Mutiertes Virus: Wie die Vogelgrippe sich an Säugetiere und ...

10 Jul 2024

Kühe (Symbolbild): Überstehen die Infektion oft ohne sichtbare Anzeichen

Foto: Jim Vondruska / REUTERS

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Vogelgrippevirus H5N1 - Figure 1
Foto DER SPIEGEL

Kaum ist die Coronapandemie vorbei, warnen Expertinnen und Experten vor einem neuen  Erreger: Die Vogelgrippe hat sich in Vögeln längst nahezu global ausgebreitet, befällt inzwischen aber auch Säugetiere. In den USA grassiert das Virus derzeit unter Milchkühen, viermal ist es von ihnen auf Menschen übergesprungen. Alle Infizierten hatten engen Kontakt zu den Tieren und sind nur milde erkrankt. Doch viele Fragen bleiben offen – und eine neue Studie beunruhigt Forschende zusätzlich.

»Das H5N1-Virus weist Merkmale auf, die eine Infektion und Übertragung bei Säugetieren erleichtern könnten«, heißt es in der Untersuchung im Fachblatt »Nature« . Offenbar hat sich der Erreger bereits ein Stück an Säugetiere – und damit auch Menschen – angepasst. Das Virus H5N1 kursiert seit Jahrzehnten verstärkt unter Vögeln, zunächst in Asien. Rund 900 Menschen haben sich seit 2003 in direktem Kontakt mit infizierten Vögeln insbesondere in Asien angesteckt – mindestens. Mehr als 460  von ihnen sind gestorben.

Wie ansteckend ist das Virus?

»Der aktuelle Ausbruch der H5N1-Influenza bei amerikanischen Milchkühen war ein Schock für Virologen«, sagte Ed Hutchinson von der Universität Glasgow dem britischen Science Media Center (SMC). Er sei überraschend gewesen, weil Rinder kein bekannter Wirt für diese Art von Grippeviren seien. Und er sei alarmierend gewesen, weil die Tiere sehr große Mengen des Virus mit ihrer Milch ausgeschieden hätten.

Um das Risiko durch H5N1 besser zu verstehen, hat eine Gruppe um den renommierten Grippevirusexperten Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin-Madison untersucht, wie es sich in Mäusen und Frettchen ausbreitet. Sie sind gängige Versuchstiere, um etwa zu prüfen, ob sich ein Krankheitserreger über die Atemwege ausbreiten kann. Außerdem analysierten die Forschenden, inwiefern der Erreger sich bereits an Säugetiere angepasst hat.

Das Team ließ die Tiere etwa mit dem Virus versetzte Luft atmen oder Milch von einer infizierten Kuh aus dem Bundesstaat New Mexico trinken. Das Ergebnis: Die Tiere steckten sich an, egal ob sie das Virus direkt über die Milch oder über die Atmung aufnahmen. Auf beiden Wegen sind Infektionen demnach möglich, allerdings ist das Risiko unterschiedlich hoch, zeigten weitere Prüfungen.

Im Gegensatz zur saisonalen Grippe, die im Versuch lediglich die Atemwege befiel, breitete sich das Vogelgrippevirus H5N1im Körper der Versuchstiere aus, wanderte etwa in Augen, Hirn, Leber, Milz oder Niere – und in die Milchdrüsen. Säugende Mäuse übertrugen den Erreger dann mitunter auch über die Muttermilch auf ihre Jungen. Das deckt sich mit der Erkenntnis, dass der Erreger in Kuhmilch zu finden ist. Pasteurisierte Produkte stellen jedoch keine Gefahr für den Menschen dar, weil die Erreger beim Erhitzen absterben.

Zwischen erwachsenen Frettchen verbreitete sich das Virus dagegen kaum. Es sei eine gute Nachricht, dass H5N1 im Gegensatz zur saisonalen Grippe zu keiner effektiven Übertragung über die Atemwege in der Lage sei, erklärt Hutchinson. Etwas besorgt sind Fachleute angesichts der jüngsten Erkenntnisse dann aber doch. »Begrenzt«, so schreiben die Autoren der Studie, hätten sie eine Übertragung über die Luft feststellen können. Dafür wurden Frettchen so in Käfige gesperrt, dass sie sich zwar nahe waren, aber nicht direkt berühren und darüber hätten anstecken können.

Andockstellen in den oberen Atemwegen

Erklären lässt sich diese Beobachtung mit der Struktur von H5N1. Viren tragen auf ihrer Oberfläche Proteine, mit denen sie an Rezeptoren auf Körperzellen ihrer Wirte andocken können. Nur wenn diese Proteine und Rezeptoren zusammenpassen, ist eine Infektion möglich. Nun berichten die Studienautoren, H5N1 könne an einen bestimmten Sialinsäure-Rezeptor binden, der in den oberen Atemwegen von Menschen vorkomme. Frühere Stämme waren der Studie zufolge nicht dazu in der Lage. Aber was bedeutet das nun für die Infektionsgefahr?

Das Team um Kawaoka habe bereits in früheren Untersuchungen gezeigt, dass H5N1-Vogelgrippeviren prinzipiell die Fähigkeit erlangen könnten, sich über die Atemwege in Säugetieren zu verbreiten, so Hutchinson. Dann würde es deutlich schneller mehr Menschen infizieren. Einige der dafür notwendigen Eigenschaften besitze es inzwischen – aber eben noch nicht alle. »Um es klar zu sagen, das Virus scheint sich noch nicht effektiv über die Atemwege ausbreiten zu können«, so der Forscher. Von keinem der vier infizierten Menschen in den USA sei bekannt, dass einer das Virus weitergetragen hätte.

»Besonders die Übertragungsexperimente von Frettchen zu Frettchen, die keinen effizienten Virustransfer ergaben, bestätigen eine noch eingeschränkte Anpassung des verwendeten H5N1-Isolates aus Kühen«, sagte auch Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut laut deutschem SMC. Laut Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg zeigt die Studie »sehr deutlich, dass dieses H5N1-Virus aus Kuhfarmen, aber auch andere H5N1-Viren bisher nicht die Eigenschaften besitzen, um für die Bevölkerung sehr gefährlich zu werden«. Prinzipiell seien Versuche mit Frettchen wichtig, um das Risiko einer möglichen Übertragung zwischen Menschen abschätzen zu können – aber eben auch nur ein Teil der Risikobewertung.

Politisch werden derweil Forderungen laut, Maßnahmen zu ergreifen, das mögliche Risiko ernst zu nehmen. Der Virologe Christian Drosten hält H5N1 in Kühen derzeit für »einen der wichtigsten und gefährlichsten Pandemiekandidaten«. Er empfiehlt, seine Verbreitung in den USA »sofort und durchgreifend« zu stoppen.

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