Neue Studie: Ist Intervallfasten schädlich für das Herz?

19 Mär 2024

Zuerst haben viele einfach das Abendessen weggelassen, um abzunehmen oder fit zu bleiben.

Wobei „einfach“ nur dann wirklich einfach ist, wenn man zu den Morgenmenschen gehört, die früh ins Bett gehen und am Abend eher wenig Hunger verspüren. Zählt man nicht zu den Lerchen, sondern zu den Eulen, also biorhythmisch zu den Spätaufstehern und Spätaufbleibern, dann ist das mit dem Weglassen des Abendessens keine ganz so einfache Sache.

Intervallfasten schädlich - Figure 1
Foto Berliner Zeitung

In jüngster Zeit lassen viele besonders Gesundheitsbewusste noch lieber das Frühstück aus als das Abendessen – sogar solche, die eigentlich Frühaufsteher sind. Weil sie sich davon noch bessere Ergebnisse für ihren Stoffwechsel erhoffen. Die Autophagie, also die Selbstreinigung der Zellen des menschlichen Körpers, laufe dann auf Hochtouren, glauben sie.

Guten Morgen, Berlin Newsletter

Vielen Dank für Ihre Anmeldung. Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Intervallfasten ist zu einem festen und liebgewordenen Bestandteil vieler Menschen geworden, die sich um ihre Gesundheit kümmern. Zahlreiche Berichte stützen die Annahme, dass das tägliche Auslassen einer Mahlzeit die Gesundheit fördere – sei es nun das Abendessen oder das Frühstück. Hauptsache sei, die Nahrungsaufnahme geschehe nur in einem bestimmten Zeitraum von meist acht Stunden und den Rest des Tages und der Nacht verbringe der Körper quasi mit dem Aufräumen seiner selbst. Vereinfacht gesagt. Das schütze auch vor Fettleber und Diabetes, Autoimmunerkrankte würden ebenfalls davon profitieren, laut diversen Studien.

Doch eine neue Studie bringt den festen Glauben an die Vorteile des Intervallfastens nun ins Wanken.

91 Prozent höheres Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben?

Personen, die intervallfasten, sollen ein 91 Prozent höheres Risiko haben, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. So lautet das Ergebnis einer Studie, die aktuell auf einer Konferenz der American Heart Association in Chicago vorgestellt wird.

Intervallfasten schädlich - Figure 2
Foto Berliner Zeitung
Meistgelesene Artikel

Forschende der Shanghai Jiao Ton University School of Medicine haben dafür die Essgewohnheiten von 20.000 Amerikanern untersucht. Dafür verwendeten sie Daten von Menschen im Alter über 20, die zwischen 2003 und 2018 an einem Programm namens National Health and Nutrition Examination Surveys teilnahmen. Im Schnitt wurden die Teilnehmenden acht Jahre lang beobachtet und ihre Daten mit denen des National Death Index abgeglichen.

Das überraschende Ergebnis lautet nun: Personen, die täglich in einem Zeitfenster von acht Stunden oder weniger essen, haben offenbar ein um 91 Prozent erhöhtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben.

Leiden Patienten bereits an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und essen in einem Zeitraum von weniger als zehn Stunden pro Tag, sei dieses Risiko um 66 Prozent erhöht. Außerdem sei auch das Risiko erhöht, an Krebs zu sterben, wenn der Zeitraum der Essensaufnahme größer als 16 Stunden ist. Das Gesamtrisiko, zu sterben, sei bei Personen, die intervallfasten, allerdings nicht größer als bei anderen.

Die Studie befindet sich noch im Reviewprozess, daher sind noch nicht alle Informationen der Untersuchung verfügbar. Trotzdem hat das Science Media Center schon Wissenschaftler aus Berlin und Wien angefragt, was sie von den Ergebnissen halten.

„Aussagewert äußerst gering“

Ziemlich wenig, sagt der Chefarzt des Immanuel-Krankenhauses in Berlin, Andreas Michalsen: „Ich schätze epidemiologische Studien in diesem Kontext als absolut unzuverlässig ein.“ Der Aussagewert bezüglich des intermittierenden Fastens sei „äußerst gering“: „Am meisten irritiert, dass eine Beobachtungsdauer von acht bis elf Jahren vorliegt.“ Das Intervallfasten sei aber erst seit drei bis fünf Jahren ein Trend. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass andere Gründe vorgelegen hätten, Mahlzeiten wegzulassen. Michalsen hat eine Stiftungsprofessur für Naturheilkunde an der Charité.

