im Jahr davor waren es 34,3 Millionen Euro. Im Corona-Jahr 2020 sorgte Pierer Mobility für einen öffentlichen Aufschrei: Das Unternehmen schickte seine Beschäftigten in Kurzarbeit und erhielt dafür die staatliche COVID-19 Kurzarbeitsbeihilfe. Wie erst nach Jahren bekannt wurden, waren das für die KTM AG 10,4 Millionen Euro. An die jetzt ebenfalls in Insolvenz gehende KTM Components GmbH flossen weitere 1,69 Millionen Euro Kurzarbeitsgeld. Gleichzeitig plante Pierer Mobility im Frühjahr 2020, Dividenden aus den Vorjahresgewinnen an Aktionär:innen auszuschütten. Unter ihnen auch: Stefan Pierer.

Die öffentliche Entrüstung war so groß, dass Pierer selbst ankündigte, die beschlossenen Dividenden doch nicht auszuschütten und im Unternehmen zu belassen. Tatsächlich vermerkt der Geschäftsbericht der Pierer Mobility aus dem Jahr 2020: Vom Gewinn seien 0 Euro Dividenden ausgeschüttet worden. Aber: Einige Seiten weiter hinten werden in der Kapitalflussrechnung unter „Dividendenzahlungen an Dritte“ 26,7 Millionen Euro ausgewiesen. Pierer Mobility widerspricht sich also im eigenen Geschäftsbericht.

Im Bericht wird auch angekündigt, für das Geschäftsjahr 2020 – also das, in dem KTM staatliche Coronahilfen erhielt – eine Dividende an Aktionär:innen auszuschütten. Ihre Höhe: 11,17 Millionen Euro. Und: Die KTM AG – also das Tochterunternehmen, deren Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt worden waren und die jetzt Pleite ist – schüttete 2020 sehr wohl eine Dividende in Höhe von 27,1 Millionen Euro aus.

Hohe Boni für Konzernchef Stefan Pierer

Daneben flossen – auch während Corona – Boni an die Vorstände von Pierer Mobility. Seine Firma vergütete die Leistungen von Stefan Pierer in den vergangenen Jahren ordentlich: 1,3 Millionen Euro waren es im Jahr 2019, fast 1,5 Millionen Euro erhielt er im Corona-Jahr 2020. In den beiden Jahren darauf boomte das Geschäft mit den schnellen Motorrädern. Der Geschäftsführer kam 2021 auf 2,75 Millionen Euro Vergütung und erhielt knapp 2,4 Millionen Euro im Jahr 2022. 

Für 2023 weist der Vergütungsbericht der Pierer Mobility verhältnismäßig bescheiden wirkende 940.000 Euro Jahresbezug für Stefan Pierer aus. Möglich macht das die für Managergehälter übliche “Variable Vergütung”. Dieser Jahresbonus machte etwa im Jahr 2021 fast 84 Prozent der Vergütung für Pierer aus. Im vergangenen Jahr erhielten alle damals noch sechs Vorstände zusammen 4,8 Millionen Euro. Hier wurde umgebaut. Seit kurzem gibt es nur noch zwei Vorstände. Einer davon heißt natürlich Stefan Pierer.

Ausschnitt aus Vergütungsbericht von Pierer Mobility: Im Spitzenjahr 2021 erhielt Stefan Pierer mehr als 2,7 Millionen Euro. (Screenshot: Moment.at)
Ein Jahr von Kündigungen und gestrichener Stellen

Schon im Dezember 2023 kündigte Pierer Mobility an, bis zu 300 Stellen streichen zu wollen. Im März hieß es, weitere 120 Beschäftigte der Forschungs & Entwicklungs GmbH müssten gehen. Kündigungen liefen scheibchenweise: 15 seien im Jänner ausgesprochen worden, vier im Februar, bis zu 20 sollten es im März sein, sagte der damalige Pierer-Mobility-Finanzvorstand Viktor Sigl. Damit seien die „unternehmensseitigen Maßnahmen erledigt“, so Sigl.

Doch im August meldete Pierer: Noch einmal 200 Jobs sollen gestrichen werden. Dann ging es Schlag auf Schlag: Weitere Kündigungen und Produktionsstopp bei KTM wurden angekündigt.

Am Montag ließ die im Firmenkonstrukt über der Pierer Mobility stehende Pierer Industrie AG aufhorchen: Sie leitet ein europäisches Restrukturierungsverfahren ein. Das sei notwendig, weil bei „Umsetzung der auf Ebene der KTM AG in Erwägung gezogenen Maßnahmen“ Finanzierungen in Höhe von 250 Millionen Euro fällig gestellt werden könnten, meldete die Pierer Industrie AG etwas nebulös. Das würde „zur Zahlungsunfähigkeit der Pierer Industrie AG führen“.

Nur einen Tag später vermeldete Pierer Mobility die Zahlungsunfähigkeit der KTM AG. „Die Marke KTM ist mein Lebenswerk, und ich werde für sie kämpfen“, kündigte Stefan Pierer an. Ziel sei es, nun innerhalb von 90 Tagen mit den Gläubigern einen Sanierungsplan zu vereinbaren. Das heißt auch: Die Beschäftigten müssen über Weihnachten um ihre Jobs und die ausstehenden Löhne und Gehälter bangen.

KTM-Pleite: Beschäftigte sollten Ansprüche melden

Die Arbeiterkammer rät Beschäftigten von insolventen Unternehmen, sich bei ihnen zu melden, sobald sie Löhne und Gehälter nicht mehr bekommen. Der „Insolvenzschutzverband für ArbeitenehmerInnen“ meldet diese Forderungen dann bei Gericht an. Das Geld kommt dann aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF). Er soll sicherstellen, dass Beschäftigte von Pleite gegangenen Firmen ihre Löhne und Gehälter voll ersetzt bekommen.

Dort zahlen Arbeitgeber:innen eine Abgabe in Höhe von 0,1 Prozent der Löhne und Gehälter ihrer Beschäftigten ein. Der Satz und die gesamten Beiträge in den IEF sanken in den vergangenen Jahren. 2023 zahlten die Unternehmen 137 Millionen Euro in den Topf ein.

Die KTM-Beschäftigten erhalten ihre Löhne und Gehälter von November und ihr Weihnachtsgeld 2024 höchstwahrscheinlich erst ersetzt, wenn es schon einige Zeit 2025 ist.

*Anmerkung: Der Artikel wurde am 28.11.2024 um weitere Informationen ergänzt.

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