Verena Titze: Im Rausch des Lebens? - Die Niederösterreicherin

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Es braucht Frauen wie sie. Verena Titze, die durch jahrelange berufliche Überlastung ins Burnout und durch das stressbewältigende „Gläschen“ in die Alkoholabhängigkeit geschlittert ist, bricht mit diesen Tabuthemen und verarbeitet ihre Erfahrungen als Autorin, Podcasterin, in Uni-Vorträgen und nicht zuletzt auf der Kabarettbühne.

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Foto Die Niederösterreicherin

Die gebürtige Stockerauerin wuchs in Hongkong und im Weinviertel auf, studierte in Wien und Berlin Publizistik und Theaterwissenschaften und arbeitete jahrelang erfolgreich als Journalistin und PR-Managerin – bis der ständige Stress seinen Tribut fordert. Die Diagnose: Burnout, verbunden mit Alkoholabhängigkeit. Nach Monaten der Depression und Verzweiflung setzt sie 2020 den entscheidenden Schritt, begibt sich in stationäre Behandlung und geht in Therapie. Diese harte Zeit verarbeitet sie 2022 in ihrem Buch „Burnt.Out“, welches inzwischen an mehreren Universitäten als Fallbeispiel genutzt wird.

Ihr darauf basierendes Programm hatte im November 2022 Premiere in der ausverkauften Wiener Kulisse. Gemeinsam mit dem bekannten Psychiater und Suchtexperten Professor Dr. Michael Musalek betreibt sie seit April 2023 den erfolgreichen Podcast „Musalek und Titze – Im Rausch des Lebens“, der beim Ö3 Podcast-Award im März 2024 unter 1300 Nominierungen den sensationellen 5. Platz erreichte. Verena Titze ist gern gesehener Gast in TV-Talkformaten, wie heuer in „Meryns Sprechzimmer“ oder in der „Streitzeit“. Außerdem hält sie Talkrunden mit Studentinnen und Studenten der Wiener Sigmund-Freud-Universität über Burnout, Alkoholismus und mentale Gesundheit.

Verena, Sie sind in zwei unterschiedlichen Kulturen, nämlich in Hongkong, der Metropole mit den weltweit meisten Wolkenkratzern und im beschaulichen Weinviertel aufgewachsen. Wie sehr hat Sie das geprägt? Schlagen sozusagen zwei Seelen in Ihrer Brust?Hongkong hat mich sehr geprägt. Mit so vielen internationalen Kindern in die Schule zu gehen, hat mir einen weltoffenen Zugang beschert, den ich bis heute sehr schätze. Das Weinviertel und die Schule am Stadtrand von Wien waren dann eine große Umstellung für mich. Heute profitiere ich von beiden Seiten. Ich liebe die Berge, die Natur, die Schönheit des Weinviertels und fühle mich genauso in Großstädten sehr wohl.

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Stress, Erfolg und das „gute Gläschen“. Wie schnell erkennt man, wenn das gewohnt österreichische Entspannungs-Tröpferl zur Sucht wird?Das ist ja das Gefährliche, man erkennt es nicht. Wir arbeiten oft sehr viel, haben sonst eventuell mit Familie, Partnern oder anderen Verpflichtungen Stress und gönnen uns dann eben ein Gläschen zur Entspannung. Das funktioniert auf die Schnelle hervorragend – kann aber schlimme Konsequenzen mit sich ziehen. Aus dem einen Gläschen werden dann zwei, drei oder fünf. Dieser Prozess ist oft schleichend und kann dann recht schnell zu problematischem Trinkverhalten führen.

Laut Statistik Austria trinken die Österreicher pro Jahr ca. zwölf Liter reinen Alkohol. Während Männer „offen“ trinken, gibt es bei Frauen eine hohe Dunkelziffer. Es gibt Psychologen, die in der Emanzipation einen Grund für das weibliche Alkoholproblem sehen. Könnten Sie das bestätigen?Frauen haben mittlerweile einen besseren Zugang zu Alkohol als früher. Das liegt aber daran, dass wir vor wenigen Jahrzehnten noch weniger Rechte hatten als heute. Hier liegt nicht das Problem. Alkoholismus wird weiterhin bagatellisiert und tabuisiert.

