Kriegsangst in Nahost - was bekannt ist
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Iranischer Angriff erwartet Kriegsangst in Nahost - was bekannt istStand: 05.08.2024 11:33 Uhr
Seit den Tötungen von Anführern der Hamas und der Hisbollah wächst die Anspannung im Nahen Osten. Erwartet wird, dass der Iran und seine Verbündeten Israel angreifen. Was über die Lage in der Region bekannt ist.
Angesichts eines befürchteten Angriffs des Iran und seiner Verbündeten auf Israel laufen intensive diplomatische Bemühungen zur Beruhigung der Lage in Nahost. Doch obwohl viele westliche und arabische Staaten beide Seiten zur Beruhigung aufrufen, gibt es keine Zeichen der Annäherung zwischen Israel auf der einen und dem Iran und seinen Verbündeten auf der anderen Seite. Seit den Tötungen von Hamas-Anführer Ismail Hanija in Teheran, für den Israel verantwortlich gemacht wird, und dem Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukr in Beirut wird ein Vergeltungsschlag der Verbündeten des Irans erwartet. Antworten auf wichtige Fragen zur Lage im Nahen Osten.
Das ist die Frage, um die sich alles dreht. In den Drohungen Teherans und der libanesischen Hisbollah war immer wieder von den "nächsten Tagen" die Rede. Das US-amerikanische Nachrichtenportal Axios berichtete am Sonntag unter Verweis auf die Einschätzungen US-amerikanischer und israelischer Regierungsstellen, dass der Iran bereits ab Montag angreifen könnte. Dies soll US-Außenminister Antony Blinken auch seinen Kollegen in der G7-Videoschalte gesagt und als Zeitfenster von den kommenden 24 bis 48 Stunden gesprochen haben. Es wird erwartet, dass die Hisbollah, die Hamas, die jemenitische Huthi-Miliz sowie weitere islamistische Gruppen aus Syrien und dem Irak den Iran unterstützen werden. Israel könnte ein Mehrfrontenkrieg bevorstehen.
Konkrete Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff blieben bislang aber aus. Es zeichne sich "kein definitives Bild" über die zu erwartenden Attacken ab, hieß es beim israelischen Fernsehsender Channel 12. Derweil wächst der Druck auf den israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu von allen Seiten, berichtet ARD-Korrespondent Clemens Verenkotte. "Wir haben keine Strategie", kritisierte der ehemalige Sprecher der israelischen Armee, Ron Kochav, im Fernsehsender Channel 2 die Regierung von Netanyahu. Die Öffentlichkeit sollte einen "klaren Überblick über den Stand der Dinge haben", so der Ex-Armeesprecher weiter.
Wie stark sind der Iran und die Hisbollah?Schaut man auf eine Landkarte, sieht man, dass sich das Einflussgebiet des Irans wie eine Art Halbmond über den Irak, Syrien bis hin zu dem am Mittelmeer gelegenen Libanon erstreckt. Der Iran hat in den vergangenen Jahren Milliarden in seine Verteidigung investiert. Die klassische iranische Armee und die Revolutionsgarden (IRGC) zählen über eine halbe Million Soldaten, dazu kommen Tausende freiwillige Krieger. Dem Iran wird außerdem ein großes Arsenal an Langstreckenraketen, Kriegsschiffen, Kampfflugzeugen und Drohnen zugeschrieben, womit das Land jeden Teil Israels treffen könnte.
Zudem steckt der Iran viel Geld in die Ausrüstung der sogenannten Proxies, damit sind die bewaffneten Unterstützergruppen wie die Hisbollah gemeint. Die Terrormiliz aus dem Libanon soll nach westlichen Schätzungen über etwa 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper verfügen - etwa das Zehnfache ihres Arsenals im Vergleich zur Zeit des letzten Kriegs mit Israel im Jahr 2006. Sie hat Zehntausende Anhänger und Mitglieder und im Libanon faktisch eine Art Staat im Staate aufgebaut.
Wie bereitet sich Israel vor?Israel hat seine Armee am Wochenende in höchste Alarmbereitschaft versetzt, berichtete der israelische Rundfunk. Netanyahu hatte nach den entsprechenden Drohungen aus Teheran erklärt, sein Land sei auf jedes Szenario "auf höchstem Niveau" vorbereitet - "sowohl defensiv als auch offensiv". Kampfjets patrouillierten demnach im Luftraum des Landes und Bodentruppen an den Grenzen. Weiter hieß es, in Israel rechne man damit, dass die libanesische Hisbollah eine "starke Vergeltung" für die Ermordung ihres Kommandeurs plane.
Ungeachtet der Drohungen hat der israelische Zivilschutz seine Anweisungen an die eigene Bevölkerung bislang nicht verändert. Die Bevölkerung solle wachsam bleiben, sagte ein Armeesprecher. ARD-Korrespondent Jörg Poppendieck berichtet auf tagesschau24 aus Tel Aviv: "Auf den Straßen ist etwas weniger los, aber die Menschen gehen auch noch ganz normal zur Arbeit." Die Stimmung sei "noch ruhig und gelassen".