Intervallfasten schädlich - Figure 3
Foto Berliner Zeitung

Als mögliche andere Risikofaktoren für das erhöhte Sterberisiko in der Gruppe führt er an: „Möglicherweise wurde das Frühstück aufgrund von Zeitmangel, Schlafstörungen oder anderen Stressoren weggelassen. Auch Erkrankungen können Essensmodalitäten einschränken und verändern. Grundsätzlich wäre es wichtig zu wissen, ob das Frühstück oder Abendessen weggelassen wurde. Das Auslassen des Frühstücks kann bei kardiometabolischen Erkrankungen zu Völlerei am Abend führen, was ungünstig ist.“ Des Weiteren sei eine Fallzahl von 31 kardiovaskulären Todesfällen nicht geeignet, um Prozentzahlen abzuleiten.

Weniger ablehnend steht Tilman Kühn aus Wien den Ergebnissen der neuen Studie gegenüber. Der Professor für Public Health Nutrition der Uni Wien sagt: „Die NHANES-Studie, welche die Autoren:innen genutzt haben, ist prinzipiell sehr gut – es gibt dort nur leider keine Erfassung des Intervallfastens.“

Kausalzusammenhang oder Korrelation?

Die Ergebnisse würden deshalb nicht beweisen, dass Intervallfasten das Mortalitätsrisiko erhöht. „Sie zeigen nur, dass Personen, die an zwei zufällig ausgewählten Tagen ihre Mahlzeiten innerhalb von weniger als acht Stunden verzehrten und in der Folge ein höheres Risiko dafür hatten, an einer kardiovaskulären Ursache zu versterben. Absichtliches Intervallfasten wurde in der Studie jedoch nicht untersucht.“

Intervallfasten schädlich - Figure 4
Foto Berliner Zeitung

Die Ursachen kürzerer Zeiträume für die Nahrungsaufnahme könnten deshalb auf bestehende Erkrankungen zurückgehen. „Sie bleiben in der Studie komplett unklar, was ihre Aussagekraft einschränkt.“

Und weiter: „Die Stärke des statistischen Zusammenhangs ist relevant. Es ist jedoch nicht geklärt, ob es sich um einen Kausalzusammenhang oder eine reine Korrelation handelt.“

Auf die Frage, ob Intervallfasten vielleicht kurzzeitige Vorteile, aber langfristige Nachteile mit sich bringe, sagt Kühn: „Gute Langzeitstudien zum Intervallfasten unter Menschen fehlen komplett. Weder langfristige Vor- noch Nachteile sind wissenschaftlich belegt.“

Und noch ein Charité-Wissenschaftler wurde befragt: Stefan Kabisch ist Studienarzt für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung auf dem Campus Benjamin Franklin in Berlin. 

„Ergebnisse nicht überraschend“

Er sagt: „Die vorliegende Studie ist eine Beobachtungsstudie mit vielen Studienteilnehmern und einem langen Beobachtungszeitraum. Die Ergebnisse sind nicht überraschend und decken sich mit der bisherigen Literatur zu ähnlichen Studien. Gezieltes Intervallfasten nach dem Prinzip 16:8 entspricht in vielen Fällen dem ‚Breakfast Skipping‘, also dem Auslassen des Frühstücks. Dazu gibt es mehrere Studien, die dafür ebenfalls gesteigerte Risiken für Adipositas, Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen beschreiben.“

Intervallfasten schädlich - Figure 5
Foto Berliner Zeitung

Das klingt wiederum überraschend, denn eigentlich sollte das Intervallfasten doch genau gegen diese Krankheiten helfen?

Kabisch erklärt: „Es handelt sich bei all diesen Studien um Beobachtungsstudien, die aus methodischen Gründen keine Kausalität belegen können.“ Weil das Intervallfasten oft von Menschen betrieben werde, die schon zu Studienbeginn diese Krankheiten hätten, würden diese eben auch öfter an diesen Krankheiten sterben – und nicht am Intervallfasten.

