US Open: Alexander Zverev von Zikaden drangsaliert und nach ...

In Adiletten schlappte Alexander Zverev nach draußen, in den Media Garden, was hochtrabender klingt, als er ist. Ein paar Stühle und Tische stehen vor dem Medienzentrum herum, und ein paar Büsche reichen dem amerikanischen Tennisverband (USTA) offenbar, um das kleine Areal zur Gartenlandschaft zu deklarieren. Humor hat die USTA, die die US Open ausrichtet.

Zverev - Figure 1
Foto Süddeutsche Zeitung

Zverev nahm auf einem Hocker Platz, und dann erzählte er der Interviewerin von Sky Sports noch mal das Wesentliche zu seiner zuvor verrichteten Arbeit. Anfangs sei er „nicht aggressiv genug“ gewesen, Zverev hatte den ersten Satz 3:6 verloren. Ab dem zweiten Satz habe er aber „den Ball früher genommen“, ab da lief es, so gut, dass er schlussfolgerte: „Die letzten drei Sätze waren die besten, die ich in diesem Turnier gespielt habe.“

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Zu den seltsamen Tieren, die im vierten Satz plötzlich die Menschen im Louis Armstrong Stadium, der zweitgrößten Arena, drangsalierten, wurde er nicht gefragt, das war auch nicht nötig. Zverev hatte im deutschen Teil der Pressekonferenz schon erklärt, wie sehr auch er sich gewundert hatte. „Das waren so Riesendinger, die habe ich zum ersten Mal gesehen“, berichtete er: „Keine Ahnung, was das war. Keine Mücken und keine Bienen oder sonstiges, wie wir es in Indian Wells gewohnt sind. Weiß nicht, was das war, fliegende Ameisen, keine Ahnung.“ Die sogenannte Spotted Lanternfly war es, äußerst lästige Wesen, die Zverevs souveränen 3:6, 6:1, 6:2, 6:2-Sieg gegen den ab dem zweiten Satz viel zu bieder agierenden Brandon Nakashima aus den USA jedoch auch nicht verhindern konnten. Was hätte das andernfalls für Schlagzeilen gegeben: Zverev geht unter beim Killerangriff der gepunkteten Laternenträgerzikade.

Zverev erreicht zum 13. Mal das Viertelfinale bei einem Grand-Slam-Turnier

So war alles bestens, gelöst, freundlich, auskunftsfreudig ist Zverev dieser Tage ohnehin, er hat sich massiv gebessert gegenüber früheren Zeiten, dass Medienmenschen nicht nur Feinde sind, musste er wohl erst lernen. Er ist eben älter geworden, dementsprechend reifer, auch weiß daher mühelos mit der jetzigen Situation umzugehen. Zverev erreichte zum 13. Mal das Viertelfinale bei einem Grand-Slam-Turnier, zum vierten Mal in New York. 487 000 Dollar Preisgeld, so hat sich die Honorarvergabe im Tennis nach oben geschraubt, sind dem 27-Jährigen sicher. Andere würden nach dieser Bilanz lechzen. Zverev verständlicherweise nicht: „Ich möchte immer noch einige meiner Träume verwirklichen.“ Zu diesen gehört vorrangig ein klitzekleiner Grand-Slam-Titel, der dem Weltranglistenvierten noch fehlt.

Zverev - Figure 2
Foto Süddeutsche Zeitung

Bei Zverev ist auffällig, wie entspannt er dieser Tage mit den Schattenerlebnissen der Vergangenheit umgeht. Er hatte zweimal quasi den Siegerpokal in Reichweite, vor vier Jahren bei den US Open fehlten ihm nur zwei winzige Punkte im Finale gegen den Österreicher Dominic Thiem. 2022 dann spielte er nach eigener Auskunft das beste Tennis seiner Karriere, hatte Rafael Nadal im Halbfinale der French Open Paroli geboten, zur Nummer eins hätte er aufsteigen können – einmal umgeknickt, sieben Bänderrisse im rechten Sprunggelenk, das war das Ende auch dieses Unterfangens. In diesem Juni wiederum wäre er zum Gewinner der French Open aufgestiegen, hätte er dem spanischen Artisten Carlos Alcaraz nur einen der letzten beiden gespielten Sätze abgeluchst; so verlor er in fünf Sätzen.

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Zverev, und vielleicht zeichnet dies Champions in spe aus, kann Begebenheiten aber gut abhaken: Was war, das war, und so erfreute er sich am Sonntagabend in New York derart unbelastet über den Status quo, als hätte es die Dämonen der gescheiterten Versuche nie gegeben. „Ich bin glücklich mit dem Level, wie ich Tennis spiele“, sagte er und: „Ich bin glücklich, wo ich stehe, vor allem nach der Verletzung.“

Im Viertelfinale, auch das passt auf schicksalhafte Weise zu seiner Geschichte, trifft Zverev nun auf den jüngsten Dämon, der zuletzt seinen Traum platzen ließ. Im Viertelfinale von Wimbledon hatte er, am Knie lädiert nach einem Sturz in der Runde zuvor, gegen den Amerikaner Taylor Fritz nach 2:0-Satzführung noch verloren, danach hörte man Zweifel von ihm, die so noch nie zu hören waren. „Irgendwann fängt man wirklich an zu glauben, dass es vielleicht nicht für einen gedacht ist“, sagte er vor gerade mal sieben Wochen. Diese Gedanken hat er aber offenbar wirklich abgeschüttelt, die Zuversicht ist zurück.

Jetzt geht es gegen Taylor Fritz – auch der Amerikaner sehnt sich nach einem großen Titel

„Ich freue mich auf einen neuen schweren Kampf“, sagte Zverev, aufs Match gegen Fritz vorausblickend: „Das ist ein Gegner, den ich gut kenne. Wir haben ein paar fantastische Matches schon gehabt.“ 5:4 führt Zverev im Duell mit Fritz. Mal sehen, was er diesmal danach sagt, in Wimbledon hatte es noch eine etwas salzige Note obendrauf gegeben: Ein paar Leute in der Box von Fritz hatten sich so rüpelhaft auf dem heiligen Centre Court im All England Club benommen, dass Zverev Fritz am Netz beim Handschlag sofort sein Missfallen übermittelt hatte.

Der Weltranglistenzwölfte Fritz, der im April in München das Finale erreicht hatte, befindet sich in einer ähnlichen Lage wie Zverev, das macht das Duell noch pikanter. „Ich bin jetzt an dem Punkt angelangt, an dem ich immer noch glücklich bin, das Viertelfinale zu erreichen, aber ich wäre nicht glücklich, wenn es hier endet“, sagte der 26-Jährige zu seinen Ambitionen: „Ich bin definitiv an einem Punkt, an dem ich wirklich mehr will als das.“ Fritz hat dabei zusätzlich den Druck der Heimat im Nacken, der letzte Amerikaner, der im Männereinzel die US Open gewann, war 2003 Andy Roddick. Danach gingen die Trophäen bekanntlich vor allem nach Europa, zu den Herren Federer, Nadal und Djokovic.

Die Krux ist, dass entweder für Zverev oder Fritz der Weg endet, der Sieger am Dienstag hat dafür die Aussicht, mit nur noch einem weiteren Erfolg im Finale zu stehen. So weit will Zverev aber nicht blicken, er will bloß nicht irgendwelche Dämonen wecken. „Als Nächstes kommt Taylor Fritz“, sagte er entschlossen, „das ist das Einzige, was mich interessiert.“

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