In größeren Teilen Israels ist die Nutzung des Satellitensystems GPS gestört worden, laut dem ARD-Korrespondenten auch im Großraum Tel Aviv. Nutzern würden beispielsweise in Navigationsprogrammen fehlerhafte Standorte angezeigt. "Daran kann man auch erkennen, dass die Vorbereitungen laufen", sagt Poppendieck bei tagesschau24. Das Ortungssystem diene auch Drohnen, ihr Ziel zu finden. Schon vor dem iranischen Großangriff mit Hunderten Raketen und Drohnen im April hatte die israelische Armee mitgeteilt, das GPS-System gezielt gestört zu haben. Auf eine Anfrage zur neuerlichen Störung antwortete die Armee nun: "kein Kommentar."
Zudem setzt Israel wohl auf eine von den USA angeführte Schutzkoalition, die wie schon im April Luftangriffe abwehren könnte. Als mögliche Schutzpartner gelten außerdem Großbritannien, Saudi-Arabien und auch Jordanien. Eine wichtige Rolle spiele für Israel auch die eigene Flugabwehr mit dem Iron Dome.
Welche Rolle nehmen die USA ein?Israel dürfte fest mit der Unterstützung der USA und wohl auch anderer Verbündeter rechnen können, wenn es darum geht, Raketen, Marschflugkörper und Drohnen abzufangen. Die Regierung in Washington hatte am Freitag angekündigt, die Militärpräsenz im Nahen Osten zu verstärken. Zusätzliche Kriegsschiffe und Kampfjets würden zum Schutz von US-Kräften und zur Verteidigung Israels entsandt, erklärte das Pentagon. Auch der Oberbefehlshaber des Regionalkommandos der USA sollte anreisen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte seinem israelischen Kollegen Joav Galant am Telefon "eiserne Unterstützung" bei der Selbstverteidigung zugesagt, wie das Pentagon anschließend mitteilte.
US-Präsident Joe Biden wird nach Angaben des Weißen Hauses am Montag ein Treffen mit seinen Sicherheitsberatern zur Lage in Nahost abhalten, an dem auch Vizepräsidentin Kamala Harris teilnimmt. In direkten Gesprächen mit Netanyahu soll ihn Biden laut Medienberichten sehr energisch aufgefordert haben, eine Einigung über eine Waffenruhe in Gaza zu erzielen. Außerdem habe er beklagt, dass die Tötung des Hamas-Auslandschefs Hanija zu einem ungünstigen Zeitpunkt erfolgt sei - und zwar in einem Moment, in dem die USA gehofft hätten, die Gespräche über eine Waffenruhe abschließen zu können. Biden hatte die Tötung zuvor auch öffentlich kritisiert, ohne aber Israel direkt verantwortlich zu machen.
Welche Staaten wollen vermitteln?Allen voran bemühen sich weiterhin die Regionalmächte Katar, Ägypten und Jordanien um eine Vermittlung zwischen Israel und der Iran-Hamas-Allianz. Der jordanische Außenminister Ayman Safadi war zu einem seltenen Besuch nach Teheran gereist. Dort sprach er am Sonntag mit seinem Amtskollegen Ali Bagheri. Das jordanische Außenministerium erklärte, Safadi werde auch eine Nachricht von König Abdullah II. für den iranischen Präsidenten Massud Peseschkian überbringen. Es war der erste Iran-Besuch eines jordanischen Regierungsmitglieds seit 2004. Jordanien gilt als enger Verbündeter des Westens und half im April, iranische Raketen und Drohnen abzufangen. 1994 schloss Jordanien einen Friedensvertrag mit dem Nachbarland Israel.
Außergewöhnlicher Besuch: Seit 2004 war kein jordanisches Regierungsmitglied wie nun Außenminister Safadi (l) zu Gast in Teheran.
Auch Ägyptens Außenminister Badr Abdel-Atti drängte nach offiziellen Angaben aus Kairo in einem Telefonat mit Bagheri darauf, dass alle Parteien Ruhe und Zurückhaltung üben müssen, damit die Lage nicht außer Kontrolle gerate. Ägypten hatte bereits 1979 einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen.
In Diplomatenkreise gebe es trotz aller Bemühungen jedoch kaum optimistische Stimmen, sagte ARD-Korrespondent Poppendieck bei tagesschau24. Es herrsche "viel Betrieb auf dem diplomatischen Parkett". Der Iran hat seit der Tötung Hanijas in Teheran mit mehreren arabischen Ländern beraten, darunter Jordanien, Ägypten, Oman und Katar. Iranischen Medienberichten zufolge lehnt der Iran bislang jedoch alle direkten Vermittlungsversuche ab. Ein iranischer Außenamtssprecher sagte, das Land wolle keine Eskalation der Lage, jedoch müsse Israel für die Ermordung Hanijas bestraft werden, "um weitere Instabilität zu verhindern".
