„3 Body Problem“ bei Netflix: Der Kosmos in Scherben

Das Universum, wie es sich der chinesische Science-Fiction-Autor Cixin Liu in seiner Trisolaris-Trilogie vorstellt, gleicht, was das Zusammenspiel des möglichen und unmöglichen Lebens in ihm angeht, einem „dunklen Wald“. Die bange Frage, warum es in diesem Wald noch keinen Kontakt zu anderen Bewohnern gegeben hat, beantwortet er mit: Vorsicht. Seine Kosmosoziologie fußt auf zwei Annahmen über zu Zivilisation geronnenes Leben. Erstens: Das höchste Ziel von Zivilisation ist ihr eigenes Überleben. Zweitens: Zivilisation wächst und muss sich ausbreiten. Zivilisationen – im Sinne eines Kollektivs, das bemüht ist, seine Lebensbedingungen durch Technik und Fortschritt zu verbessern – befinden sich also nicht nur auf der Mikroebene (in diesem Fall der Planet Erde) in Konkurrenz, sondern auch im Universum. Liu vergleicht sie mit Jägern im dunklen Wald, die, wenn sie mal versehentlich auf ein trockenes Stöckchen treten, rasch zu Gejagten werden.

In der Serienadaption, die Netflix mit einem guten Schuss „Game of Thrones“-Personal und -Methoden (wohl auf dass es erfolgreich abfärbe: die Autoren David Benioff, D. B. Weiss, drei Schauspieler und der Komponist Ramin Djawadi) und einem Budget von 160 Millionen Dollar auf den Bildschirm bringt, ist dieses trockene Stöckchen ein gewaltiges Radioteleskop in der inneren Mongolei. Es wird betrieben von chinesischen Soldaten, die auf Wissenschaftler angewiesen sind, die sie eigentlich verachten müssten: Ye Wenjies (jung: Zine Tseng/alt: Rosalind Chao) Vater wurde 1966 vor der Tsinghua-Universität totgeschlagen, weil die Urknalltheorie für ihn die bis dato „plausibelste Erklärung“ für alles ist. Seine Tochter und „beste Schülerin“ ist durch verschiedene Höllen gegangen und dort verschiedenen Betrügern begegnet. Sie glaubt nicht mehr daran, dass die Menschheit aus eigener Kraft aus dem Kreislauf der Gewalt findet, in dem sie sich auf der Suche nach dem richtigen Leben die Augen auskratzt. Und deshalb tritt Ye Wenjie mit voller Absicht auf das Stöckchen und wird gehört.

Wissen kostet, Fortschritt hat seinen Preis

In „3 Body Problem“ findet der erste Kontakt fernmündlich statt. Mit einer wohlmeinenden Aufforderung zum Kontaktabbruch: „Do not answer!“ Eine Warnung, die sowohl Liu als auch die Serie stets der Verlockung des Fortschritts voranstellt: Wissen kostet. Fortschritt hat seinen Preis. In Lius weit gefasstem Werk ist das ein Nebenschauplatz. Die Serie aber hebt in der ersten Staffel stets aufs Neue und in immer grausameren Bildern darauf ab. Nur geht es hier nicht um die unzureichende Technikfolgeneinschätzung, sondern um Diplomatie oder ihr absolutes Fehlen auf kosmischer Ebene.

Früh wird klar: Nicht nur hat etwas geantwortet – etwas ist auf dem Weg, und die Ersten, die das spüren, sind die für die Entwicklung von Zivilisation maßgeblich Verantwortlichen. Teilchenbeschleuniger spielen weltweit verrückt und versehen physikalische Gewissheiten mit Fragezeichen. Wissenschaftler, die an KI oder Quantencomputern arbeiten, bringen sich um. Man könnte sagen, Science-Fiction killt Science. Was bleibt, ist Fiction, oder wie es die, die sich auf den Weg gemacht haben, formulieren: „Anstelle der Wahrheit geben wir euch Wunder.“ So geht postfaktisches Zeitalter.

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