Bischof Georg Bätzing: „Debatte über Rückführung syrischer ...

7 Stunden vor
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Der Chef der Bischofskonferenz schaltet sich in die Abtreibungsdebatte ein und lehnt die von SPD, Grünen und Linkspartei angestrebte Liberalisierung ab. Ob Frauen ins Priesteramt dürfen, ist für Georg Bätzing eine entscheidende Zukunftsfrage. Und wie bewertet er den Syrien-Umsturz aus christlicher Sicht?

Georg Bätzing sitzt seit 2020 der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vor und ist seit 2016 Bischof von Limburg in Rheinland-Pfalz. In dieser Funktion wirbt er in Deutschland und in Rom für deutlich mehr Laien-Rechte.

WELT AM SONNTAG: Herr Bischof Bätzing, warum wird Jesu Geburt in so vielen Weihnachtsbräuchen und -predigten mit großer Armut verbunden, von der in der Bibel nichts steht?

Georg Bätzing: Darüber habe auch ich bei der Vorbereitung meiner Weihnachtspredigt nachgedacht. Sie haben recht: Vom Stall ist in den biblischen Texten nicht die Rede, in der vollen Herberge war für das Kind schlicht nur in der Krippe Platz. Sehr arm dürften Maria und Josef auch nicht gewesen sein, da Josef als Bauhandwerker einen angesehenen Beruf ausübte. Aber Stall und Krippe rühren Menschen besonders an und greifen ein Motiv des Propheten Amos auf: Der spricht von der zerfallenen Hütte Davids, die Gott wieder aufrichtet.

WELT AM SONNTAG: In der Stadt Davids, in Bethlehem, wird Jesus geboren.

Bätzing: Ja. Dass etwas zerfallen ist, fühlen derzeit viele. Sicher Geglaubtes ist unsicher geworden. In der Geopolitik wie in der Wirtschaft. Menschen verlieren ihr Zuhause, das Weltklima ändert sich. Zu Weihnachten stellt sich Gott dieser Unbehaustheit. In ihr sagt er uns seine Nähe zu, statt eine alternative Welt zu bauen. Das gibt es heute ja: Nicht wenige basteln sich aus sogenannten alternativen Fakten etwas ganz anderes. Gott hingegen geht mitten hinein in eine Welt der Zerfallsängste.

WELT AM SONNTAG: Die meisten Menschen aber sind zu Weihnachten in Feierlaune.

Bätzing: Das passt gut zu Weihnachten. Zusammenzukommen, um zu feiern, stärkt nicht nur, sondern entspricht auch der Bibel: Um das neugeborene Kind versammeln sich sofort Menschen, die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland. Die Engel sind präsent. Weihnachten ist eine Sammlungsbewegung.

WELT AM SONNTAG: Viele Menschen sind besonders zu Weihnachten an Kirchlichem interessiert, ansonsten aber gleichgültig. Fühlen Sie sich nicht manchmal wie ein weihnachtlicher Grüß-Onkel?

Bätzing: Ganz und gar nicht. Ich bin total froh, dass so viele Menschen kommen und ich die Gelegenheit habe, ein Wort der Ermutigung zu sagen. Weihnachten ist eine großartige Chance.

WELT AM SONNTAG: Unterm Jahr herrscht Mitgliederschwund.

Bätzing: Was die reinen Zahlen betrifft, so haben sich zum Beispiel in Frankfurt am Main in den vergangenen zwei Jahren die Austritte um immerhin ein Drittel verringert. Daraus folgere ich: Wir können den Megatrend zunehmender Konfessionslosigkeit nicht umkehren. Aber wenn wir uns nicht verändern, dann machen wir ihn noch stärker. Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir verstehen, was sie von uns wollen: Dass man der Kirche wieder glauben und vertrauen kann …

WELT AM SONNTAG: … nach den Missbrauchsskandalen …

Bätzing: … ja, aber nicht „nach“: Wir sind weiter in der Krise, die durch das Thema Missbrauch verursacht wurde. Umso mehr muss die Kirche auf allen Themengebieten ernst nehmen, dass die Menschen sagen: „Wir wären näher bei euch, wenn ihr näher bei uns wärt.“

WELT AM SONNTAG: Während der Weltsynode in Rom haben Sie im Oktober gesagt, die Frage nach der Zulassung von Frauen zum Weiheamt des Diakonats werde hierzulande „darüber entscheiden, ob Frauen weiterhin ihre Heimat in der Kirche suchen werden“. Können Reformen beim Umgang mit Frauen die kirchliche Erosion verlangsamen?

Bätzing: Ich bin fest überzeugt, dass die Frage, welche Rolle Frauen auf allen Ebenen der Kirche spielen, für unsere Zukunft entscheidend ist. Es ist völlig klar, dass sie die Glaubensvermittlung tragen. Keine Gemeinde wäre ohne sie überlebensfähig. Ich erlebe vermehrt Frauen, die mir sagen, Glaube sei für sie attraktiv, aber sie sähen keine Zukunft für sich in einer Kirche, die ihnen keine gleichberechtigte Rolle zuweise und hinter der gesellschaftlichen Gleichheit zurückbleibe, die wir in unserem Kulturkreis Gott sei Dank haben. Deshalb braucht die Kirche ganz starke Signale.

WELT AM SONNTAG: Welche senden Sie aus?

Bätzing: Ich kann einiges machen. Im Bistum Limburg sind Frauen mittlerweile auf allen Leitungsebenen in der Verantwortung. Und bei der Frage, warum Frauen nicht auch im sakramentalen Amt von Priestern und Diakonen tätig sein können, finde ich, dass die theologischen Klärungen so weit gediehen sind, dass das ermöglicht werden könnte.

WELT AM SONNTAG: Wird es ermöglicht?

Bätzing: Ich bin von der Weltsynode sehr zufrieden zurückgekommen, weil wir im Abschlussdokument festgehalten haben, dass die Frage des Diakonats der Frauen offen ist, also nicht verneint wurde. Hinzu kommt eine zweite Aussage der Weltsynode: Bei vielen kirchlichen Themen muss es Offenheit für regionale Lösungen geben. Denn die Weltkirche ist kulturell divers.

WELT AM SONNTAG: Wie geht es für katholische Frauen in Deutschland nun weiter?

Bätzing: Bereits zusammengetragen haben wir die theologischen Argumente für die Zulassung von Frauen zu sakramentalen Ämtern. Daraus wurde ein Orientierungstext, dem zwei Drittel der Bischöfe in Deutschland zugestimmt haben. Das ist ein wichtiges Signal. Und kurz nach der fünften Vollversammlung des Synodalen Weges in Deutschland haben die Präsidentin, Frau Stetter-Karp, und ich dem Heiligen Vater geschrieben mit der Bitte, die Frage des Diakonats der Frauen weiter positiv zu prüfen.

WELT AM SONNTAG: Kam eine Antwort aus Rom?

Bätzing: Schriftlich nicht. Aber wir werden ein weiteres vereinbartes Spitzengespräch zwischen Vertretern der Römischen Kurie und einigen Bischöfen vor uns haben, wo die Themen auf dem Tisch sind. Das finde ich gut. Dabei geben uns die Formulierungen der Weltsynode durchaus Rückhalt.

WELT AM SONNTAG: Frauen betrifft die neu entflammte Diskussion über den Paragrafen 218 zum Schwangerschaftsabbruch. Teilen Sie den Eindruck, dass die katholische Kirche hierbei weniger Gehör findet als noch vor 20 Jahren?

Bätzing: Diesen Eindruck teile ich. Dass wir in der aktuellen Debatte über Schwangerschaftsabbrüche weniger Gehör als früher finden, liegt auch daran, dass wir in der erwähnten Glaubwürdigkeitskrise wegen des Missbrauchskomplexes stecken und man uns nicht zutraut, in diesem gesellschaftlich relevanten Diskurs einen wichtigen Beitrag liefern zu können. Zudem ist die Gesellschaft diverser geworden, und wir spielen in einem Konzert vieler mit.

Ich wünsche mir nicht eine Zeit zurück, in der maßgebend war, was die großen Kirchen beitrugen. Wir müssen gute Argumente vortragen. Auf allen politischen Ebenen wird uns dabei auch gesagt: Wir brauchen eure Orientierung. Deshalb beteiligen wir uns nachdrücklich, aber auch bewusst sachlich und differenziert an der aktuellen Debatte.

WELT AM SONNTAG: Im Bundestag liegt eine Gesetzesinitiative, wonach eine Abtreibung bis zum Ende des dritten Monats gänzlich straffrei sein und in späteren Schwangerschaftsphasen nicht mehr im Strafrecht geregelt werden soll. Was halten Sie davon?

Bätzing: Dieser Vorschlag ist für uns nicht zustimmungsfähig. Er verändert die Grundlage dessen, was das bisherige Gesetz prägt, sehr erheblich und stellt keinesfalls nur eine moderate Weiterentwicklung des geltenden Rechts dar, wie es immer wieder zu hören ist. Aufgegeben würde damit die bisher geltende verfassungsrechtliche Abwägung zwischen den beiden Grundprinzipien, dass einerseits die Frau in einem existenziellen Konflikt das Recht auf Selbstbestimmung haben muss, andererseits eine Abtreibung die Tötung eines Menschen ist. Jeder Mensch hat von Beginn an – das Ungeborene entwickelt sich als Mensch und nicht zum Menschen – ein vollwertiges Lebensrecht, das der Staat schützen muss.

WELT AM SONNTAG: Also sollte man die bisherige Regelung beibehalten?

Bätzing: Sie hält eine gute Balance zwischen jenen beiden Grundprinzipien. Ein Abbruch wird unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt, Frauen werden also gerade nicht kriminalisiert, zugleich ist der Lebensschutz verankert. Ich sehe keine Notwendigkeit, an dieser Gesetzeslage zu rühren, und finde es sehr unzeitig, so kurz vor der vorgezogenen Neuwahl diesen Gesetzentwurf noch durchzupeitschen. Wir brauchen für das Thema Zeit, um zu diskutieren, wir brauchen nicht nur Umfragen, von denen sich die Unterstützer des Gesetzentwurfs bestätigen lassen.

WELT AM SONNTAG: Wäre Ihr Plädoyer für die bestehende Regelung nicht glaubwürdiger, wenn die katholische Kirche die dort vorgesehene Schwangerenkonfliktberatung anböte, bei der aber auch Scheine für einen Abbruch ausgestellt werden? Die Katholiken vom Verein Donum Vitae machen das, sind aber kirchlich nicht anerkannt.

Bätzing: Wir stecken da als katholische Kirche in einem Dilemma. Das war das Thema vor 25 Jahren: Die deutschen Bischöfe wollten in der Beratung bleiben, um Frauen zur Seite zu stehen. Rom war aber entschieden dagegen, um der Klarheit des kirchlichen Zeugnisses willen. Weil Abtreibung die Tötung eines Menschen ist, könne es keine Mitwirkung an einem System geben, das Abtreibung straffrei stellen kann. In der Folge haben alle deutschen Diözesen sehr viel in Unterstützungsleistungen für Schwangere in schwierigen Lagen investiert, in materielle Hilfen, Begleitung, alltagspraktische Hilfen und psychosoziale Beratung. Da wurde und wird sehr viel geleistet.

WELT AM SONNTAG: Noch einmal: Muss, wer für das bestehende System plädiert, nicht den Beratungsschein mittragen?

Bätzing: Ich habe Ihnen das Dilemma beschrieben, da kommen wir nicht heraus. Ich glaube nicht, dass wir diese Debatte jetzt wieder öffnen. Ich bin sehr dankbar für all die Beratungsleistungen im katholischen Bereich, bei der Caritas, dem Sozialdienst katholischer Frauen, und ich beziehe das ausdrücklich auch auf Donum Vitae. Deren aller Beratungstätigkeit unterstützt Frauen, eine positive Haltung zu ihrem Kind zu entwickeln. Das ist eine großartige Leistung.

WELT AM SONNTAG: In Syrien scheint nach dem Sturz des Diktators Assad der Beginn einer besseren Zeit möglich zu sein. Sollte man die hier lebenden Flüchtlinge aus Syrien nun zur Rückkehr bewegen?

Bätzing: Die Debatte über eine Rückführung von syrischen Flüchtlingen kommt zur Unzeit: Es sind jetzt gerade mal gut zwei Wochen, seit der Machthaber gestürzt wurde, und es ist nicht absehbar, wohin sich das Land entwickelt. Ich erlebe Syrerinnen und Syrer, die sehr gern in eine sichere Heimat zurückkehren wollen. Ich weiß aber auch, dass unser Medizinsystem in riesige Probleme geriete, wenn alle syrischen Fachkräfte zurückgingen.

All diese gut integrierten Menschen mögen bitte selbst entscheiden, ob sie bleiben oder nicht. Bis auf Weiteres ist es lediglich nachvollziehbar, bei neu Ankommenden genau hinzusehen und die laufenden Asylverfahren vorerst auszusetzen. Wobei das Asylrecht aber nichts ist, was man auf die lange Bank schieben darf. Es hat ja in Deutschland als Grundrecht Verfassungsrang.

WELT AM SONNTAG: Was hören Sie von syrischen Christen?

Bätzing: Wie alle anderen bedrohten Minderheiten fragen sich die in Syrien gebliebenen Christen besorgt, wie es weitergeht. Und die hier lebenden überlegen, ob und wie sie zurückkehren können. Wir würden uns sehr freuen, wenn Rückkehrwillige in ihre Heimat kommen könnten. Syrien ist ja eines der ältesten christlichen Länder. Der Apostel Paulus hatte sein Bekehrungserlebnis in Damaskus. Ich wünsche dem Land, dass es die Pluralität der religiösen Bekenntnisse in echter Freiheit und friedlicher Koexistenz unterstützt. Ein Syrien in Frieden, auch das wäre eine Weihnachtsbotschaft.

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