Die Gruppe der G7-Industriestaaten rief alle Beteiligten zur Mäßigung auf. Die jüngsten Ereignisse drohten, einen größeren Konflikt in der Region zu entfachen, erklären die Länder gemeinsam. Daher sollten die beteiligten Parteien, den "gegenwärtigen destruktiven Kreislauf der Vergeltungsgewalt zu unterlassen, die Spannungen abzubauen und sich konstruktiv für eine Deeskalation einzusetzen". Zu den G7 gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA.
Das Einflussgebiet des Irans erstreckt sich wie eine Art Halbmond über den Irak, Syrien bis hin zu dem am Mittelmeer gelegenen Libanon.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat die Beteiligung deutscher Soldaten an einer Mission zum Schutz Israels zumindest für den Moment ausgeschlossen. Jede Beteiligung von deutschen Soldaten sei für ihn "gerade völlig unvorstellbar ist", sagte er am Wochenende am Rande seiner Südkoreabesuchs. Die Situation im Nahen Osten werde täglich gemeinsam mit dem Außenministerium und dem Kanzleramt bewertet, sagte Pistorius weiter. "Wir bereiten uns auf das vor, was auf uns zukommen könnte, wie etwa eine Evakuierung. Aber im Moment sind wir nur in der Phase der Vorbereitungen, nicht in der des Handelns."
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte derweil eine Beteiligung der Bundeswehr an der Schutzkoalition für Israel. "Angesicht der drohenden iranischen Attacke muss die Bundesregierung endlich aufwachen und Israel auch militärischen Beistand zur Abwehr anbieten", sagte er dem Spiegel. "Wenn Israels Sicherheit wirklich deutsche Staatsräson ist, muss die Bundesregierung, insbesondere das Bundeskanzleramt, endlich Realpolitik betreiben", sagte er. Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hielt in den Zeitungen der Funke Mediengruppe militärische deutsche Unterstützung zumindest auf Anfrage Israels für "gerechtfertigt".
Gab es am Wochenende neue Attacken?Zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel kam es weiterhin zu gegenseitigen Angriffen, die das bisherige Ausmaß aber nicht überschritten haben. Bei einem israelischen Drohnenangriff am Montagmorgen im Libanon sind nach libanesischen Angaben zwei Menschen getötet worden. Die Hisbollah beschoss ihrerseits erneut den Norden Israels mit Dutzenden Raketen. Nach israelischen Angaben kam es zu keinen größeren Schäden, da die meisten Geschosse abgefangen worden seien. Nahe dem Kibbuz Ajelet Haschahar seien zwei Soldaten leicht verletzt worden.
Im Gazastreifen gab es nach palästinensischen Angaben wieder zahlreiche Verletzte und auch Tote durch Luftangriffe. Das israelische Militär setzte seine Angriffe auch in anderen Gebieten des Gazastreifens fort. Die Armee teilte mit, sie habe binnen 24 Stunden 50 militärische Ziele im gesamten Gebiet attackiert. Dabei habe sie unter der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten auch einen drei Meter hohen Tunnel entdeckt. Die Anlage, durch die auch Fahrzeuge hätten fahren können, sei zerstört worden.
Vor der Küste des Jemen hat die Huthi-Miliz erstmals seit zwei Wochen wieder einen Frachter angegriffen. Die pro-iranische Gruppe erklärte, sie habe mehrere Raketen auf das Handelsschiff "Groton" abgefeuert. Das Sicherheitsunternehmen Ambrey und die britische Seefahrtsbehörde UKMTO bestätigten die Angriffe auf das unter liberianischer Flagge fahrende Schiff. Verletzt worden sei niemand, die Crew sei in Sicherheit, das Schiff sei in einen nahegelegenen Hafen umgeleitet worden.
Welche Schutzmaßnahmen ergreifen andere Staaten?Zahlreiche Staaten rufen ihre Bürgerinnen und Bürger mittlerweile dazu auf, den Libanon aber auch den Iran zu verlassen. Unter anderem Japan, die Türkei, Frankreich, Italien, Großbritannien und vorher schon die USA und Deutschland riefen Staatsangehörige auf, aus dem Libanon auszureisen. Großbritannien zog außerdem die Familien des Botschaftspersonals in Beirut wegen der instabilen Sicherheitslage ab. Die kanadische Regierung forderte ihre Staatsangehörigen auf, wegen der "unvorhersehbaren Sicherheitslage" keine Reisen nach Israel zu unternehmen. Auch Flüge in die Region wurden von mehreren internationalen Airlines zumindest vorübergehend ausgesetzt.