Vogelgrippe bei Rindern: Wird eine Pandemie wahrscheinlich?

3 Tage vor

In den USA grassiert die Vogelgrippe unter Rindern in zwölf Bundesstaaten. Die Tiere haben engen Kontakt zum Menschen. Müssen wir also fürchten, dass das Virus pandemisches Potenzial erlangt? Tiermediziner Prof. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut erklärt die Hintergründe der aktuellen Aufregung – und wie groß die Gefahr tatsächlich ist

Vogelgrippe Pandemie - Figure 1
Foto GEO.de

GEO: Herr Professor Beer, die zunehmende Verbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 beobachten viele Experten mit Sorge. Immer wieder kam es zu Ausbrüchen bei wilden Säugetieren und auf Pelztierfarmen. Nun wurde bekannt, dass eine aktuell grassierende Unterform des H5N1-Virus, die Klade "2.3.4.4b", wohl schon seit Ende letzten Jahres unkontrolliert in Milchkühen auf amerikanischen Rinderfarmen zirkuliert. Auch drei Menschen haben sich dort bereits angesteckt. Warum ist die Aufregung jetzt besonders groß?

Professor Martin Beer: Wir sind in einer neuen Situation, weil Rinder bislang als nicht sehr empfänglich für das Virus galten. Doch nun hat sich herausgestellt, dass offenbar das Euter von Milchkühen sehr wohl empfänglich ist. Dort kann sich das Virus hervorragend vermehren. Es wird dann massenhaft über die Milch ausgeschieden und über den Melkvorgang weitergegeben. Wir haben also einen neuen Übertragungsweg, das Euter, und eine neue Tierspezies: Wiederkäuer.

Virologen schlagen angesichts dieser Entwicklung Alarm, sie fürchten, dass eine neue Pandemie droht.

Dazu muss man wissen: Das Vogelgrippevirus H5N1 geht zurück auf ein Ursprungsvirus aus dem Jahr 1996 in Asien. Seit 2005 kam es dann immer wieder zur Einschleppung durch Wildvögel nach Europa. Zwischendurch verschwand es bei uns aber auch wieder. Seit 2020 grassiert nun die Klade 2.3.4.4b bei Wildvögeln und Geflügel in Europa und seit 2021 auch in Amerika. 

Viren haben keinen Stoffwechsel, sie bewegen sich nicht aktiv, sie fressen nicht. Ihr einziges Ziel ist es, Nachkommen hervorzubringen. Dafür benötigen sie die Hilfe anderer Organismen, etwa des Menschen – und können ihn dabei töten. Aber sie spielen auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Lebens

Aber bislang wurden mit dieser Klade weniger als 20 – überwiegend mild verlaufende – Infektionen beim Menschen registriert. Diese Zahl ist angesichts der weiten Verbreitung des Erregers erstaunlich niedrig. Auch deswegen wird die Gefahr einer Pandemie durch Einrichtungen wie die ECDC oder die WHO als gering eingestuft.

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An H5N1 sind doch bereits Hunderte Menschen allein in Indonesien und Ägypten gestorben.

Die Zahlen, die Sie zitieren, stammen zum Großteil von Infektionen vor 2016. Da sah das Virus aber noch anders aus, es war eine andere Klade. Deren zoonotisches Potenzial war größer als bei der jetzigen Klade 2.3.4.4b. Die früheren H5N1-Viren konnten offenbar deutlich leichter auf den Menschen überspringen und waren auch für Menschen tödlicher.

Aber auch die Klade 2.3.4.4b springt vermehrt auf Säugetiere über. Neben Rindern hat sie Bären, Füchse, Nerze, Stinktiere, Katzen, Seelöwen und See-Elefanten befallen. Bedeutet das, dass sie sich schon ein Stück weit an Säugetiere angepasst hat?

Nein, eher das Gegenteil ist der Fall: Das Virus hat sich immer besser an Vögel angepasst. Dadurch konnte es sich in der Wildvogelpopulation extrem stark ausbreiten. Das wiederum führte dazu, dass es viel häufiger die Gelegenheit hatte, auch auf andere Tierarten, die Kontakt zu infizierten Wildvögeln und Geflügel haben, überzuspringen.

