Israel evakuiert palästinensische Zivilisten aus Rafah

13 Tage vor

Menschen müssen Rafah verlassen

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Rafah - Figure 1
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Vor einem erwarteten Militäreinsatz hat Israels Armee am Montag mit der Evakuierung von Rafah im südlichen Gazastreifen begonnen. Das Militär rief die Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager am Mittelmeer zu begeben. Das Militär sprach von einem "begrenzten Einsatz". Davon betroffen seien schätzungsweise 100.000 Menschen, die zum Schutz in "humanitäre Gebiete" gebracht würden.

In Al-Mawasi gebe es Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente, sagte ein Militärsprecher. Die Armee ermögliche dort auch die Einrichtung von Feldkrankenhäusern. Er konnte nicht sagen, wie viel Zeit die Menschen für die Evakuierung haben. Der Sprecher betonte, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern werde während des Räumungseinsatzes ungehindert weitergehen. Man könnte diese über verschiedene Routen in den Küstenstreifen bringen, etwa über den Hafen in Ashdod. 

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant begründete die Operation mit der Ablehnung des Vorschlags für eine Waffenruhe im Gazastreifen durch die militant-islamistische Palästinenser-Organisation Hamas und der damit gescheiterten Freilassung einiger Geiseln aus der Gewalt der Extremisten. Dies habe er seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin in der Nacht mitgeteilt, erklärte Gallant.

Die USA und andere Verbündete Israels hatten allerdings seit Monaten eindringlich vor einer solchen Offensive in Rafah gewarnt, weil sich dort Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge aufhalten. Sie harren seit Monaten unter immer prekäreren Bedingungen auf engstem Raum aus. Israel hatte zur Vorbereitung eines Angriffs Zehntausende Zelte beschafft, um Zivilisten außerhalb von Rafah unterzubringen.

Israel will mit dem Militäreinsatz in Rafah die verbliebenen Bataillone der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas zerschlagen. Es werden auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet. Israel hält den Einsatz für unumgänglich, um eine Zerstörung der Kampffähigkeiten der Hamas sicherzustellen. Anderenfalls könne sie nach Kriegsende wiedererstarken.

Ein hochrangiger Hamas-Funktionär kritisierte das Vorgehen Israels. Die neue Evakuierung sei eine "gefährliche Eskalation, die Folgen haben wird", sagte der Hamas-Funktionär Sami Abu Zuhri der Nachrichtenagentur Reuters.

Israel schädige damit alle Bemühungen, eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zu erzielen, sagte Mahmoud Mardawi, ein weiteres, ranghohes Hamas-Mitglied, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Der Schritt werde sich negativ auf die indirekten Verhandlungen auswirken und "katastrophale Auswirkungen" auf die örtliche Bevölkerung haben, sagte er. Mardawi betonte, ein israelischer Militäreinsatz in Rafah im Süden des Gazastreifens nahe der ägyptischen Grenze werde den Druck auf die Hamas nicht erhöhen. Es werde Israel nicht gelingen, die Kriegsziele zu erreichen. 

Zudem warf die Hamas Israel Luftangriffe auf Rafah in der Nähe der von Evakuierungsaufrufen betroffen Gebieten vor. Israel greife östliche Teile der Grenzstadt aus der Luft an, in denen es die Einwohner zur Evakuierung aufgefordert habe, berichtete der zu der radikal-islamischen Palästinenser-Organisation gehörende Fernsehsender Al-Aqsa TV.

Mitglieder des militärischen Hamas-Arms wiederum hatten am Sonntag Raketen auf den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom, der sich nicht weit von Rafah entfernt befindet, gefeuert und dabei vier israelische Soldaten getötet. Kerem Shalom ist der wichtigste Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen. Die Armee schloss ihn nach dem Raketenangriff vorübergehend für humanitäre Transporte. Das israelische Militär bombardierte im Anschluss nach eigenen Angaben im Gazastreifen den Ort in der Nähe des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegangen war.

Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde teilte am Montag mit, bei verschiedenen israelischen Angriffen in Rafah seit Sonntagabend seien mindestens 28 Palästinenser getötet worden. Auch am Montag gab es Berichte über heftige Angriffe im Osten der Stadt Rafah. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde wurden seit Beginn des Kriegs vor sieben Monaten 34.735 Palästinenser getötet und mehr als 78.000 weitere verletzt. Die Angaben, die nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig überprüfen. 

Auch Jordanien hat nach dem israelischen Evakuierungsaufruf für Teile von Rafah vor einer erwarteten Militäroffensive gewarnt. "Ein weiteres Massaker an den Palästinensern steht bevor", teilte der jordanische Außenminister, Ayman Al-Safadi, auf der Plattform X mit. Alle müssten jetzt handeln, um ein solches Szenario zu verhindern. Es sei ein "unauslöschlicher Schandfleck" für die internationale Gemeinschaft, sollte es zu einem Militäreinsatz in Rafah kommen.

Die EU verurteilte das Vorgehen Israels. Der Evakuierungsaufruf lasse "das Schlimmste befürchten: mehr Krieg und Hunger", schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Online-Dienst X. "Das ist inakzeptabel. Israel muss auf eine Bodenoffensive verzichten." Die EU müsse sich zusammen mit der internationalen Gemeinschaft dafür einsetzen, "ein solches Szenario zu verhindern", so Borrell.

Es wird erwartet, dass eine Evakuierung mehrere Wochen dauern könnte. Die Hamas habe ihre Kämpfer in Rafah auf den Einsatz gegen Israel vorbereitet und sie mit Proviant und Waffen versorgt, hieß es aus Israel dazu. Auch die Zahl der Wächter für die Geiseln ist nach Medienberichten verstärkt worden. Die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und eine Geiselfreilassung waren zuletzt wieder ins Stocken geraten. Auch am Wochenende gab es keinen Durchbruch.

Ägypten befürchtet unter anderem, es könnte bei einem Einsatz Israels in Rafah zu einem Ansturm von Palästinensern über die Grenze kommen. In Rafah liegt der Grenzübergang vom Gazastreifen nach Ägypten, der auch ein wichtiges Tor für humanitäre Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen ist. Heftige Kämpfe in Rafah könnten die Lieferungen von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff weiter erschweren.

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