Das neue alte Lied „Als ich fortging“ von Udo Jürgens
Wann immer heutzutage ein „neues Lied“ von längst Verstorbenen veröffentlicht wird, zuckt man erst einmal zusammen – nicht nur, weil es an sich schon etwas unheimlich ist, sozusagen wiederauferstandene Stimmen zu hören, sondern auch, weil dies jetzt immer von der Frage begleitet wird, wie stark das Lied mithilfe sogenannter künstlicher Intelligenz bearbeitet wurde.
Zur Erinnerung: Schon als 1995 das Beatles-Lied „Free as a Bird“ aus der Mottenkiste geholt wurde, konnte man geteilter Meinung sein; noch viel stärker schieden sich die Geister an dem 2023 veröffentlichten Song „Now and Then“. Und das soll die Stimme von John Lennon sein?, dachte man, während man es gleichzeitig genoss, daran zu glauben. Dass von einem Sänger wie Udo Jürgens, der im Laufe seiner Karriere über tausend Lieder geschrieben hat, auch zehn Jahre nach seinem Tod noch ein bisher unveröffentlichter Song aus dem Archiv gezogen wird, ist erst einmal nicht sehr überraschend, und da müsste auch nicht zwingend künstlich nachgeholfen werden.
Musikalisch „getuned“?
Aber so ganz unbearbeitet erscheint im Pop ja selten etwas Altes neu, wenn es sich nicht gerade um abseitige Dylan-Bootlegs handelt, und daher konnte man zu der Meldung, von Udo Jürgens sei ein Lied namens „Als ich fortging“ wieder aufgetaucht, auch gleich mitlesen, es sei „musikalisch getuned“. Das Lied existierte vorher nur als Rohfassung von 1985. Die ersten Takte der Klavierballade, die man nun hört, haben aber keinerlei Patina. Soll man schon lobsingen: „Merci, KI“?
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Nein, es hat, so erfahren wir, ein Mensch Hand angelegt, nämlich der Schlagzeuger, der damals an der Demo-Aufnahme beteiligt war. Curt Cress, der mit vielen Größen der Rockmusik gespielt hat, durfte sie neu bearbeiten und hat – freilich mithilfe von Technik – auch Streicher ergänzt. Übertrieben? Nein, ganz passend. Der Text von Michael Kunze, der für Jürgens auch Klassiker wie „Griechischer Wein“ schrieb, hat die Höhe für ein großes Chanson, und das Lied in neuem Gewand ist so eines.
Die Stimme von Udo Jürgens klingt so fest wie immer: „Ich hab noch was vergessen hier bei dir . . .“ Wir erinnern uns an eine persönliche Begegnung mit ihm in Hamburg kurz vor seinem Tod 2014. Er machte Scherze wie: „Gott sei Dank kann ich mich jetzt nicht scheiden lassen, weil ich nicht verheiratet bin.“ Aber so geht man nicht fort. Da liegt doch noch was hinter der Tür: „Ich las in den alten Briefen / Deine Worte riefen Bilder wach in mir“. Denen ist Udo Jürgens gefolgt und noch einmal wiedergekommen. Und wie: „Alle Wege führen zurück zu dir.“