Vor Wahl in Österreich kursieren viele Falschbehauptungen
Kontext
Nationalratswahl in Österreich Behauptungen über angeblich drohende WahlmanipulationStand: 29.09.2024 06:00 Uhr
Im Netz verbreiten sich vermehrt Falschbehauptungen zu einer drohenden angeblichen Wahlmanipulation - falls die FPÖ in Österreich nicht gewinnen sollte. Dahinter steht ein weitverzweigtes Netzwerk "alternativer Medien".
"Betrugsgefahr: Briefwahl könnte der FPÖ Platz Eins kosten!" oder auch "Schicksalswahl Österreich: Der Deep State möchte der FPÖ den Sieg stehlen", schreibt das vom österreichischen Verfassungsschutz als "alternativ rechtsextremistisch" eingestufte Medium AUF1. Nichtsdestotrotz ist es eines der reichweitenstärksten "Alternativmedien" im deutschsprachigen Raum.
Chefredakteur Stefan Magnet spricht in einer Sendung zur Wahl immer wieder von drohender Wahlmanipulation, sollte die rechtspopulistische FPÖ nicht die anstehenden Nationalratswahlen gewinnen und mit Herbert Kickl den neuen Kanzler stellen. "Sie wollen der FPÖ den Wahlsieg stehlen, und sie werden es über die Wahlkarten versuchen".
Auch die rechte Nachrichtenseite Report24 spricht in ihren Beiträgen bereits jetzt von Wahlmanipulation durch Briefwahl - will diese bereits bei mehreren Wahlen in Österreich "statistisch analysiert" haben.
Umfragen nicht mehr so eindeutigBestätigt sehen sich die rechten Medienangebote dadurch, dass sich die Vorwahlumfragen verändert haben. Lange Zeit sah es so aus, als ob der rechtspopulistischen FPÖ ein klarer Sieg gelingen könnte. Doch aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen ÖVP, die derzeit den Kanzler stellt, hinausläuft. So liegt die FPÖ laut APA-Wahltrend derzeit bei rund 27 Prozent, die ÖVP bei 25.
"Prompt tauchen in den einschlägigen Kanälen Geschichten auf, der FPÖ könnte der Wahlsieg gestohlen werden", sagt die österreichische Publizistin Ingrid Brodnig im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder. Es werde gezielt mit dem Narrativ, das Briefwahlen unsicher seien, Misstrauen in die Demokratie geweckt. "Dieses Angstmachen, die Wahl könnte mit Betrug enden, ist derzeit ein besonders gefährliches Narrativ", sagt Brodnig.
Misstrauen in demokratische WahlenSo hat AUF1 eine Umfrage zur Wahl erstellt, die sowohl auf der Website als auch im Telegram Kanal veröffentlicht wurde. Die Frage: "Am 29. September stehen in Österreich Nationalratswahlen an. In den allermeisten Umfragen führt die patriotische FPÖ von Herbert Kickl. Wie wird das System auf die Wahl reagieren?"
Zur Auswahl stehen folgende Antwortmöglichkeiten: 1. "Es werden wie bei der Wahl in Brandenburg alle Register gezogen, um den Wahlsieg noch zu verhindern." 2. "Die Systemparteien werden nach der Wahl einen Anti-FPÖ-Block bilden und trotzdem regieren." 3. "Der Sieg der FPÖ lässt sich nicht mehr verhindern - es ist endlich eine Systemwende möglich." 4. "Die Globalisten sind zu mächtig. Selbst mit einer FPÖ an der Staatsspitze wird sich nichts ändern."
"Das sind allesamt aufgeladene Antworten mit sehr viel Unterstellungen. Ich habe keine einzige Antwortmöglichkeit, in der drin steht: Die Wahl findet fair und redlich statt", sagt die Publizistin. Alleine auf Telegram wurde mehr als 18.000 Mal abgestimmt - mehr als 50 Prozent glauben demnach daran, dass "alle Register gezogen" werden, um den Wahlsieg noch zu verhindern. Das zeige, wie sehr Misstrauen in die Wirksamkeit fairer demokratischer Wahlen durch Medien wie AUF1 genährt würden.
Desinformation verstärkt im UmlaufGenerell nehme Desinformation rund und um strategische Wendepunkte, wozu auch Wahlen zählen, zu, beobachtet Julia Ebner, Senior Research Fellow am Institute for Dialogue Germany (ISD). "Zu Wahlen nehmen Desinformationskampagnen von rechter Seite zu, was bedeutet, dass oft Verschwörungsmythen und falsche Behauptungen verstärkt im Umlauf sind und in den Fokus rücken", sagt sie gegenüber dem ARD-faktenfinder.
So kursierte beispielsweise ein Posting, welches mit der bisherigen fast dreijährigen Amtszeit von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) abrechnet. Es wurde fälschlicherweise behauptet, dass Österreich unter Nehammer die höchste Inflationsrate in der EU habe, die Unter- und Mittelschicht "in die Armut getrieben" wurde und das Gesundheitssystem "so schlecht wie nie" geworden wäre.
Die Behauptungen stimmen so nicht. Österreichs Inflationsrate ist nicht die höchste der EU, die Armutsgefährdung des Landes liegt seit vielen Jahren auf einem konstanten Niveau und das Gesundheitssystem hat sich in einzelnen Indikatoren nicht drastisch verschlechtert, allerdings sank die Zufriedenheit damit.