„Das Auslassen von Mahlzeiten, insbesondere des Frühstücks, passiert nicht immer freiwillig. Viele Menschen verzichten aus zeitlichen oder finanziellen Gründen auf Mahlzeiten, gar nicht aus gesundheitlicher Motivation.“ Die erhöhte Sterblichkeit resultiere dann oft aus weiteren Gründen wie geringem sozioökonomischem Status sowie Faktoren, die damit statistisch verknüpft sind, wie etwa Rauchen, Alkoholkonsum oder Bewegungsmangel. Auch in der vorliegenden Studie sei der Raucheranteil bei den Fastenden am höchsten. „Rein statistisch ist das Ergebnis der Studie also plausibel, ein kausaler Beweis der Schädlichkeit ist es nicht“, so der Arzt.

Stattdessen hänge die Sterblichkeit an kardiovaskulären Erkrankungen direkt mit dem Body-Mass-Index (BMI) zusammen. „Dieser ist in der vorliegenden Studie am größten, wenn Menschen entweder besonders lange fasten – also therapeutisch fasten oder aus sozialen Gründen selten, aber dafür ungesund essen – oder besonders kurz fasten, also Menschen, die fast den ganzen Tag über essen.“

Intervallfasten schädlich - Figure 6
Foto Berliner Zeitung

Kabisch äußert sich auch zum Krebs: „Während die Krebsentstehung ebenfalls direkt mit dem BMI zusammenhängt (je höher, desto wahrscheinlicher), ist die Krebssterblichkeit umgekehrt assoziiert. Ein höherer BMI schützt Krebspatienten, ein niedriger beschleunigt den Tod.“ Die vorliegende Studie zeige das ebenfalls.

„Jede Form von intensiver Diät kann mit Nährstoffmangel einhergehen“

Zum Sterberisiko sagt er: „In randomisiert-kontrollierten Studien gibt es beim Menschen gar keinen klaren Nachweis eines besonderen Nutzens von Intervallfasten, darum kann die beobachtete erhöhte Sterblichkeit von den vorbestehenden Grunderkrankungen herrühren oder – zumindest anteilig – tatsächlich auch auf das Fasten selbst zurückgehen. Diese Differenzierung kann diese Studie methodisch nicht leisten.“

Eine Steigerung der Sterblichkeit um 91 Prozent sei allerdings ein starker Effekt. Trotzdem könne dieser auf den genannten Störgrößen beruhen.

Die Ergebnisse seien aber auch deshalb nicht überraschend, weil es bezüglich der hohen Sterblichkeit von Herz- und Krebspatienten durchaus eine Erklärung gebe, warum auch gezieltes Intervallfasten selbst schädlich sein kann: „Jede Form von intensiver Diät oder Fasten kann mit einem Nährstoffmangel einhergehen, für Mikronährstoffe, aber auch Eiweiß.“

Intervallfasten ähnlich wirksam wie andere Diäten

Patienten mit schweren Herzerkrankungen oder Krebs würden oft schon aufgrund ihrer Erkrankung abnehmen. „Dieser Gewichtsverlust betrifft die Muskelmasse, aber auch gesundheitlich wichtige Anteile der Fettmasse, die in diesen Krankheitsfällen als essenzieller Energiespeicher und Hormonproduzent fungieren. Eine zusätzliche Einschränkung der Nahrungszufuhr und Gewichtsabnahme ist bei diesen Patienten – egal mit welcher Diät – keine sinnvolle Therapie und birgt ganz klar das Risiko der Übersterblichkeit.“

Intervallfasten schädlich - Figure 7
Foto Berliner Zeitung

Intervallfasten habe aber auch insgesamt, so Kabisch, im Vergleich zu anderen gewichtsreduzierenden Ernährungsumstellungen „keinen beim Menschen nachgewiesenen relevanten Vorteil. Die Gewichtsreduktion fällt ähnlich stark aus, allerdings beruht sie in mehreren Studien auf dem überwiegenden Verlust an Muskelmasse“. Blutdruck, Blutfette und Blutzucker würden sich nicht deutlich stärker bessern als mit anderen Ernährungskonzepten. Auch die oft gepriesene Absenkung des Insulinspiegels funktioniere nicht besser als bei anderen Diätformen.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche