Was man von der Weihnachtsgeschichte lernen kann

24 Dez 2023

In einer Zeit voller Krisen braucht es Dinge, die Mut machen. In einem Gastbeitrag legt der Worpsweder Pastor Jörn Contag dar, welchen Beitrag die Weihnachtsgeschichte dabei leisten kann.

Weihnachtsgeschichte - Figure 1
Foto WESER-KURIER

Pastor Jörn Contag.

CARMEN JASPERSEN

„Alle Jahre wieder“ kommt nicht nur das Christuskind. Alle Jahre wieder bekommen wir dieselben Weihnachtsfilme zu sehen. „Der kleine Lord“, „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ oder „Ist das Leben nicht schön?“ Weihnachten ist die Zeit der Wiederholungen und es stört uns gar nicht, alles wieder und wieder zu erleben.

Einem Artikel „Die Wahrheit der Weihnachtslüge“ des Journalisten Heribert Prantl verdanke ich einen Hinweis auf einen Film, der vermutlich nicht ins Weihnachtsprogramm passt, aber doch irgendwie ein Weihnachtsfilm ist. „Das Leben ist schön“ heißt der Film. Schon der Titel ist eine Ungeheuerlichkeit. Denn der Film spielt in einem Konzentrationslager. Der Vater Guido erfindet für seinen Sohn Giosuè eine irrwitzige Lügengeschichte. Er tut so, als befänden sich beide in einem großen Gesellschaftsspiel, bei dem man am Ende einen „echten Panzer“ gewinnen könne. All die Grausamkeiten im Konzentrationslager deutet der Vater für seinen Sohn als Inszenierungen eines großen Spieles. Sogar zu seiner Hinrichtung hampelt der Vater als feixender Pinocchio, um seinem Sohn den Glauben an das Spiel zu erhalten. Bis zum Schluss denkt Giosuè, in einem spannenden Spiel zu stecken. Am Ende sieht der Junge seinen versprochenen Gewinn: Ein Panzer fährt durch das Tor, als die Amerikaner das Konzentrationslager befreien.

Handelt es sich bei der Weihnachtsgeschichte um etwas ähnliches? Eine barmherzige Lüge? Bekanntlich ruft der Engel auch uns zu: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Liest sich das nicht wie eine Lüge, eine gut gemeinte zwar, aber dennoch eine Lüge?

Wo ist er denn, der Friede? Zweitausend Jahre nach seiner Verheißung ist er immer noch nicht eingetreten. Seitdem haben wir unzählige Kriege durchlitten und anderen zugefügt. Die Realität fühlt sich jedenfalls anders an als die Verheißung des Friedensengels. Und jüngst haben wir ein Wort des Jahres dafür gefunden: „Krisenmodus“. Der Ausnahmezustand ist zum Dauerzustand geworden. Und es ist nur zu verständlich, dass wir in einem Krisenmodus ein anderes Lebensgefühl haben. Wir brauchen Kraft und suchen in der Unübersichtlichkeit Orientierung.

Man kann ja immer wieder hören, die Menschen würden heute an nichts mehr glauben. Die Krisen der letzten Jahre sprechen aber eine ganz andere Sprache. Viele scheinen an alles Mögliche glauben zu können. Manche vermuten hinter den Krisen dunkle Mächte, unsichtbare Verschwörungen, in die die unterschiedlichsten Menschen und Institutionen irgendwie verwickelt sind. Der Glaube an die „eigentlich Schuldigen“ – sei es die Presse, die Politiker, die Milliardäre oder die Juden – scheint den Krisen irgendwie ihre Komplexität zu nehmen und sie lösbarer zu machen. Und es ist eine traurige Wahrheit, dass das Wort „Antisemitismus“ ausgerechnet in Deutschland auf dem zweiten Platz der Wörter des Jahres steht.

Zurück zu dem Engel und seinem „Friede auf Erden.“ Der große Friede ist noch nicht da – keine Frage. Was ich an der Weihnachtsgeschichte so liebe, das ist ihr Realismus und ihre Sicht, wie Friede werden kann.

Die Weihnachtsgeschichte spart die Krisen nicht aus. Ganz im Gegenteil. Sie ist eine Krisengeschichte. Einfache Hirten sind die ersten, die das Kind sehen. Jesus nimmt vom ersten Lebenstag an in der Holzklasse des Lebens Platz. Dort, wo das Leben am schwächsten ist, dort, wo die Krisenverlierer ihr Leben verbringen, da ist der Platz dessen, der die Liebe selber ist. Und es ist gar nicht so falsch, wenn wir uns in der Krippe die demenzkranke hochbetagte Frau, das unter Armut leidende Kind, die verängstigten Menschen in den Luftschutzkellern oder die an Krebs erkrankte junge Frau vorstellen. Denn dort hat Gott seinen Platz gesucht und dort finden wir ihn auch heute, wenn wir ihn suchen.

Im Krisenmodus will Gott mit Liebe wirken. Dazu braucht er auch die, die daran glauben. Denn wer in den von Krisen Geplagten das Göttliche sehen kann, der wird sie auch dergestalt behandeln.

Was mir Mut in den Krisen macht, das sind Menschen, die nicht geheime Schuldige suchen und finstere Mächte anklagen, sondern anpacken und die Not lindern helfen. Weil sie spüren, dass der Frieden im Kleinen beginnt und nur dann groß werden, wenn auch die zarten Anfänge gelingen.

Und vielleicht ist es auch ein Fingerzeig, dass Gott in eine Familie hineingeboren wird. Denn dort, wo wir vertraut sind und uns von Klein auf kennen, da lassen wir uns am liebsten verpflichten, da fällt die Liebe am leichtesten. So kann jeder von uns Gott nachfolgen. Er wurde liebender Mensch, damit wir es ihm gleichtun.

Info

Jörg Contag ist Pastor der evangelischen Kirchengemeinde in Worpswede. Er hat die Pfarrstelle im August 2020 angetreten

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