Genau in dieser Menge an Kontaktmöglichkeiten liegt aktuell auch die eigentliche Problematik: Denn es gibt 1,5 Milliarden Rinder weltweit. Sollte es sich in Rindern besser ausbreiten können, schafft das zunehmend Kontaktmöglichkeiten für das Virus, und die möchte man möglichst reduzieren. Auch um Vermischungen mit anderen bereits an den Menschen angepassten Influenzaviren zu verhindern. Obwohl diese Gefahr der Vermischung von H5N1 mit saisonalen Influenzaviren seit 1996 besteht, ist es bislang zum Glück nie geschehen.

Kann sich das Virus nicht auch in infizierten Rindern mit anderen Influenza-A-Viren verbinden und so zu einem neuen, von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus werden?

Nein, weil sich in Rindern vor dem aktuellen Ausbruch keine anderen Influenza-A-Viren ausgebreitet haben. Anders sieht das bei Schweinen – die bislang aber kaum betroffen sind –, Pelztieren und wie gesagt dem Menschen aus. In diesen Wirten könnte sich das H5N1-Virus zumindest theoretisch mit humanen Influenzaviren vermischen. Deshalb wurde beim letzten großen Ausbruch in finnischen Pelztierfarmen im vergangenen Jahr auch mit sehr wirksamen Maßnahmen, inklusive der Tötung von Tieren, eingegriffen und der Ausbruch so erfolgreich eingedämmt.

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Wenn Tierseuchen auf Menschen überspringen, sprechen Forschende von Zoonosen. Sie vermögen weltweite Pandemien wie die Coronapandemie auszulösen. Ein Experte spricht über mögliche Frühwarnsysteme und die Gefährlichkeit der Affenpocken 

Bei Rindern sehe ich das Risiko eher darin, dass sich das Virus weiter an das Rind anpasst und vom Euter auf die Atemwege überspringt. Dann haben wir auf einmal ein neues Infektionsgeschehen, eine ganz neue Rinderkrankheit. Und das in einer Spezies mit Kontakten zum Menschen. Eine immer bessere Anpassung an Rinder sollte daher vermieden werden.

Wahrscheinlich geht die Infektionskette des jetzigen Ausbruchs auf eine einzige Kuh in Texas zurück, die sich Ende 2023 bei einem Wildvogel angesteckt hat. Über verunreinigte Melkgeschirre wurde das Virus weitergegeben und verbreitete sich durch Tiertransporte binnen weniger Monate in zwölf Bundesstaaten. Als Laie würde man doch denken, dass sich eine Infektion über Melkgeschirr leicht verhindern ließe.

In der Theorie könnte man ein solches Ausbruchsgeschehen vermutlich durch entsprechende Maßnahmen kontrollieren. Würde man zum Beispiel die Milchtanks der Betriebe flächendeckend auf H5N1 untersuchen, ließe sich schnell feststellen, welche Bestände betroffen sind. Dann müssten Maßnahmen wie Quarantänen, Einzeltiertestungen, separates Melken und strikte Transportregelungen greifen. Es ist aber sehr schwer, von Deutschland aus die Maßnahmen in den USA zu beurteilen, zumal es auch immer mehr Aktivitäten in den einzelnen Bundesstaaten gibt, die sich jeweils unterscheiden können.

Glauben Sie, dass wir bald auch Euterinfektionen in Europa sehen werden?

Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Es werden keine Milchkühe aus den USA nach Europa importiert. Wir haben auch keine relevanten Zugvogelbewegungen von den USA nach Europa. Ebenfalls unwahrscheinlich, aber nicht völlig auszuschließen, ist, dass sich unabhängig vom Virus in den USA auch eine Kuh in Europa mit Viren von Wildvögeln, etwa auf einer Weide, infiziert.

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Die Virologin Isabella Eckerle spricht im GEO-Interview über genetisch auffällige Coronavarianten und deren Gefahr, über die Wirkung der neuen angepassten Impfstoffe und die Frage, wie sich in Zukunft Pandemien aus dem Tierreich vorbeugen lässt 

Wir haben dazu am Friedrich-Loeffler-Institut einen Versuch durchgeführt und festgestellt, dass auch eine in Deutschland vorkommende H5N1-Variante der Virusklade 2.3.4.4b ein Kuheuter infizieren konnte. Dennoch bewerten wir das Risiko für dieses Szenario als sehr gering. Denn die initiale Infektion eines Kuheuters scheint ein sehr seltenes Ereignis zu sein. Im Moment sind zudem erfreulicherweise die Infektionen unter Wildvögeln und Geflügel in Europa zurückgegangen. Möglicherweise macht sich eine vorübergehende Herdenimmunität bei Wildvögeln bemerkbar.