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Foto Die Niederösterreicherin

Professionelle Unterstützung in Form von Therapie, Rehaplätzen usw. sind schlecht zugänglich und kosten dann oft viel. Darum greifen Männer so wie Frauen zu Alkohol, um mit Sorgen, Depressionen und Ängsten umzugehen. Alkohol wirkt ja kurzfristig erleichternd. Die Alkoholindustrie stellt dann auch noch Alkohol als Lösung für alles dar, wie wir es auch in der Werbung präsentiert bekommen. Egal ob Geburtstag, Hochzeit, Trauerfall, der Alkohol darf nicht fehlen. Die Emanzipation ist dabei das Letzte, wo wir ansetzen sollten.

War es schwer für Sie, diese Tabus zu brechen und offensiv an die Öffentlichkeit zu gehen?Zu Beginn schon. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es vielen Leuten Erleichterung bringt, wenn ich darüber rede. Ich habe mich damals mit meinem Burnout und meiner Sucht sehr alleine gefühlt. Als Versagerin. Mit meinen Projekten will ich den Menschen diese Einsamkeit nehmen.

Sie sind seit 18. September 2020 trocken. Ein Datum für Ihr Lebensbuch….Ein ganz wunderbares Datum! Ich gestehe, rund um diese Zeit werde ich immer etwas emotional. Es gibt für mich wirklich ein Leben vor, und ein Leben nach diesem 18. September 2020.

Im November 2023 starteten Sie Ihren eigenen TikTok Kanal, der schnell an die 10.000 Follower hatte, Ihre Videos haben bereits über eine Million Views und mehr als 100.000 Likes generiert. Sozusagen von der Betroffenen zur „On Air“- Suchtexpertin…Ich war sehr überrascht! Und dann wurde mir ziemlich schnell klar, dass es sehr viele da draußen gibt, die sich mit ihrem Alkoholkonsum auseinandersetzen wollen, die Fragen haben, sich schämen. Ich freue mich, dass ich da einen Beitrag zur Enttabuisierung leisten und auch die ein oder andere Hilfestellung geben kann. Zum Beispiel, welche Schritte man zu Beginn setzen kann…

© Dominik Geiger

Sie halten Talkrunden an der Sigmund-Freud-Universität. Im Fokus steht dabei die mentale Gesundheit. Wie offen sind die Studentinnen und Studenten für die Themen Burnout und Alkoholismus?Die jungen Leute gehen sehr offen mit diesen Themen um. Es werden viele Fragen gestellt, das Interesse ist groß. Ich finde generell, dass der bewusste Umgang mit Alkohol auch an Schulen Thema sein sollte. Ich hatte als Jugendliche zum Beispiel keine Ahnung, wie gefährlich Alkohol werden kann. Wie fantastisch wäre ein Fach, in dem die Psyche im Mittelpunkt steht! Zu lernen, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen, auf das eigene Wohlbefinden zu achten, das Selbstbewusstsein zu stärken..

Am 4. November hat Ihr neues Programm „Erfolgreich ins Burnout“, ein kabarettistischer Crashkurs, Premiere. Worauf dürfen wir uns freuen?Auf einen lustigen und unterhaltsamen Abend! Das Publikum erwartet eine Anleitung ins Burnout, anhand von mir selbst erlebter Beispiele. Das Ganze ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Themen wie Burnout und Sucht sind eine ernste Sache – aber gerade deshalb bringe ich eine große Prise Humor und Leichtigkeit mit auf die Bühne. Ich möchte die Menschen damit in erster Linie zum Lachen bringen, und in zweiter Instanz ein bisschen zum Nachdenken (schmunzelt).

Ihr Co-Autor ist niemand Geringerer als Fritz Schindlecker, der u.a. für Lukas Resetarits, Erwin Steinhauer sowie für TV-Serien wie „Die Lottosieger“ geschrieben hat. Er führt auch Regie. Wie gestaltet sich Eure Zusammenarbeit?Dass Fritz mir begegnet ist, ist ein Lottosechser! Ich bin ja neu im Kabarett-Business und kann unglaublich viel von ihm lernen. Dabei begegnen wir uns immer auf Augenhöhe, haben sehr viel Spaß beim gemeinsamen Schreiben und Proben. Bei uns vermischen sich die Generationen und das bringt viele Vorteile mit sich – wie ich finde.

Was bedeutet es Ihnen, die Herzen der Menschen mit Humor zu öffnen?Unglaublich viel! Es gibt genug, worüber wir uns Sorgen machen. Und so wichtig mir die Arbeit rund um Enttabuisierung und mehr Offenheit in der Gesellschaft ist, möchte ich, dass jeder Besucher und jede Besucherin mit einem guten Gefühl und viel Wärme im Herzen meine Aufführung verlässt.

Kabarett-Termine, der Live-Podcast, sowie Infos auf www.verenatitze.com und www.e-a.at

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