Schmutzige Briefe: Social Village

28 Mär 2024
Kleine schmutzige Briefe

Kleine schmutzige Briefe Wicked Little Letters

Thea Sharrock zeigt in ihrer wenig überraschenden, feministisch angehauchten Komödie, dass es die üble Nachrede durch »Social Media« mit üblen Folgen auch schon vor hundert Jahren gegeben hat

Wer glaubt, dass die unsäg­li­chen Rufmord­kam­pa­gnen in den sozialen Medien und im Internet ein Kind unserer Zeit sind, hat wahr­schein­lich noch nie ein Buch gelesen oder ist noch nie im Kino gewesen.

Denn wer Verlorene Illu­sionen, das große Meis­ter­werk von Honoré de Balzac gelesen oder die 2021 in Deutsch­land leider völlig gefloppte exzel­lente Verfil­mung von Verlorene Illu­sionen durch Xavier Giannoli gesehen hat, weiß, dass es den Kampf um Fake-News schon vor 200 Jahren gegeben hat. Dass es sich mit Social Media ebenfalls nicht viel anders verhält, zeigt uns nun Thea Sharrock in Kleine schmut­zige Briefe.

Die leichte Komödie blickt auf das Jahr 1920 zurück. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, aber vor allem bei den Frauen, die hier im Zentrum stehen, noch nicht vergessen. Auch deshalb, weil die Rolle der Frau sich innerhalb der Männer­man­gel­wirt­schaft während des 1. Welt­kriegs für einige Jahre geändert hatte und mit der vor dem Weltkrieg geleis­teten, femi­nis­ti­schen Aufbau­ar­beit der Suffra­getten-Bewegung ungeahnte Ände­rungen erfahren hatte, die jedoch, so wie nach dem 2. Weltkrieg, schnell wieder rück­gängig gemacht wurden.

Auf diesen Moment der Rück­be­sin­nung auf alte Werte konzen­triert sich Sharrocks Film, der von der unab­hän­gigen, mit einem Schwarzen liierten und allein­er­zie­henden Kriegs­witwe Rose Gooding (Jessie Buckley) erzählt, die ihr Leben und die Liebe in vollen Zügen genießt. Durch ihre lockere Moral gerät sie aller­dings dann auch sofort in Verdacht, die Autorin von vulgären, kleinen Briefen zu sein, die der verklemmten Nachbarin regel­mäßig von der Post zuge­stellt werden. Edith Swan (Olivia Colman) ist das ganze Gegenteil von Rose und verkör­pert den neuen konser­va­tiven, restau­ra­tiven Zeitgeist der Nach­kriegs­jahre.

Diese Gegen­sätze und der daraus entste­hende Kampf um die ange­grif­fene Selbst­er­mäch­ti­gung der Frau werden von Sharrock vor allem im ersten Teil des Films souverän und spannend und äußerst ernüch­ternd insze­niert. Dabei wird auch schnell deutlich, dass die analoge Post der digitalen Post an Wirkungs­macht in nichts nachsteht, dass wie heute niemand erst etwas lesen muss, um den Inhalt eines Dokuments an die »Community« weiter­zu­leiten.

Auch schau­spie­le­risch überzeugt Kleine schmut­zige Briefe bis zu diesem Zeitpunkt. Warum dann jedoch Sharrock einen Film, der bis dahin zwei­gleisig exzellent funk­tio­niert und ein wenig an Sarah Gavrons Frau­en­eman­zi­pa­ti­ons­drama Suffra­gette: Taten statt Worte (2015) erinnert, in dem die Frau­en­rechts­be­we­gung vor dem 1. Weltkrieg Thema ist, zu einer boule­var­desken Komödie überführt, ist rätsel­haft. Denn bleibt Suffra­gette trotz einer ebenfalls etwas forcierten Leich­tig­keit gerade in den Grup­pen­pro­zessen ernst bei der Sache, verliert Kleine schmut­zige Briefe die eigent­lich Sache mehr und mehr aus den Augen.

Was sich im zweiten Teil entwi­ckelt, ähnelt dann mehr einer Klamotte im Miss Marple-Stil, als dem Film, der es bisher war. Statt einem ernsten Drama mit leichten, leiden­schaft­li­chen und eman­zi­pa­to­ri­schen Selbst­er­mäch­ti­gungs­an­teilen gibt es nun bizarres Over­ac­ting einer Gruppe alter Damen und abstruse, trot­te­lige Verfol­gungs­jagden, die in ein dann wenig über­ra­schendes Finale kulmi­nieren.

Dass man dennoch auch diesem zweiten Teil inter­es­siert zusieht, liegt aller­dings weniger an den haar­sträu­benden Dialogen und einer wirren Drama­turgie als den über­ra­genden Haupt­dar­stel­le­rinnen, die man im ersten Teil so sehr lieb­ge­wonnen hat, dass man ihnen zum Ende hin fast schon alles verzeiht.

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