Die Fernseh-Doku „Udo!“ erinnert im Ersten an Udo Jürgens
Am 14. Dezember 2014 gab Udo Jürgens in Zürich sein letztes Konzert, und kurz vor Weihnachten starb er dann im Alter von 80 Jahren. In nur knapp einer Stunde Sendezeit sowohl an sein Werk, das mehr als 1000 Lieder umfasst, als auch an sein recht verwickeltes Familienleben erinnern zu wollen ist kühn – aber die Dokumentation „Udo!“ von David Kunac und Sebastian Dehnhardt versucht das.
Angesichts der Kürze zu erwägen ist freilich, sofern man noch in Kategorien des linearen Fernsehens denkt, dass viele sich direkt vor ihrer Ausstrahlung womöglich auch schon die mehr als zweistündige „große Eurovisions-Musikshow“ mit dem Titel „Udo Jürgens Forever“ angeschaut haben werden. Darin sollen Michelle Hunziker, Howard Carpendale, Wencke Myhre, Vanessa Mai, Conchita Wurst und viele andere die Musik von Udo Jürgens neu interpretieren. Beide Formate zusammen bilden einen „Udo Jürgens-Tribute Abend“ der ARD.
Papa, wo warst du?
Die Doku bietet neben Konzertaufnahmen, Musikvideos und Urlaubsfilmen von Udo Jürgens am Strand und im Motorboot vor allem Interviews mit seinen Kindern Jenny und John, seinem Bruder Manfred und seiner ersten Ehefrau Panja. Zusammengefasst, kann man sagen: Er hat ihnen allen viel abverlangt. John Jürgens fragt: „Papa, wo warst du?“, als er Bilder von dessen großer Tournee „Udo 70“ aus dem Jahr 1970 anschaut; Jenny erzählt, wie sie und ihr Bruder erst viel später von ihrer unehelich geborenen Schwester erfahren haben, der später noch eine zweite folgte, Manfred erklärt, sein Bruder sei trotz großer Beliebtheit immer einsam und letztlich ein Autist gewesen, und Panja schließlich berichtet von der „totalen Ohnmacht des Verlassenwerdens“, die sie damals aus der Bahn geworfen habe. Nach einer Zeit im Modus der „Patchworkfamilie“ hatte der schon seit seinen frühen Erfolgen als Schürzenjäger bekannte Udo Jürgens sich 1989 scheiden lassen und später noch mal geheiratet.
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Mit der Geschichte des Aufwachsens von Jürgen Udo Bockelmann, der sich in den Fünfzigerjahren seinen Künstlernamen Udo Jürgens zulegte, passen diese Einschätzungen zu seinem Charakter durch ihm Nahestehende noch einigermaßen zusammen: Es ergibt sich das Bild eines im Grunde introvertierten Menschen, der stets großes Lampenfieber und Versagensängste hatte, andererseits den Ruhm aber sehr genoss und voll auskostete. Auch der Psychologisierung, das ehedem unglückliche und kränkliche Kind, das vierzehnmal Mittelohrentzündung hatte, habe als erwachsener Star immer noch seine Eltern überzeugen wollen und müssen, dass aus ihm wirklich ein Künstler geworden sei, mag man noch folgen.
Geschichte der Bundesrepublik vertont?
Der werkgeschichtliche Teil aber steht teils quer zu dieser etwas arg intimen Familien-Saga, und er kommt auch einfach zu kurz. Mit den beiden Textdichtern Michael Kunze und Oliver Spiecker kommen zwar die für dieses Chansonwerk mit entscheidenden Menschen zu Wort, aber eine ziemlich hoch gegriffene Einschätzung wie die von Spiecker, Udo Jürgens habe „die Geschichte der Bundesrepublik“ und „unser aller Leben vertont“, bleibt dann doch etwas in der Luft hängen. Hierfür hätte man viel mehr Belege gebraucht. Immerhin interessant ist eine kurze Passage über Jürgens’ Bezug zur Protestbewegung – aber aus einem um 1968 seltsam, wenn nicht unfreiwillig komisch anmutenden Text wie „Lieb Vaterland (...), die Jugend wartet auf deine Hand“ hätte man noch deutlich mehr kritische Funken schlagen können.
Was das Archivmaterial in „Udo!“ angeht, kannte man einiges auch schon aus dem vor zehn Jahren zum 80. Geburtstag erschienenen Film „Der Mensch, der Udo Jürgens ist“ von Hanns-Bruno Kammertöns und Michael Wech. Der war mit 90 Minuten Spielzeit auch etwas ausgewogener. Dennoch zeigt auch der vorliegende Film tolle Funde. Dazu gehören Szenen aus einer Art Musikvideo im Bett mit Françoise Hardy und dazu die Einschätzung der Ehefrau Panja, ihr Mann und Hardy seien „beide Opfer einer Situation“ geworden. Und ebenso die kritische Einschätzung eines Musikwissenschaftlers im Rundfunk zu der Frage, ob Jürgens „eine Märchentante des Kapitalismus“ sei. Theodor Köpls Meinung nach war „der Erfolg von Udo Jürgens auf dem Unglück und der Unzufriedenheit seines Publikums aufgebaut“. Der Sänger habe primär jene angesprochen, die „unter die Räder unserer emotionsarmen, übertechnisierten, rationalen Zeit gekommen sind“.
Udo Jürgens als Märchentante: Das hätte dem Mann, der stets um das Image höchster Aufrichtigkeit bemüht war, ob auf der Bühne oder in Talkshows bei Gesprächen über sein Leben, selbst wohl kaum gefallen. Aber zu seinen Liedern, von „Griechischer Wein“ bis „Traumtänzer“, passt es doch ganz gut, auch in der Sehnsucht nach dem immateriellen Glück – und man könnte es heute fast als Lob auffassen.
„Udo!“, am 23. Dezember um 22.35 Uhr im Ersten