Vormarsch von Islamisten: Russische Luftangriffe auf Aleppo

26 Tage vor

Vormarsch von Islamisten

In Syrien wüten heftige Kämpfe zwischen Gruppierungen islamistischer Rebellen und Regierungstruppen. Nach dem überraschenden Start der Großoffensive im Nordwesten des Landes erreichten die Islamisten am Freitag Aleppo und belagerten rasch die Hälfte der Stadt, wie Menschenrechtsaktivisten berichten. Um einen weiteren Vormarsch zu verhindern, seien laut Informationen aus Militärkreisen und von Aktivisten russische Kampfjets Angriffe auf Ziele in Aleppo geflogen – erstmals seit 2016.

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Online seit heute, 12.07 Uhr (Update: 12.46 Uhr)

Russland ist ein Verbündeter des syrischen Regimes von Machthaber Baschar al-Assad. Auch vom Einsatz syrischer Kampfjets wurde berichtet. Diese zielten auf Stellungen, die die Rebellen am Freitag erobert hätten, sagten zwei mit den Vorgängen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Unmittelbar davor verfügten syrische Behörden die Schließung des Flughafens von Aleppo und die Streichung aller Flüge.

Hälfte der Stadt unter Kontrolle von Islamisten

Eine Allianz von Islamisten, vorrangig der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), befände sich in Vierteln im Südwesten und Westen der Stadt, hieß es am Freitag von der in Großbritannien ansässigen, oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Islamisten seien „ohne nennenswerten Widerstand“ der syrischen Armee vorgerückt, rasch soll die Hälfte der Stadt erobert worden sein. HTS und ihre Verbündeten kontrollierten „Regierungszentren und Gefängnisse“, hieß es.

Wie es von syrischen Militärangehörigen hieß, erwarte man zusätzliche Militärhilfen aus Russland, um die Übernahme der Provinz Aleppo durch die Feinde von Machthaber Assad abzuwenden. In der Hauptstadt Damaskus rechnete man am Samstag damit, dass die russische Militärtechnik in den nächsten 72 Stunden auf dem Militärstützpunkt Hmeimim in der Nähe der syrischen Küstenstadt Latakia eintreffen werde.

Brennende Autos entlang eines Straßenzugs in Aleppo in der Nacht auf Samstag „Vorübergehender Abzug“ von Regimetruppen

Am Samstag – nach den Luftangriffen – wurde vom syrischen Militär ein „vorübergehender Truppenabzug“ in Aleppo angekündigt. Man wolle sich neu gruppieren und dann eine „Gegenoffensive“ gegen die Islamisten starten. Außerdem teilte das Militär mit, dass in den letzten Tagen Dutzende Soldaten bei heftigen Gefechten in Aleppo und Idlib getötet oder verletzt worden seien. Nach Angaben von Aktivisten sollen kurdische Milizen die Kontrolle über Aleppos Flughafen übernommen haben.

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Wie die Beobachtungsstelle mitteilte, rückten kurdische Kämpfer nach Abzug regimetreuer Truppen in mehrere Dörfer und Vororte im Norden und Osten der Stadt ein und besetzten den Flughafen. Zehntausende Menschen seien infolge der Entwicklungen auf der Flucht, hieß es in der Mitteilung. Die kurdischen Milizen gehören nicht zu der islamistischen Allianz, scheinen nun aber teilweise das durch den Rückzug regimetreuer Truppen entstehende Machtvakuum auszufüllen.

Schwerste Gefechte seit Jahren

Es sind die schwersten Gefechte seit Jahren im noch immer andauernden Bürgerkrieg zwischen islamistischen Rebellen und Regierungstruppen im Nordwesten des Landes. Die Gefechte hatten am Mittwoch begonnen, nachdem die Dschihadistenallianz nach eigenen Angaben eine Offensive mit dem Titel „Abschreckung der Aggressionen“ gestartet hatte.

Im Stadtviertel Chan al-Assal in Aleppo lassen sich heftige Kämpfe in unmittelbarer Nähe erahnen

Seit Beginn der Offensive am Mittwoch seien laut der Beobachtungsstelle bereits mindestens 250 Menschen getötet worden. Ein Großteil von ihnen seien Kämpfer auf beiden Seiten, aber auch Zivilistinnen und Zivilisten. Die UNO meldete rund 14.000 Vertriebene seit Mittwoch.

