Bregenzer Festspiele: Van der Bellen „endgenervt von Entweder-oder“
Bregenzer Festspiele
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Vormittag die Bregenzer Festspiele eröffnet. Festspielpräsident Hans-Peter Metzler, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und der Bundespräsident warnten in ihren Reden jeweils vor Empörungsspiralen und Demokratieverlust und beschworen Vielfalt im Zeichen von Kunst und Kultur.
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Seine Eröffnungsrede sei jedes Jahr aufs Neue eine wunderbare Gelegenheit, kurz ein bisschen unbequem zu werden, betonte der Bundespräsident gleich zu Beginn und versprach "quasi die Zwölftonmusik der Festspielreden“.
Klima, Politik, EU, Demokratie und Gendern regen auf und frustrieren, zählte Van der Bellen auf und fragte sich, woran das liege. Österreich sei der Demokratie eben nicht müde. Aber sind wir am Ende „endgenervt von der Art und Weise, wie wir darüber sprechen?“, mutmaßte der Bundespräsident und kritisierte das kategorische „Entweder-oder“, vor allem in den sozialen Medien: „Entweder Klimaterrorist oder Luftverpester. Entweder Wutbürger oder Gutmensch. Entweder Schwurbler oder Schlafschaf. Entweder Freund oder Feind".
Fotostrecke mit 8 Bildern Schubladen spaltenDiese Schubladen seien praktisch, aber gefährlich: „Das ‚Entweder-oder‘ mag zwar ein willkommenes Ordnungssystem sein, aber: Es spaltet uns. Es stellt uns an gegenüberliegende Pole und verhindert nicht nur, dass wir uns zusammentun. Es verhindert oft sogar, dass wir uns vernünftig verständigen". Auf der Suche nach Zugehörigkeiten bedienten sich viele solcher Schubladen wie „die Medien, die Eliten oder das System“. Man müsse aber „gut aufpassen, was und warum und wen wir da jeden Tag schubladisieren“, warnte Van der Bellen und führte Beispiele von scheinbar widersprüchlichen Gesinnungen an.
„Wo ist unsere Gelassenheit geblieben?“Man sei in Österreich doch immer gut gefahren, „wenn bei uns alles ein bisschen entspannter war“, erinnerte der Bundespräsident: „Wenn bei uns am Ende doch jeder so sein konnte, wie er oder sie ist. Innere Widersprüche inklusive". Er frage sich in letzter Zeit: „Wo ist unsere Gelassenheit geblieben? Wir Menschen sind doch nicht im ‚Entweder–oder‘! Wir sind alles, was dazwischen ist".
Spaltung ist kein NaturgesetzLeider gehe, „unsere wunderbare, österreichische Widersprüchlichkeit verloren." Statt sie als Brücke zueinander nutzen, sehe man keine Nuancen, sie sehen nur Unterschiede. Seine am Anfang versprochene Zwölftonmusik sei also: „Spaltung ist eben kein Naturgesetz. Sie passiert aber, wenn viele mitspielen. Spielen wir also nicht mit."
Warnung vor Gewalt wie in den USASpaltung vergifte die Gesellschaft und konzentriere sich auf die Suche nach Schuldigen, auf die Verachtung und das Verspotten Andersdenkender. Das führe am Ende zu Gewalt, warnte der Bundespräsident: „Zuletzt am Samstag in den USA. Dafür darf kein Platz sein. Verachtung ist kein Wahlprogramm. Und Hass keine Lösung für unsere Probleme".
Stattdessen sollten wir all jene wieder aus den Schubladen holen, in die sie gesteckt wurden, um normal miteinander reden zu können über Klima, Politik, Demokratie. „Wer weiß – am Ende kommt vielleicht heraus, dass uns mehr verbindet als uns trennt.“ Diese Zwölftonmusik könne er nur ans Herz legen: „Ich wünsche Ihnen wunderbare schöne Festspiele, so wie immer hier in Bregenz…und damit ich es nicht vergesse: die Bregenzer Festspiele erkläre ich hiermit für eröffnet."
Auch Kogler warnt vor „Gewalt in der Sprache“Auch Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler (Grüne) schwor in seiner Rede dem „Entweder-Oder“ ab, indem er den Kompromiss lobte – „weil der Kompromiss eben nicht die vermeintliche Wahrheit verwässert, sondern vielmehr die unterschiedlichen und oft entgegengesetzten Interessen vieler, möglichst aller ausbalanciert.“ Wer den Kompromiss denunziere, werde bald zum Gegner der parlamentarischen Demokratie. Die parlamentarische Demokratie aber brauche frei gewählte Abgeordnete und keinen so genannten „Volkskanzler“.
