Als Hitlers Schergen in Luxemburg Beethoven missbrauchten

12 Tage vor
Beethoven

Während die Jubelfeiern im sonst sich so gerne europäisch gebenden Luxemburg, gelinde gesagt, zurückhaltend ausfallen, wird andernorts groß gefeiert: Am 7. Mai 1824 wurde Beethovens Neunte Sinfonie im Wiener Kärtnertor-Theater uraufgeführt. Der Komponist, ertaubt und nur als Gast hinter dem eigentlichen Dirigenten anwesend, soll von der Sängerin Caroline Unger zum Publikum umgedreht worden sein – damit er den frenetischen Schlussapplaus wenigstens sehen konnte.

Martina Rebmann, Leiterin der Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv in der Staatsbibliothek zu Berlin, hält die aufgeschlagene „Handschrift der Sinfonie Nr. 9 des Komponisten L. van Beethoven“ in den Händen. Die Handschrift zählt zum Unesco-Weltdokumentenerbe. Foto: dpa

Ein Teil der Handschrift der Sinfonie Nr. 9 des Komponisten Ludwig van Beethoven in der Bearbeitung für den Chor liegt in der Staatsbibliothek Unter den Linden auf einem Tisch.  Foto: dpa

Die von Beethoven beschriebenen Notenblätter wurden um 1850 gebunden.  Foto: dpa

Manuskripte finden sich auch anderen Stellen, wie dem Beethoven-Haus in Bonn oder wie hier im Wiener Theatermuseum.  Foto: AFP

Aus dem Werk mit Revolutionsgeist in Musik und Text wurde über die Jahrzehnte eines der heute wohl weltweit bekanntesten und meist (ein-)gespielten Stücke der klassischen Musik. „Epochal“, „metaphysisch“, „mystisch“, „göttlich-erhaben“ und „das Chaos in die reine Ordnung führend“ – der Formulierungswut von Musikfachleuten sind in der Beschreibung scheinbar keine Grenzen gesetzt. Angeblich gehen sogar die als Standard eingeführten 74 Minuten der Audio-CD-Länge – ob initiiert von Beethoveninterpret Herbert von Karajan oder der Sony Führungsspitze – auf die Aufführungsdauer zurück. 

Beethovens Autograf der Partitur zählt seit 2001 zum Unesco-Weltdokumentenerbe „Memory of the World“. Der Grund, so die Unesco: „Sie ist eines der eindrucksvollsten und klanggewaltigsten Werke Beethovens. Ihr Einfluss auf die Musikgeschichte war im 19. und 20. Jahrhundert entscheidend und intensiv und nicht nur auf die Gattung der Sinfonie beschränkt. Im letzten Satz wurde zum ersten Mal die menschliche Stimme in eine Sinfonie einbezogen. Diese ,Ode an die Freude’, die ein Gedicht von Friedrich von Schiller vertont, ist zu einem Symbol des Friedens zwischen allen Nationen und Völkern der Welt geworden.“ Diese bewusst von Beethoven im letzten Satz der Sinfonie politisch gesetzten Bezüge zur französischen Aufklärung hallen neben der Musik bis heute nach.

Mit dieser Deutung in Richtung „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ ist sie so universell einsetzbar geworden, dass ein Auszug eben auch als Europahymne taugte. „1972 erklärte der Europarat Beethovens ,Ode an die Freude’ zu seiner Hymne. 1985 wurde sie von den EU-Staats- und ‑Regierungschefs als offizielle Hymne der Europäischen Union angenommen. Ohne Worte, nur in der universellen Sprache der Musik, bringt sie die europäischen Werte Freiheit, Frieden und Solidarität zum Ausdruck.“ Aber wie weit es dann um die Gemeinsamkeit dieser Werte bestellt ist, sieht man auch daran, wenn sie bewusst nicht mehr gespielt oder missachtet wird – zu sehen bei der EU-Parlamentseröffnung 2019.

2. Juli 2019, Straßburg: Die Mitglieder im Europäischen Parlament für die Brexit-Partei von Großbritannien kehren dem Parlament den Rücken zu, als die Europahymne bei der ersten Sitzung des neuen Europäischen Parlaments gespielt wird. Foto: dpa

Fast 200 Jahre später spielt sie jedenfalls die Luxemburger Hornistin Amanda Kleinbart bei der umjubelten Aufführung in der Elbphilharmonie unter Alan Gilbert. Tosender Applaus, zum Teil stehende Ovationen – Schillers Textzeile „Alle Menschen werden Brüder“ hat seine Zauberkraft gefasst in Beethovens feurige Musik offenbar nicht verfehlt. Die „Ode“-Takte sind populär und eingängig – auch das fördert die Begeisterung.

Weltweite Begeisterung für ein Werk voller Freiheitsdrang

In Deutschland ist die Neunte und ihre „Ode an die Freude“ eng mit der Wiedervereinigung verknüpft. In Japan wird sie quasi als zweite Nationalhymne verehrt und seit der Erstaufführung deutscher Kriegsgefangener im Ersten Weltkrieg inzwischen alljährlich, insbesondere zum Jahreswechsel, landesweit live gespielt. Und in vielen Krisen- und Kriegsgebieten wird sie als Wunsch nach Frieden bewusst eingesetzt – nicht zuletzt in der Ukraine.