Kontrolle wichtiger Versorgungswege

Zuvor hatte es von der Beobachtungsstelle bereits geheißen, die Dschihadisten hätten Dutzende Städte und Dörfer im von der Regierung kontrollierten Norden und Nordwesten Syriens erobert. „Mehr als 50 Dörfer und Städte in den Regionen Aleppo und Idlib stehen nun unter der Kontrolle der HTS und verbündeter Fraktionen“, teilte die Beobachtungsstelle am Freitag mit. Bei den Kämpfen geht es vor allem auch um die Kontrolle wichtiger Versorgungswege.

Auch eine wichtige Nachschublinie – die Autobahn zwischen Aleppo und dem 300 Kilometer südlich gelegenen Damaskus – soll von den Aufständischen bereits abgeschnitten worden sein. Es wird befürchtet, dass die Blockade von Straßen die Treibstoffpreise in die Höhe treiben könnte. Zudem besteht die Furcht, dass keine Waren mehr nach Aleppo gelangen könnten. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

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Gespaltenes Land Syrien

Im syrischen Bürgerkrieg, der nach der gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Demokratieproteste durch die Regierung im Jahr 2011 ausgebrochen war, wurden bisher mehr als eine halbe Million Menschen getötet. Der Krieg hat das Land zudem völlig gespalten. Machthaber und Langzeitdiktator Assad geriet zeitweise zwar schwer unter Druck, kontrolliert mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran inzwischen aber wieder zwei Drittel des Landes. Der Nordwesten ist teils unter Kontrolle von oppositionellen, islamistischen Rebellengruppierungen.

Aleppo und Idlib

Die zurückeroberten Städte und Dörfer der islamistischen Rebellengruppierungen, allen voran der HTS, liegen in den Regionen Aleppo und Idlib. Die gleichnamige Millionenstadt Aleppo war von 2012 bis 2016 heftig umkämpft, wird aber seit Ende 2016 von syrischen Regierungstruppen kontrolliert. Russland hatte 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen und damit das Blatt zugunsten von Assad gewendet.

Idlib hingegen ist die letzte verbliebene Hochburg der Opposition und beherbergt laut BBC mehr als vier Millionen Menschen. Viele von ihnen wurden während des Konflikts vertrieben und leben unter katastrophalen Bedingungen. Die Enklave wird größtenteils von der HTS kontrolliert – doch auch durch von der Türkei unterstützte Dschihadisten, die unter dem Banner der Syrischen Nationalen Armee (SNA) operieren. Auch türkische Streitkräfte sind dort stationiert.

2020 vermittelten die Türkei aufseiten oppositioneller Gruppierungen und Russland aufseiten der Assad-Truppen einen Waffenstillstand, um einen Vorstoß der Regierung zur Rückeroberung Idlibs zu stoppen. Das führte zu einer längeren Pause der Gewalt. Vereinzelt kam es jedoch weiterhin zu Zusammenstößen, Luftangriffen und Beschüssen.

Russland, Iran und Hisbollah abgelenkt

Doch bereits im vergangenen Monat warnte der UNO-Sonderbeauftragte für Syrien, Geir Pedersen, davor, dass die zunehmend unbeständige Lage in der Nahost-Region – gemeint seien damit vor allem die Kriege im Gazastreifen und im Libanon – den einigermaßen ruhenden Konflikt im Nordwesten Syriens auf gefährliche Weise wieder aufflammen lassen könnten.

„Regimefreundliche Milizen haben ihre Angriffe in der Region verstärkt und versuchen, die islamistischen Rebellengruppierungen abzuschrecken, weil Israel die Verbündeten des syrischen Regimes wie die Hisbollah und den Iran geschwächt hat“, zitierte die „New York Times“ („NYT“) die Nahost-Expertin Natasha Hall. Zudem würden sich die russischen Streitkräfte auf den Krieg in der Ukraine konzentrieren.

In der Dschihadistenhochburg Idlib soll es syrische und russische Luftangriffe gegeben haben Experte: Syrisches Regime verwundbar

Der bisherige Erfolg zeige auch die Verwundbarkeit des Regimes und die wachsende Stärke der verschiedenen Oppositionsfraktionen. „Vor Jahren wäre eine Offensive dieses Ausmaßes vom Regime zurückgeschlagen worden“, sagte Charles Lister, Direktor eines Nahost-Thinktanks, gegenüber der „NYT“. Ihm zufolge hätten Oppositionskräfte wie die HTS, die aus der Al-Kaida-Tochter Dschabhat al-Nusra hervorgegangen ist, stark in Ressourcen und Ausbildung für Nachtoperationen investiert. „Das gleicht das Spielfeld im Grunde aus“, so Lister.

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