Warum Netanjahu auf eine Offensive in Rafah drängt

13 Tage vor
Rafah

Die Hamas versuchte im letzten Moment einzulenken. Israel lehnt den Vorschlag für einen Geiseldeal als inakzeptabel ab.

Tel Aviv. Als es ernst wurde und Israel effektiv mit den Vorbereitungen für die Rafah-Offensive und der Evakuierung der Zivilbevölkerung im Süden des Gazastreifens begann, signalisierte die Hamas nach monatelangen Gesprächen doch noch ein Einlenken. Ismail Hanijeh, der Exil-Führer der Terrororganisation, stimmte quasi in letzter Minute am Montagabend einem Kompromissvorschlag zu, den Ägypten und Katar ausgehandelt hatten, um eine Eskalation doch noch abzuwenden.

Doch Israel lehnte das Manöver der Hamas, das unter massivem militärischen Druck zustande kam, ab. Es sei inakzeptabel, es handle sich um ein Täuschungsmanöver. So lautete die erste Reaktion auf die jüngste Wendung.

Offensive auch bei Deal

Die Hamas beharrt weiter auf einen Abzug der israelischen Armee aus Gaza und auf eine permanente Waffenruhe, die in einen Waffenstillstand münden sollte. Israel forcierte zwar eine Feuerpause im Zuge eines Geiseldeals in Austausch mit palästinensischen Gefangenen. Die Hamas plädiert für drei Etappen zu je sechs Wochen. Für Premier Benjamin Netanjahu und sein Kriegskabinett stand indessen fest, dass Israel vom Kampf gegen die Hamas in Rafah nicht ablässt, wo sie die letzten Bataillone wähnt – selbst nicht bei einem Deal samt vorübergehender Waffenruhe.

In einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden betonte er, dass Israel den nach einem Hamas-Angriff gesperrten Grenzübergang Kerem Shalom wieder öffnen werde. Doch Israel halte an der Offensive fest, obwohl die USA immer wieder ihre Skepsis durchblicken ließen. Washington fürchtet, die Militäroperation könnte zu viele zivile Opfer fordern. Ein Deal sei möglich, hieß es.

Zuvor hatte die israelische Armee die Menschen im östlichen Teil Rafahs dazu aufgerufen, sich in das Gebiet al-Mawasi einige Kilometer weiter nördlich zu begeben. Dort stünden ein Feld­lazarett, Zelte, Lebensmittel und Wasser bereit. Geplant sei ein Einsatz „von begrenztem Umfang“.

„Slogan für die Medien“

Netanjahus Mantra vom „totalen Sieg“ sei nicht mehr als ein „Slogan für die Medien“, meint der Militärhistoriker Danny Orbach von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Gleichwohl hält er einen Einsatz in Rafah für entscheidend, damit Israel eines seiner Kriegsziele – die Entmachtung der Hamas in Gaza – erreichen kann. Zum einen gilt die Stadt als letzte Bastion der Terrororganisation und als mögliches Versteck ihres Anführers, Jahja Sinwar, dem Kopf hinter dem Terror-Massaker.

Das wichtigste Ziel einer Rafah-Offensive sei es jedoch, die Versorgungslinien der Hamas abzuschneiden, meint Orbach. Zum anderen hat die Hamas zahlreiche Tunnel unter der Grenze zu Ägypten gegraben, durch die sie militärisches Gerät schmuggelt. Zudem profitierten die Terroristen auch von dem offiziellen Grenzübergang bei Rafah, indem sie auf alle Einfuhren Zoll einhöben und Teile der humanitären Hilfe abgriffen, erklärt Orbach. „Historisch betrachtet überleben Terrororganisationen dann, wenn sie einen sicheren Hafen und Versorgungswege haben.“

Wie gefährlich die Hamas von Rafah aus noch werden kann, hat sich in der Nacht auf Montag gezeigt: Die Hamas feuerte mehrere Raketen ab, die nahe dem israelischen Grenzübergang Kerem Shalom einschlugen und vier Soldaten töteten. Israel hat anschließend den Übergang für die Hilfskonvois geschlossen.

Internationaler Druck

Auf internationalen Druck hin hatte Israel zuletzt einen zusätzlichen Übergang für Hilfslieferungen geöffnet. Dennoch bleibt die humanitäre Lage in Gaza prekär. Beobachter warnen, dass eine Offensive in Rafah die Situation verschlimmern könnte. Rund 1,5 Millionen Zivilisten sollen sich derzeit in der Stadt und ihrer Umgebung aufhalten, die meisten von ihnen sind Binnenflüchtlinge. Viele Verbündete haben Israel vor einer Offensive gewarnt. Biden sprach gar von einer „roten Linie“.

Netanjahu hat seinerseits versprochen, der Einsatzplan der Armee beinhalte Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Zivilisten, so wie Evakuierungen und die Einrichtung humanitärer Sicherheitszonen. Viele ausländische Beobachter halten die Maßnahmen allerdings für unzureichend.

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