Falsche Behauptungen und MeinungsmacheDarüber hinaus verbreite sich laut Ebner insbesondere Desinformation zu Themen, zu denen auch die FPÖ Stellung nimmt. Das seien vor allem Themenkomplexe wie Migration, Klimawandel und nach wie vor Corona, Impfungen und die Aufarbeitung der Pandemie. So kursierte beispielsweise jüngst die Behauptung, dass nach der Nationalratswahl die Impfpflicht in Österreich wieder eingeführt werden solle. Dies ist falsch. "Die Impfpflicht in Österreich bleibt ausgesetzt und es gibt keine Hinweise auf eine Wiedereinführung nach den Wahlen", stellt unter anderem ein Faktencheck von "mimikama" klar.
Solche falschen Behauptungen würden zur Stimmungsmache im Land beitragen und insbesondere der FPÖ in die Karten spielen, da sich diese als "abseits des Mainstreams" sehen. "Narrative zu Wahlmanipulation, aber auch Desinformation zu FPÖ besetzten Themen tragen dazu bei, eventuell noch nicht überzeugte Menschen zu motivieren, für die FPÖ zu stimmen und bereits existierenden Sympathisanten dazu zu mobilisieren, auch wirklich wählen zu gehen", sagt Ebner.
Das sieht auch Brodnig so. Oftmals handele es sich jedoch um keine überprüfbaren Falschbehauptungen mehr. "Vieles ist einfach nur noch Meinungsmache, bei denen man keine Fakten checken kann. Wenn behauptet wird, dass der Deep State irgendwas planen würde, sind das heftige Spekulationen oder Unterstellungen", so Brodnig.
Symbiose zwischen FPÖ und "Alternativmedien"Die FPÖ knüpfe laut Brodnig bei einigen Themengebieten mit ihrer Rhetorik an und spreche beispielsweise das verschwörungsgläubige Milieu oder die Szene der Corona-Leugner gezielt an. "Sie ist ein wichtiger Teil der Wählerschaft von der FPÖ und Herbert Kickl, darum schmeißt er online Begriffe wie die 'WHO-Diktatur' oder 'Klimakommunismus' ein." In einem erfolgreichen Post etwa schreibt er von der "undemokratischen Machtübernahme durch nicht gewählte Organisationen wie die WHO und das World Economic Forum".
Interessant sei, dass oft gar nicht näher ausgeführt werde, was damit gemeint sei, sondern es würden "sehr emotions- und vorwurfslastig" Radikalpositionen erhoben und die Zielgruppe wisse dann, was damit gemeint sei. "Das einschlägige Klientel fühlt sich durch dieses Namedropping angesprochen und verstanden", erläutert Brodnig.
In den rechten und teils verschwörungsideologischen alternativen Medien werden diese Begriffe dann ebenfalls benutzt und zu größeren Verschwörungserzählungen gestrickt oder als Desinformation aufbereitet. Ein Teil der Wählerschaft der FPÖ vertraue alternativen Kanäle mehr als etablierten Medien, was es sehr schwer machen könne, diese Personen mit Fakten noch zu erreichen. "Das sind quasi symbiotisch agierende Einheiten, Parteien wie die FPÖ und diese rechtsextremistischen Kanäle", sagt sie.
Diese Symbiose zeigt sich auch darin, dass die FPÖ auf diesen Seiten bezahlte Werbung schaltet und damit vermutlich auch wirtschaftlich einen Beitrag zur Existenz der rechten "Alternativmedien" leistet. Darüber hinaus nehme die Parteispitze der FPÖ gerne Interview-Angebote von AUF1 an - Anfragen von klassischen Medien hingegen lehnten die Politiker aber meist ab.
Österreichisches Netzwerk aus "alternativen" MedienDie Publizistin Brodnig sagt: "Österreich ist nicht nur Vorreiter, wenn es um Rechtspopulismus geht, wo die FPÖ schon lange eine mächtige Partei ist, sondern Österreich ist leider auch Vorreiter, wenn es um Rechtsaußenkanäle geht, die wiederholt mit Falschmeldungen oder total tendenziöser Stimmungsmache auffallen."
"Rund um die FPÖ, aber auch darüber hinaus, hat sich ein alternatives Medien- und Desinformationsökosystem aufgebaut", sagt auch Ebner. Gemeinsam verfügen diese Medien über eine beachtliche Reichweite in Österreich und Deutschland, die in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist. Neben AUF1 zählen zu den reichweitenstärksten unter anderem Report24 und Info-DIREKT.
Sowohl die Inhalte, als auch die Akteure überschneiden sich. Auch wenn unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden, verweisen die rechten "alternativen Medien" aufeinander und verbreiten ihre Inhalte so gegenseitig noch stärker. Es entstehe eine "kettenartige Verbreitung von Falschbehauptungen, Verschwörungsmythen und beispielsweise Bildern, die Politiker oder Medienvertreter diskreditieren sollen und dadurch viral gehen lassen", erläutert die österreichische Wissenschaftlerin vom ISD.
Gefahr für demokratische Institutionen und PolitikerDieses Phänomen führe laut Ebner zu einer Manipulation des Diskurses und einer Manipulation von Wählern - vermutlich auch in ihrem Wahlverhalten, in dem sie zum Teil manipuliert werden könnten.
Dazu kommt: "Falls es nicht zu dem gewünschten Resultat, einem Wahlsieg der FPÖ, kommt, kann sich durch diese Stimmungsmache Hass, Hetze und Wut auch auf der Straße niederschlagen. Das kann kann für demokratische Institutionen und für Politiker, die eventuell als Angriffsziel gesehen werden, sehr gefährlich sein", sagt Ebner.
Auch Brodnig teilt diese Sorge. Über Monate hinweg habe die FPÖ und die rechtsextremen Kanäle behauptet, dass diese Wahl eine "Schicksalswahl" ist, es um die Freiheit Österreichs gehe. "Und wenn die FPÖ nicht gewinnt, kann es sich aus Sicht mancher nur um Betrug handeln, was eine ungeheure Wut in diesem Lager wecken könnte."