Können Sie denn ausschließen, dass bereits Rinder in Deutschland infiziert sind?

Wir haben keinerlei Hinweise auf eine ähnliche Situation wie in den USA. Sicherheitshalber läuft derzeit zusätzlich die Untersuchung von etwa 1500 Milchtankproben aus ganz Deutschland und 1400 Seren von vornehmlich Weiderindern. Der Großteil davon ist untersucht, und bislang waren alle Proben negativ. Das bestätigt unsere Annahme. Zudem wird empfohlen, bei einer unerklärlichen Häufung von Symptomen wie starkem Milchrückgang bei Kühen auch auf H5N1 zu untersuchen.

Dennoch macht das Geschehen in den USA fassungslos. Stünden wir einer Ausbreitung in Europa ähnlich hilflos gegenüber?

Nein, wir haben in Europa nicht zuletzt auch durch die BSE-Krise viel strengere Regularien und bessere Kontrollmöglichkeiten. In Amerika werden die Rinder nicht eindeutig gekennzeichnet, Transporte werden nicht umfassend registriert. Bei uns muss jedes Tier innerhalb von einer Lebenswoche mit zwei Ohrmarken eindeutig gekennzeichnet sein. Anhand dieser Nummer wird der Aufenthalt des Rindes sowie alle Impfungen und Untersuchungen von der Geburt bis zum Tod in einer Datenbank festgehalten. Wir haben sozusagen das „gläserne Rind“.

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Wenn wir die aktuell unter Rindern in den USA grassierende Klade 2.3.4.4b unter Kontrolle bringen, ist dann die Gefahr durch H5N1 völlig gebannt? 

Das kann man so nicht sagen. Denn die Situation bei den Rindern ist nur eine Facette eines umfassenderen Geschehens: Die Infektionen von Vögeln kommen ja weiterhin vor. Und neben 2.3.4.4b gibt es weitere Kladen von H5N1, die immer wieder sporadisch zu Infektionen und Todesfällen bei Menschen führen. Sie haben vielleicht gehört, dass in Vietnam oder Kambodscha einzelne Menschen erkrankt und gestorben sind. Im Gegensatz zu 2.3.4.4b sind diese Kladen allerdings nur regional verbreitet.

Das vielleicht opferreichste Sterben der Menschheitsgeschichte verbreitet sich lautlos und unsichtbar. Menschen auf allen bewohnten Erdteilen infizieren sich mit der besonders gefährlichen Variante des Influenza-Erregers. Je nach Schätzung sterben 50 oder 100 Millionen Infizierte

Man muss also differenzieren: Alle zirkulierenden H5N1-Kladen haben ein gewisses Zoonosepotenzial, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung, und sie sind sehr unterschiedlich weit verbreitet. Dennoch muss jeder Ausbruch, egal ob in Rinder-, Pelztier-, oder Geflügelfarmen so schnell wie möglich gestoppt werden, um die Verbreitung des Virus und den Kontakt zu anderen Spezies auf ein Minimum zu reduzieren.

Sollten wir vorsichtshalber schon mal Impfstoffe entwickeln und antivirale Medikamente vorhalten?

Das wird bereits getan. Für Influenzaausbrüche gibt es detaillierte Pläne. Und es existieren bereits Kandidatenimpfstoffe oder sogar zugelassene Vakzinen. In Finnland werden Mitarbeitende in Pelztierfarmen vorsorglich damit geimpft und die EU hat eine Option auf die Bereitstellung von 40 Millionen Dosen. Im Gegensatz zum neuartigen Coronavirus haben wir mit der Impfung gegen Influenzaviren jahrzehntelange Erfahrung. Man muss nur an die saisonale Grippeimpfung denken. Gleiches gilt natürlich auch für alle anderen Influenzaviren, die ein gewisses zoonotisches Potenzial haben. Alle diese Varianten stehen unter genauer Beobachtung der WHO, des ECDC und anderer Einrichtungen.

Machen Sie sich persönlich wegen der aktuellen H5N1-Ausbrüche große Sorgen?

Aus meiner Sicht muss man sehr aufmerksam sein. Man muss jeden Ausbruch und jede Veränderung der Lage sehr ernst nehmen. Man sollte aber nicht in Panik verfallen und differenziert mit allen neuen Informationen umgehen. Sonst besteht die Gefahr, dass Warnungen nicht mehr ernst genommen werden.

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