Die Explosionen von Pagern und Walkie-Talkies beschäftigen internationale Beobachter. Die „Financial Times“ schreibt, Premier Netanjahu wolle die direkte Konfrontation. Der britische „Guardian“ appelliert an die USA, Israel zur Zurückhaltung zu drängen.
Internationale Tageszeitungen kommentieren die Explosionen von elektronischen Kommunikationsgeräte von Mitgliedern der libanesischen Hisbollah-Miliz am Donnerstag wie folgt:
„Financial Times“(London):„Die Angriffe, die das Herzstück des Kommunikationsnetzes der Hisbollah trafen, haben der vom Iran unterstützten Miliz einen demütigenden Schlag versetzt. Sie haben die geheimdienstlichen Möglichkeiten Israels und dessen Fähigkeit demonstriert, Feinde überall und scheinbar nach Belieben anzugreifen. Zugleich aber haben sie den Nahen Osten einmal mehr in Aufruhr versetzt und das Risiko eines umfassenden regionalen Krieges erhöht.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu scheint zunehmend darauf aus zu sein, die Hisbollah entweder in einen offenen Krieg zu treiben oder eine Reaktion zu provozieren, mit der Israel eine Landoffensive im Libanon rechtfertigen könnte. (...)
Die Hisbollah, einer der am schwersten bewaffneten nicht-staatlichen Gruppierungen der Welt, ist ein weitaus mächtigerer Gegner als die Hamas. Israels frühere Interventionen im Libanon sind wechselvoll verlaufen, und ein umfassender Krieg würde in der jetzigen Situation das Risiko bergen, dass der Iran und weitere von ihm unterstützte Kräfte mit hineingezogen werden.“
„Guardian“ (London):„Diese Angriffe waren nicht, wie Israels Verteidiger behaupten, ‚chirurgisch‘ oder eine ‚gezielte Anti-Terror-Operation‘. (...) Die Pager-Bomben zielten eindeutig auch auf Zivilisten ab - Diplomaten und Politiker -, die nicht direkt an den Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hisbollah beteiligt waren. Eine Folge dieses Vorgehens war anscheinend das, was Juristen als ‚exzessive zufällige zivile Schäden‘ bezeichnen würden.
Derartige Vorwürfe wurden gegen Russland erhoben, um zu erklären, Moskau habe in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen. Es ist schwer zu verstehen, warum die gleiche Argumentation nicht auch auf Israel angewendet wird - abgesehen davon, dass es ein westlicher Verbündeter ist.
Solche unverhältnismäßigen und anscheinend illegalen Angriffe sind nicht nur beispiellos, sie könnten auch zur Normalität werden. Wenn das geschieht, wird anderen Staaten die Tür geöffnet, um die Gesetze des Krieges auf tödliche Weise zu testen. Die USA sollten einschreiten und ihren Freund zur Zurückhaltung drängen, aber Joe Biden zeigt keine Anzeichen von Bereitschaft für eine Intervention zur Beendigung des Blutvergießens.“
„La Vanguardia“ (Madrid):„Israel hat der proiranischen schiitischen Hisbollah-Miliz eine demütigende Strafe zugefügt, indem es die Pager und andere Kommunikationsmittel ihrer Mitglieder in ihrem Herrschaftsgebiet im Libanon zur Explosion brachte. Abgesehen von der Zahl der Todesopfer und der Verletzten - die im Kontext eines Krieges, der mehr als 40.000 Menschen das Leben gekostet hat, relativ gering ist - stellt die Operation einen Paukenschlag und einen Erfolg für Israel dar, dessen Geheimdienste es nicht geschafft hatten, den terroristischen Überfall auf Israel aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023 zu verhindern, der den Krieg auslöste.
Die große Frage ist, ob diese neuartige und ausgeklügelte Operation den Verlauf des Konflikts verändern und ob sie die Gefahr einer regionalen Eskalation verschärfen wird, das größere Übel, das die internationale Gemeinschaft und auch die an dem Konflikt beteiligten Mächte selbst (...) in dem seit fast einem Jahr währenden Krieg bisher vermieden haben. (...) Die nächsten Stunden werden entscheidend dafür sein, ob diese Operation die Kriegsspirale verlangsamen oder beschleunigen wird.“
„La Repubblica“ (Rom):„Der heutige Konflikt im Nahen Osten ähnelt immer mehr einer Schachpartie. Der Iran - wo dieses Spiel nach verbreiteter Meinung erfunden wurde - hat es mit einem unbestreitbar geschickten Zug begonnen: Er belagert Israel mit paramilitärischen Organisationen wie den Palästinensern der Hamas und den Libanesen der Hisbollah, auf die Jerusalem nicht so reagieren kann wie gegen einen legitimen souveränen Staat wie dem Regime der Ayatollahs.
Es ist eine ganz andere Herausforderung als 1948, als der jüdische Staat, der unmittelbar nach der UN-Resolution zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina ausgerufen wurde, von den Armeen fünf arabischer Nationen angegriffen wurde, und als in den nachfolgenden Kriegen 1967 und 1973. Doch Israel reagiert mit einer Reihe von Maßnahmen, um seine Gegner aus dem Weg räumen: Da es nicht in der Lage ist, die paramilitärische Organisation zu zerstören, vernichtet es deren Anführer und einzelne Mitglieder.“ (APA/dpa)