Walter Rosenkranz wird zum ersten blauen Nationalratspräsidenten ...

19 Tage vor

Rote Nelken und grüne Topfpflanzen: Mit der Angelobung der 183 Mandatare wurde am Donnerstag die neue Legislaturperiode eröffnet. FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz wird mit nur 100 Stimmen (61,7 Prozent) Nationalratspräsident.

Keine Schultüten, dafür Blumen im Knopfloch sind das traditionelle Erkennungszeichen der ersten Sitzung im neu zusammengesetzten Nationalrat. Der Vergleich mit dem ersten Schultag ist tatsächlich auch an diesem Donnerstagmittag nicht so weit hergeholt, denn so eben treten die 183 Mandatare erstmals zusammen, die von nun an im Parlament ihre Wählerinnen und Wähler vertreten. Vor allem unter den 71 Neulingen ist Aufregung, Nervosität und Vorfreude zu spüren. Am Ende dieses aufregenden Tags wird Walter Rosenkranz der erste blaue Nationalratspräsident der Zweiten Republik sein.

Von 162 gültigen Stimmen entfallen 100 schließlich (61,7 Prozent) auf Rosenkranz. 43 hat er damit aus anderen Parteien erhalten. Gegen 15.45 wird er mit diesen zum neuen ersten Nationalratspräsidenten gewählt — nach einer vor allem von grüner Seite heftig geführten Debatte über seine Eignung. Rosenkranz‘ Ergebnis liegt klar unter dem von Wolfgang Sobotka 2019 (88 Prozent), aber über jenem beim ersten Antritt Sobotkas (61,3). Für die Posten des Zweiten Präsidenten und der Dritten Präsidentin waren Peter Haubner (ÖVP) bzw. Doris Bures (SPÖ) nominiert. Haubner wird am Ende mit 88,1 Prozent gewählt.

Wolfgang Sobotka (ÖVP) zeigt seinem Nachfolger und Walter Rosenkranz (FPÖ) den Weg.

Wolfgang Sobotka (ÖVP) zeigt seinem Nachfolger und Walter Rosenkranz (FPÖ) den Weg.  (c) APA/Georg Hochmuth

Gegen 16 Uhr verkündet der bisher amtierende Sobotka: „Ich räume das Feld. Lieber Walter, the floor is yours.“ Rosenkranz übernimmt daraufhin die Vorsitzführung. In seiner ersten Erklärung versucht er im Anschluss, Zeichen der Versöhnung auszusenden: Er verweist auf seine Vorgänger, Anton Benya, Barbara Prammer oder Leopold Figl, in deren Tradition er nun stehen dürfe. Und er bedankt sich bei den Neos, die ihn am Vortag zu einem Hearing geladen hatten. Er nennt das Treffen „eine Aussprache“.

Rosenkranz betont Respekt vor den Usancen

Dieses war notwendig, weil Rosenkranz‘ Nominierung aufgrund seiner politischen wie persönlichen Nähe zu Burschenschaften und dem rechtsextremen Rand seiner Partei nicht nur für die Grünen problematisch ist. Der Burschenschafter und „Aula“-Autor besorgte im Vorfeld auch Israelitische Kultusgemeinde und Mauthausenkomittee. Er sei ein Verfechter der Verfassung, von Freiheits- und Grundrechten sowie der Verfahrensordnung der U-Ausschüsse, sagte er beschwichtigend. Die Angst, er agiere autoritär, wollte er dabei zerstreuen. Die Usancen des Parlaments nennt er „Gewohnheitsrecht“, ein konstruktives Einvernehmen mit den beiden anderen Mitglieder des Präsidiums sei ihm ein Anliegen.

„Eine Aussage geht tief in mich“, sagte er jedoch. Nämlich jene, wonach Rosenkranz „die jüdische Zukunft in Österreich“ gefährde. Diese Unterstellung weise er „entschieden zurück“. Rosenkranz erklärt, dass er bei Veranstaltungen nicht anwesend sein wird, sollte die jüdische Gemeinschaft etwas dagegen haben.

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Regierung wird zu Abgeordneten

Neu ist an diesem Tag nicht nur der spätere freiheitliche Nationalratspräsident, sondern auch viele Gesichter in den Fraktionen. Der ÖVP-Klub marschiert mit weißen Rosen am Revers geschlossen kurz vor der Angelobung Richtung Nationalratssaal, fast alle amtierenden ÖVP-Ministerinnen und -Minister samt Bundeskanzler Karl Nehammer nehmen auf den Abgeordnetenplätzen Platz, nicht wie die vergangenen fünf Jahre auf der Regierungsbank. Einzig Martin Polaschek, Martin Kocher, Alexander Schallenberg, Susanne Kraus-Winkler (alle ÖVP) und Johannes Rauch (Grüne) sitzen wie gewohnt auf den Ministerplätzen. Sie werden keinem ihrer Parteiklubs angehören.

Philip Kucher (SPÖ), Andreas Babler (SPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP, v.l.n.r.) begrüßten sich herzlich. Am Freitag treffen sie sich zu ersten Sondierungsgesprächen.

Philip Kucher (SPÖ), Andreas Babler (SPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP, v.l.n.r.) begrüßten sich herzlich. Am Freitag treffen sie sich zu ersten Sondierungsgesprächen. (c) APA/Roland Schlager

Dasselbe passiert bei den Grünen: Vizekanzler Werner Kogler und die Ministerinnen Alma Zadić und Leonore Gewessler finden sich unter den Reihen der grünen Mandatare, nicht der Ministerinnen. Neu ist auch, dass die FPÖ nicht wie sonst eine blaue Kornblume im Knopfloch trägt, sondern eine rot-weiß-rote Schleife. Die SPÖ blieb bei ihrer Tradition: Neo-Klubchef Andreas Babler steckte sich wie seine Kolleginnen und Kollegen eine rote Nelke an. Die Meldung, dass er sein Amt als Bürgermeister von Traiskirchen aufgeben wird, platzt mitten in die Angelobung. In einem Facebook-Video spricht er von einer seiner bisher „schwierigsten Lebensentscheidungen“. Ihm folgt Sabrina Divoky nach, die erst am Dienstag im Gemeinderat zur Vizebürgermeisterin gewählt worden war.

Die anschließende erste Debatte der neuen Legislaturperiode eröffnet FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Sie wird von emotionalen Wortmeldungen und Gefechten zwischen Blau und Grün geprägt sein. „Wir werden alles dafür tun, dass es insgesamt fünf gute Jahre für die Österreicher sein werden“, sagt Kickl. Das Wahlergebnis bezeichnet er einmal mehr als einen „unmissverständlichen Appell für eine massive Veränderung in allen politischen Kernbereichen“. Wohin die Reise der nun wohl wieder in der Opposition sitzenden Grünen gehen wird, lässt Werner Kogler später in einer vergleichsweise angriffigen Rede wissen: Volle Attacke gegen die FPÖ. ÖVP-Chef Nehammer bleibt bei seiner ersten Wortmeldung nach Kickl vergleichsweise staatstragend.

Sollten die Grünen nicht in der Regierung sitzen, wird Sigrid Maurer das Amt der Klubchefin an Werner Kogler übergeben.

Sollten die Grünen nicht in der Regierung sitzen, wird Sigrid Maurer das Amt der Klubchefin an Werner Kogler übergeben.  APA/Roland Schlager

Gegen 13.15 Uhr wird Babler schließlich seine allererste Rede im Parlament halten. Applaus bekommt er von ÖVP, Neos und Grünen. Gelacht wird bei Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger, die alle Neuankömmlinge willkommen heißt und auf die neue Sitzordnung verweist, die zur Folge hat, dass sie und Werner Kogler alleine vor ihren jeweiligen Klubs sitzen. Das liege nicht daran, dass sie beide „schlimme Schüler“ gewesen sein. Im anschließenden Gelächter stellt Kogler seine Topfpflanze auf den Platz der Neos-Klubchefin. „Wir schaffen das schon, gell Werner“, scherzt Meinl-Reisinger.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Ehefrau Doris Schmidauer wohnten der Sitzung ebenfalls bei.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Ehefrau Doris Schmidauer wohnten der Sitzung ebenfalls bei. (c) APA/Georg Hochmuth

Kickl: „Wollen Stimme und Instrument des Volks sein“

In den Reihen der Grünen, vor denen Kogler in der ersten Reihe Platz nimmt, steht nämlich vor jeder einzelnen Abgeordneten ein Blumentopf, einzig die Neos verzichten laut scherzhafter Wortmeldung eines Mandatars auf „jegliches Gemüse“. Die Pinken haben sich für einen gleichfarbigen Anstecker entschieden.

Zu Kickl sagt der amtierende Vizekanzler, er habe von „Fahndungslisten“ gesprochen und jetzt „fahnden Sie nach einem Regierungspartner“. Es gebe keine Kanzlerwahl. Und auch keine „Volkskanzlerwahl“, denn „es gibt mehr als ein Volk.“ Er betont, dass Kickl mit seiner Selbstbezeichnung als „Volkskanzler“ an NS-Jargon erinnert: „Da sind wir schnell bei ,ein Volk, ein Reich, ein Führer‘.“ Daraufhin brechen Empörungsrufe aus dem 57-köpfigen FPÖ-Klub Richtung Kogler aus.

Dank an und Wirbel um Sobotka

Im Anschluss an die Wahl von Rosenkranz kam dann auch noch einmal der scheidende, bisher amtierende Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu Wort. Er bedankte sich bei den Kolleginnen und Kollegen in der Präsidiale, den Klubobleuten, den Klubdirektionen, dem „lieben Bundespräsidenten“ und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin, die „mich ausgehalten haben“. Der seit geraumer Zeit unbeliebteste Politiker Österreichs mahnte in seiner Abschlussrede, die weitgehend von allen Fraktionen außer der FPÖ mit Applaus bedacht wird, noch einmal vor dem wachsenden Antisemitismus.

Dabei richtet er auch einen klaren Appell an die angekündigte Demonstration am 9. November, dem Gedenktag der NS-Novemberpogrome 1938. Auf FPÖ-nahen Telegram-Kanälen wird seit Tagen für eine Protestaktion aufgerufen, die ausgerechnet an diesem NS-Gedenktag stattfinden soll. „An jedem anderen Tag, nur nicht an diesem!“, ruft er Richtung FPÖ.

Der scheidende Wolfgang Sobotka (ÖVP) führte durch die Angelobung der neuen Mandatare und die Wahl seines Nachfolgers. Es war seine letzte Amtshandlung als Nationalratspräsident.

Der scheidende Wolfgang Sobotka (ÖVP) führte durch die Angelobung der neuen Mandatare und die Wahl seines Nachfolgers. Es war seine letzte Amtshandlung als Nationalratspräsident.  (c) APA/Georg Hochmuth

Während der Debatte bedankten sich zuvor auch die Rednerinnen und Rednern bei Sobotka. Der Tenor lobte Sobotkas vehementen Einsatz für den Kampf gegen den grassierenden Antisemitismus. Josef Schellhorn (Neos) lobte dabei auch dessen Einsatz für Kunst und Kultur, die sich seit der Renovierung des Parlaments mit zahlreichen Exponaten im gesamten Hohen Haus den Besuchern offen zeigt. Sein exquisiter Geschmack aber führte auch zu zahlreichen Kontroversen: Die Anmietung eines goldenen Flügels hatte Sobotka im Alleingang entschieden, es wurde inzwischen wieder entfernt. Und auch am letzten Tag sorgte seine Vorliebe für teure Kunst für Aufsehen: Zum Abschied hinterlässt Sobotka zwei neue Statuen von Erwin Wurm. Kostenpunkt: 240.000 Euro.

Zwei Skulpturen (Kostenpunkt 120.000 Euro pro Stück) des österreichischen Künstlers Erwin Wurm, schmücken nun das Parlament.

Zwei Skulpturen (Kostenpunkt 120.000 Euro pro Stück) des österreichischen Künstlers Erwin Wurm, schmücken nun das Parlament. (c) APA/Roland Schlager

Erstmals FPÖ-Kandidat an Spitze des Präsidiums

Die Angelobung der Mandatare sowie die Wahl des Nationalratspräsidenten erfolgte zuvor ohne große Vorkommnisse. Einzelne Mandatare der ÖVP, darunter Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, fügen ihrem „Ich gelobe“ ein „so wahr mir Gott helfe“ hinzu.

Die FPÖ machte zuvor klar, dass die Wahl von FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz als ersten Nationalratspräsidenten den Usancen entspreche. Es sei ein „ungeschriebenes Gesetz seit langer Zeit, dass die drei stärksten Parteien die drei Präsidenten stellen“, sagte Kickl. Die demokratische Anerkennung bestehe darin, dass man die Unterschiedlichkeit des anderen respektiere. Er forderte von den anderen Fraktionen „Respekt vor den Usancen“ ein.

Tatsächlich hat sich die FPÖ aber nicht immer daran gehalten. Wie August Wöginger (ÖVP) und Maurer betonten, hätten die Blauen einst eine Barbara Prammer (SPÖ) oder eine Eva Glawischnig (Grüne) nicht gewählt.

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