Nachdenken über Karoline Edtstadler

3 Mär 2024

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler in der ORF-Pressestunde (Screenshot @ orf.at)

Karoline Edtstadler - Figure 1
Foto FALTER Wien

Die Pressestunde ist ein Format des ORF, das vor allem dazu dient, Politikern und Politikerinnen zu ermöglichen, ihnen zugeworfene Hölzchen aufzugreifen und publikumswirksam zu apportieren, was ihnen die Spindoktoren zuvor zu diesen Hölzchenthemen aufgeschrieben haben. Die Pressestunde ist also ein zu Recht ungern gesehenes Format. Das war auch am ersten Sonntag im März so, zumal man in Ö1 zugleich Kyril Petrenko das Bayerische Staatsorchester Friedrich Smetanas "Mein Vaterland" dirigieren hören konnte; ein Erlebnis, das ich nicht missen mochte.

So entging mir der Anblick Karoline Edtstadlers, auf den ich jedoch, der Wahrheit die Ehre, nicht halb so scharf bin wie jener unglückliche Ministerkollege, der einst dabei betreten wurde, wie er Frau Edtstadlers Silhouette mit seiner Handykamera a tergo festhielt.

Ich finde Frau Edtstadler ungemein sympathisch, sie hat sich einen Flügel im Büro aufstellen lassen, in den sie vermutlich mit Fäusten drischt, wenn der Name Eleonore Gewessler auftaucht, dessen Tastatur sie aber gar anmutig zu tractieren weiß, wenn Feiertage und Kamerateams nahen. Wer weiß, wieviel mir Musik, Klavierspiel zumal bedeutet, kann ermessen, wie sehr diese Fähigkeiten Frau Edtstadlers mich für sie einnehmen. Einen weiteren Pluspunkt erreicht sie damit, dass es sich nicht einmal um einen goldenen Luxusflügel handelt, sondern um einen ganz bescheidenen normalen Bösendorfer, eine Leihgabe dieser Firma. Somit hebt sie sich also von den Allüren des Nationalratspräsidenten ab und gibt sich musikalisch bescheiden.

Karoline Edtstadler - Figure 2
Foto FALTER Wien

Ich möchte weiters für Frau Edtstadler ins Treffen führen, dass ihr wohl aus dem Salzburgischen stammender Name ebenso urösterreichisch klingt wie jener ihrer Koalitionsfeindin Gewessler. Edtstadler-Gewessler, das könnte der Name eines österreichischen Damenrodelteams sein, das bei Europameisterschaften knapp an Bronze vorbeischrammt, und deswegen sofort wieder vergessen wird.

Sie sehen, ich versuche, Dinge zu finden, die mich für Frau Edtstadler gewinnen. Ihr Auftritt bei der Pressestunde und ihre Performance als Verfassungsministerin sind es nicht. Auch nicht die Aussicht, dass sie demnächst auf den Posten einer EU-Kommissarin weggelobt werden soll (diesen echten Karrieresprung empfindet man in Österreich so), oder dass sie insgeheim auf die Nehammer-Nachfolge spitzt. Soll sie alles machen.

Sie soll auch wasserfallartig parlieren und sich um die Nachfolge des Attributs "Frau Sprudelsprech" bewerben, den ich einst Frau Riess-Passer zumaß, die es ja dank ihrer überragenden ökonomischen Fähigkeiten ebenfalls zu Ruhm, Reichtum und Einfluss brachte. Ich liebe diese Republik, weil sie einfach die Besten nach vorn bringt!

Edtstadler soll von mir aus klavierspielen, sprudelsprechen, kampflächeln. Aber sie soll nicht als Verfassungsministerin öffentlich das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben, und zwar um eines schnöden und dazu noch aberwitzig durchsichtigen parteipolitischen Spins willen.

Sie wolle das Verfahren Kurz nicht kommentieren, sagt sie und nennt im gleichen Atemzug den Richter das Verfahrens befangen, weil dieser eine mit dem Fall in keinerlei Zusammenhang stehende Disziplinarstrafe erhielt und das erst nach Ende des Verfahrens publizierte. Wohlweislich, um Schlammlawinen während des Verfahrens hintanzuhalten, wie sie die ÖVP nun lostritt. Ihre Funktionäre, bisweilen ausgebildete Juristen, wissen genau, dass hier nicht einmal der Anschein der Befangenheit vorliegt. Sie wissen aber auch, dass der Anschein der Befangenheit, läge er vor, tatsächlich mit Befangenheit gleichzusetzen wäre. Nämlich juristisch.

Karoline Edtstadler - Figure 3
Foto FALTER Wien

Deswegen ist Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) befangen, jener Mann, über den Edtstadler und die anderen, die jetzt das Maul vor lauter Befangenheitsgeschrei nicht mehr zukriegen, kein Wort verlieren. Sobotka war und ist tatsächlich im juristischen Sinn befangen, allein wegen der Geldflüsse von Novomatic an das von ihm präsidierte Alois-Mock-Institut. Und er leitet schon wieder Untersuchungsausschüsse. Das ist performative Verachtung des Rechtsstaats, gedeckt von der Verfassungsministerin und ihren Freunden.

Ein derart flagranter Fall von Doppelmoral, Scheinheiligkeit und Desinformation kann nicht ungesühnt durchgehen. Würde man meinen, wäre man nicht in Österreich. Deswegen hat Frau Edtstadler mit ein paar Sätzen nicht nur allen ihren mühsam bei mir aufgebauten Kredit verspielt. Man muss sie fortan als Verteidigerin des Rechtsstaats und als Verfassungsministerin für disqualifiziert ansehen.

Haben Sie trotzdem eine schöne Woche!

Ihr Armin Thurnher

Man kann naturgemäß Frau Edtstadlers Pressestunde ebenso als Operettenszene auffassen wie das Interview von Sebastian Kurz bei Armin Wolf. Das habe ich hier getan, ein paar Leute haben es gemocht. Mit solcherlei Unterhaltungen versuche ich in der Kolumne, mir über die tiefe innenpolitische Depression hinwegzuhelfen.

Der Ausdruck "male chauvinist pig" griffe in diesem Fall tatsächlich zu kurz. Es ist schlimmer. Mit männlichem Chauvinismus befeuert Wladimir Putin in Russland die Kriegsstimmung. Im FALTER-Radio spricht Tessa Szyszkowitz mit der Russlandexpertin Sabine Fischer über Putins Autokratie, Nationalismus und Sexismus.

Wie geht es den immerhin 70.000 Flüchtlingen aus der Ukraine in Wien? Nina Brnada hat für den FALTER mit einer von ihnen gesprochen, die Pianistin werden will, und schildert, was die Integration der hierher Geflüchteten erschwert.

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