„Emilia Pérez“: Der Drogenboss will eine Geschlechtsumwandlung

3 Stunden vor

In Jacques Audiards jüngstem Film „Emilia Pérez“ sehen manche einen Affront, andere ein geglücktes Kunstwerk: über einen Drogenkartellchef, der nicht mehr Mann sein will.

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Emilia Pérez (Karla Sofía Gascón) war einst Drogenboss, nun ist sie Repräsentantin der Verschwundenen.  Neue Visionen Filmverleih/Wild Bunch Germany

Ins Rollen kommt alles mit diesem Anruf, den Rita (Zoe Saldaña) entgegennimmt, eine junge mexikanische Anwältin, die gegen ihre Prinzipien und für ihren Lebensunterhalt arbeitet. Und das verdammt gut. Heißt: Die Plädoyers sind gut, das Geld ist es weniger. Und den Ruhm erntet der Chef. Diesmal galt es wieder einmal, einen Mann zu verteidigen, der wohl recht eindeutig seine Frau getötet hat. Freispruch. Gratulation, Rita! Sie hasst es, das „Schmierentheater“ der mexikanischen Justiz. 

Da kommt dieser Anruf freilich sehr gelegen, auch weil der Mann am anderen Ende der Leitung um ihr vergeudetes Talent weiß – und es nutzen will. Treffpunkt Zeitungskiosk, heißt es, dann geht alles recht schnell. Mit Sackerl überm Kopf wird Rita verschleppt und findet sich im schlecht ausgeleuchteten Lastwagen wieder. Gegenüber sitzt einer, vor dem man sich fürchten soll. Einer mit Gesichtstätowierungen und Goldzähnen – und wild knurrender Stimme: Manitas del Monte, Jefe eines Drogenkartells (Karla Sofía Gascón). Millionen von Pesos bietet er Rita für ihr Zutun. Er will kein Drogenboss mehr sein – und eine Frau. Das singt er, wenn auch nur sehr zaghaft.

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Emilia, früher Manitas, sollte recht behalten: Rita (Zoe Saldaña) steht endlich auch im Rampenlicht.  Neue Visionen Filmverleih/Wild Bunch Germany

„Emilia Pérez“ ist ein Musical. Eines ohne eingängige Lieder zwar (Musik: Clément Ducol und Camille), aber sehr wohl opernhaft überladen. Es ist Jacques Audiards erstes. Nicht zum ersten Mal widmet sich der französische Filmemacher dem „Identity Shifting“, darin ist er Profi. Geschichten über Neuanfänge inszeniert er gern, so in Dramen um Gangster („Ein Prophet“, 2009) oder Geflüchtete („Dheepan – Dämonen und Wunder“, 2015). Mit „Emilia Pérez“ (ab 28. 11. im Kino) tut er es erneut, vielleicht deutlicher denn je: Es geht von Mann zu Frau, von böse zu gut. 

Stoff fürs Sozialdrama

Emilia, früher Manitas (Gascón spielt eine Doppelrolle), lässt mit der Geschlechtsumwandlung auch das Kartellleben hinter sich, gründet eine Charity-Organisation und bemüht sich um die Suche nach verschwundenen Menschen. In Mexiko sind das jährlich etwa 3000. Gedreht wurde übrigens nicht dort, man bastelte in Paris ein Mexiko City nach – auch eine Entscheidung gegen die Authentizität und für das Gestelzte.

Der Stoff an sich hätte, wie so oft bei Audiard, für ein Sozialdrama getaugt. Gemacht hat er daraus irgendwas zwischen Telenovela und Action-Thriller; die durchaus politischen Themen werden dementsprechend ein wenig plump behandelt (singend und tanzend). Er bemüht sich auch nicht, geschlechterspezifische Stereotype zu brechen, was ihm kritische Stimmen übel nehmen: In noch männlichem Körper war Emilia aggressiv, als Frau ist sie fürsorglich. Kann sein, dass Audiard das Publikum mittels hemmungslos naiver Lesart zwingen mag, die eigenen Annahmen zu hinterfragen. Das Naive sei durchaus gewollt, hat er in mehreren Interviews gesagt. Vereinzelt sind die Dialoge so radikal banal, dass einen die Analogie zum Alltag fast reißt. Etwa als Rita und der Chirurg (beide nicht transident) floskelhaft und pauschalisierend über Geschlechtsdysphorie disputieren, abermals singend: „Ich kann nur den Körper, nicht aber die Seele verändern“, sagt er. Sie: „Die Veränderung des Körpers verändert die Seele. Die Veränderung der Seele verändert die Gesellschaft.“

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Vier Frauen, die nach Freiheit streben

Die Story plätschert 130 Minuten lang ungleich dahin, bis zum Grande Finale nach Art der Netflix-Serie „Narcos“. Ausgerechnet das gemeinsame Streben der Protagonistinnen nach Emanzipation stiftet blutigen Unfrieden. Neben Rita und Emilia spielen auch Jessi (ein Casting-Geniestreich: Popstar Selena Gomez), sie ist Manitas „Witwe“, und Epifanía (Adriana Paz), Emilias Neue, eine zunehmende Rolle. Alle scheinen sie grundverschieden, ausschließlich sympathisch ist keine von ihnen, aber jeder kann man etwas abgewinnen.

Das Ende ist tragisch. Laut und explosiv. Wer das mag, wird den Film lieben. Auch, weil die Darstellerinnen fulminant sind, sie wurden in Cannes für ihre Ensembleleistung ausgezeichnet. Der Film gilt übrigens auch als diesjähriger Oscar-Favorit, Frankreich hat ihn eingereicht. Was ihn trotzdem nicht zu einem seriösen Kommentar zur Weltlage macht.

Auch nach dem „Tod“ von Kartellboss Manitas del Monte bleibt Jessi (Selena Gomez) eine Gefangene.  Neue Visionen Filmverleih/Wild Bunch Germany

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