Nicht, dass Beethovens Werk in Luxemburg nicht aufgeführt oder auch keinen Nachhall hinterlassen hätte. Jack Martin Händler hat Beethovens Neunte ebenso wie sein Nachfolger am Pult der Solistes Européens, Christoph König, besonders in musikalische Szene gesetzt. König konnte gar den „heiligen Gral“ – alle neun Sinfonien Beethovens – frisch aufnehmen; die Neunte unter anderem mit dem Rückhalt des Chœur de Chambre unter Antonio Grosu. Der wiederum hat selbst das Werk gerne aufgeführt. Es macht sich eben in den Programmen – besonders zu Jubiläen und Europafeiern – oder der Dirigentenvita gut.

Die Lëtzebuerger Philharmoniker setzten zum klassischen Saisonzeitpunkt einer Aufführung der Neunten, dem Jahresende, gleich noch einen drauf: Im Grand Théâtre wurde die Sinfonie beim Jahreswechsel 2023/24 zum zeitgenössisch interpretierten Event zwischen Tanz und Zirkus. Mit dem Werk lässt sich eben auch Publikum locken und lassen sich ebenso Klassikalben verkaufen. Hunderte Interpretationen sind in digitalen Zeiten mit nur ein paar Klicks verfügbar.

Heute ist die Botschaft der Neunten Sinfonie aktueller und notwendiger denn je.

Musikwissenschaftler Harald Hodeige

Und auch wenn in Luxemburg keine Aufführungen um den Jubiläumstag selbst geplant sind, kommt auch die Saison 24/25 nicht ohne die Neunte aus. Philippe Herreweghe soll mit dem Orchestre des Champs-Élysées und dem Collegium Vocale Gent am 6. Dezember das Werk in der Philharmonie interpretieren – und die Wahl des zweiten Werks des Abends unterstreicht auch die politische Botschaft, die mit dem Konzert verknüpft wird: Hanns Eislers „Gegen den Krieg“. So wabert das Werk immer wieder zwischen Schlager der Klassik und politisch multifunktioneller Allzweckwaffe. Und wer zum Jubiläum nicht darauf verzichten will, kann am 7. Mai den Arte-Themenabend rund um das Werk verfolgen.

Spannend ist bei allem Jubel aber auch ein Satzteil in der Unesco-Begründung: „ist zu einem Symbol des Friedens zwischen allen Nationen und Völkern der Welt geworden“. „Ist … geworden“ – das war eben nicht immer so. Beethoven als Komponist und besonders auch seine Neunte wurden missbraucht; je nach Ideologie.

Berichte aus der NS-Zeit in Luxemburg zeigen den politischen Missbrauch des Regimes an Beethoven und seiner Musik.  Foto: LW-Archiv

Für die Nazis stellten die Gedanken der französischen Aufklärung weniger ein Problem dar. Vielmehr wurden Beethoven und Schiller zu nationalen Helden einer starken deutschen Vergangenheit in der NS-Propaganda stilisiert. Und die setzte das Regime auch in Luxemburg bewusst ein: Beethovens Neunte krönte jeweils den Abschluss der „Luxemburger Beethovenfeste“ in den 1940er-Jahren. Der damalige Direktor der Landesmusikschule (das umbenannte Konservatorium), Hans Herwig, etablierte das Festival und durfte damals Vorzeigestars der NS-Propaganda wie die Pianistin Elly Ney immer wieder willkommen heißen. Die Nachberichte – mit damals schwer zu produzierenden und einzusetzenden Fotos – des unter NS-Kontrolle gestellten „Luxemburger Wort“ zeugen davon, wie die Deutung Beethovens zu lesen ist.

Immer wieder war einer der Klassikstars in Luxemburg zu Gast, der sich in den Dienst der NS-Propaganda stellte: die Pianistin Elly Ney. Foto: LW-Archiv

Der damalige Direktor des Landesmusikschule, Herwig, hob den „heldischen Geist“ des Luxemburger Beethovenfest hervor. Foto: LW-Archiv

„Beethoven – der Sieger“, schon der Titel der Konzertrezension verweist auf die Instrumentalisierung in der NS-Zeit – auch in Luxemburg. Foto: LW-Archiv

Dass Elly Ney Beethoven noch in der ersten Saison des Radio Luxemburg Orchesters unter Henri Pensis gespielt hatte? Knapp ein Jahrzehnt später als die Beethovenfeste veranstaltet wurden, war Pensis längst seines Postens enthoben, der Dirigent nach Amerika ausgewandert und das Radio Orchester aufgelöst worden. Ney wurde sogar selbst nach dem Krieg – wenn auch ob ihrer politischen Überzeugungen umstritten – weiter als Beethoven-Interpretin gefeiert. Es klingt zynisch.

„Und heute?“, fragt der Musikwissenschaftler Harald Hodeige im Programm des NDR Elbphilharmonie-Orchesters. „In einer Zeit, in der mit Fake-News, Verschwörungsmythen und Wissenschaftsfeindlichkeit der Geist der Aufklärung verloren gegangen zu sein scheint, Diktaturen auf dem Vormarsch sind und Kriege auch in Europa wüten? Heute ist die Botschaft der Neunten Sinfonie aktueller und notwendiger denn je.“

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