„Lassen wir in unserer Sprache keine Gewalt zu!", schlug Kogler vor. Man müsse auf Fehler anderer ja nicht unbedingt mit lautstarker Häme reagieren“, sagte er. Niemand habe ein Monopol auf gute Ideen. Man dürfe aber auch nicht naiv sein. Um sich greifende Halbwahrheiten und Lügenpropaganda seien „im Ergebnis de facto Angriffe auf unsere liberale Demokratie“. Da wolle man nicht tatenlos zusehen, griff der Vizekanzler auf Immanuel Kant zurück: „Der Gebrauch unseres Verstandes und unserer Vernunft ist ein Fundament für unser Zusammenleben in Frieden und Freiheit.“
Unter dem Titel „Stell’ dir vor, die Welt wäre ganz anders“ rief Kogler auch zu Zuversicht auf. „Wir können es uns ja auch aussuchen: die Zukunft erleiden oder leidenschaftlich gestalten. Zumindest der Versuch muss es uns jeden Tag wert sein“, befand er. Man könne die Herausforderungen der Zeit meistern, zeigte sich Kogler überzeugt – und nannte dazu Begriffe wie „europäisch denken“ oder „ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft“.
Festspielpräsident würdigte scheidende IntendantinFestspielpräsident Metzler ging am Beginn seiner Rede ebenfalls auf den Unfrieden der aktuellen Zeit ein. „Dies wird unsere Antwort auf Gewalt sein: Musik lauter und schöner zu spielen als je zuvor“, zitierte er Leonard Bernstein. Kunst und Musik würden nicht nur trösten, sondern seien auch eine mächtige Kraft für den Wandel und die Hoffnung. Kunst, insbesondere die Oper, spiegle das Leben in all seinen Facetten wider und erinnere uns daran, dass jeder Moment, jede Aufführung eine Chance sei, zu fühlen, zu reflektieren und damit zu wachsen.
Nachdem er sich für die Sanierung des Festspielhauses, der Seebühne und der See-Tribüne (Investitionsvolumen: 78 Mio. Euro) bedankt hatte, sprach Metzler der scheidenden Intendantin Elisabeth Sobotka eine überaus anerkennende Würdigung aus. Sobotka wechselt im Herbst an die Staatsoper Unter den Linden nach Berlin. „Unter ihrer visionären Führung haben die Bregenzer Festspiele neue Horizonte erkundet und unvergessliche Momente geschaffen. Ihr Beitrag zur Entwicklung unserer Festspiele ist unermesslich“, stellte Metzler fest. Sobotkas Leidenschaft für die Kunst und ihre Fähigkeit, kreative Visionen mit wirtschaftlicher Realität zu verbinden, machten sie einzigartig im großen Opernbetrieb. Ihr Weggang am Ende des Sommers werde das Ende einer weiteren Ära markieren.
„Freischütz“ als Premiere auf dem SeeBis 18. August stehen am und auf dem Bodensee 83 Veranstaltungen auf dem Programm, für die rund 227.000 Karten aufgelegt wurden. 85 Prozent der Tickets waren zu Festspielbeginn bereits gebucht. Den künstlerischen Auftakt des Festivals bildete am Mittwochabend die Premiere von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“, der in Bregenz erstmals als Spiel auf dem See gespielt wird. Für die 28 „Freischütz“-Aufführungen gelangten 199.000 Karten in den Verkauf. Als Oper im Festspielhaus wird in diesem Jahr Gioachino Rossinis „Tancredi“ gezeigt, die Premiere ist für Donnerstagabend angesetzt. Mit den Opernwerken „Unmögliche Verbindung“ und „Hold Your Breath“ sowie dem Theaterstück „Mondmilch trinken“ umfasst das Festspiel-Programm auch drei Uraufführungen. Der ehemalige Bregenz-Intendant David Pountney, Vorgänger von Elisabeth Sobotka, las bei der Eröffnungsfeier aus dem Libretto zu „Hold Your Breath“, das auch seine Handschrift trägt.
Darbietungen auf höchstem NiveauAbseits der Reden bestach die live im ORF Fernsehen übertragene Eröffnung durch die Darbietungen der Festspiel-Künstler, die auf höchstem Niveau in vielfältigen Auszügen das Festspielprogramm vermittelten. Als Moderator brillierte in perfekten Reimen Moritz von Treuenfels als Teufelsfigur Samiel aus „Der Freischütz“. Nach dem Abschluss der Eröffnungszeremonie mit der Europahymne traf man sich – auch das ist Tradition in Bregenz – zum Empfang auf dem Vorplatz des Festspielhauses.