Fall Tyre Nichols: Experten entsetzt über Polizeigewalt gegen Schwarzen

28 Jan 2023

Videoaufnahmen veröffentlicht

Das von der Stadt Memphis veröffentlichte Videobild zeigt, wie Tyre Nichols nach einem brutalen Angriff durch fünf Polizeibeamte aus Memphis am 7. Januar von Sanitätern behandelt wird.

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Das von der Stadt Memphis veröffentlichte Videobild zeigt, wie Tyre Nichols nach einem brutalen Angriff durch fünf Polizeibeamte aus Memphis am 7. Januar von Sanitätern behandelt wird.

© Quelle: --/City of Memphis/AP/dpa

Jetzt veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen die brutale Polizeigewalt, an deren Folgen der 29 Jahre alten Schwarze Tyre Nichols starb. US-Polizeiexperten äußern sich nach der Analyse der Videos entsetzt.

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Nach der Veröffentlichung von Videoaufnahmen der brutalen Festnahme von Tyre Nichols halten Polizeiexperten in den USA die Gewalt gegenüber dem Schwarzen für in keiner Weise rechtfertigbar. Der 29-Jährige war Anfang Januar bei einer Kontrolle in Memphis von Polizisten verprügelt worden und erlag später seinen Verletzungen. „In meiner Karriere habe ich so etwas noch nie gesehen. Ich habe noch nie gesehen, wie einer Person absichtlich auf die Beine geholfen wurde, um sie zu schlagen“, sagte der Rechtsanwalt und Experte für Polizeiausbildung Ed Obayashi der „New York Times“.

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In ihrer Ausbildung würden Polizisten lernen, sich ihrem „physischen Umfeld bewusst zu werden“. Im gleichen Maß sollten sie laut Obayashi aber auch lernen, die eigenen Emotionen zu reflektieren. Er vermutet, dass die Beamten sich nicht respektiert gefühlt hätten, als Nichols wegrannte. „Dies scheint für sie ein klassischer Fall von Verachtung der Polizei gewesen zu sein“, sagte er. Die Polizisten hätten sich dafür „an dem armen Individuum“ gerächt.

Misshandlungen bei Festnahme: Videos zeigen Polizeigewalt gegen Tyre Nichols

Auf den schwer zu ertragenden Aufnahmen sind Polizisten zu sehen, die auf einen Mann einprügeln und ihn treten. Fünf Tatverdächtige wurden bereits angeklagt.

© Quelle: Reuters

Video zeigt: Polizisten schlugen mit Fäusten und Schlagstöcken

In den Videos vom Abend des 7. Januar ist zu sehen, wie Nichols in der Großstadt Memphis von der Polizei in seinem Auto angehalten wird. Die Beamten – ebenfalls Schwarze – ziehen ihn aus dem Auto und drücken ihn nach unten. Immer wieder brüllen sie ihn an, zu Boden zu gehen – dabei liegt er dort schon. Nichols bittet die Polizisten mehrmals, aufzuhören. Er sei auf dem Weg nach Hause. „Ich habe nichts getan.“ Schließlich reißt er sich los und versucht, zu Fuß zu fliehen. Der Versuch eines Beamten, ihn mit einem Elektroschocker aufzuhalten, schlägt fehl.

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Nichols wird dann an einer anderen Straßenkreuzung von Beamten gefasst. Aus drei verschiedenen Perspektiven – aufgenommen auch von einer festinstallierten Kamera an einer Straßenlaterne – ist zu sehen, was sich weiter abspielt.

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Mehrere Beamte halten Nichols fest, während ihn andere Polizisten brutal mit Fäusten und einem Schlagstock schlagen. In einem Video sieht es so aus, als sprühe ihm ein Polizist etwas ins Gesicht. Nichols stöhnt und jammert. Mehrmals ruft er laut nach seiner Mutter. In einer anderen Einstellung ist zu sehen, wie zwei Polizisten Nichols‘ Oberkörper hochhalten, während ihm ein dritter Beamter gegen den Kopf tritt.

Danach schleifen die Einsatzkräfte den schwer verletzten Mann zu einem Einsatzfahrzeug und lehnen seinen Oberkörper gegen die Seite des Wagens. Nichols starb drei Tage später im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Fünf beteiligte Polizisten wurden inzwischen aus dem Dienst entlassen und festgenommen. Sie sollen sich vor Gericht verantworten müssen.

„Das ist wahrscheinlich eines der schlimmsten Dinge, die ich je gesehen habe.“

Neama Rahmani,

Präsident der West Coast Trial Lawyers

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Experten werfen Polizisten schwere Verfehlungen vor

Der Wissenschaftler Chuck Wexler vom Police Executive Research Forum, einer Mitgliederorganisation von Polizeiführungskräften, sieht in dem Video „die Definition von exzessiver Gewalt“. Von Nichols sei keine Gefahr ausgegangen, die das Verhalten der Polizisten rechtfertigen würde, wie er der „New York Times“ sagte. „Diese Person wurde nicht wie ein Mensch behandelt.“ Wexler wirft den Beamten außerdem unterlassene Hilfeleistung vor. Keiner hätte Nichols geholfen, als er am Boden lag.

Auch Joshua Ritter, ein Strafverteidiger aus Los Angeles, spricht von massivem Fehlverhalten der Polizei. Gegenüber „Business Insider“ sagte er: „Es gibt keinen Grund, warum fünf Beamte mit geschlossener Faust zuschlagen müssen, um einen Verdächtigen zu überwältigen.“

Für ihn sei „vollkommen klar“, dass die Polizisten entweder schlecht ausgebildet wurden oder alles vergessen hätten, was sie gelernt haben. Dass sich Nichols wehrte, hält er für nachvollziehbar. Es sei der „natürliche menschliche Instinkt, Widerstand zu leisten“, wenn fünf Menschen auf jemanden einprügeln.

Anklage wegen Mordes?

„Sie schlugen einfach direkt auf ihn ein, obwohl er sehr gefügig war“, sagte Strafverteidiger Matthew Barhoma gegenüber „Business Insider“. „Dann hat er Widerstand geleistet. Und es stellt sich die Frage: Warum hat er Widerstand geleistet? Es ist sehr wahrscheinlich, dass er Widerstand geleistet hat, weil er das Bedürfnis hatte, sein Leben zu retten.“

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Dass die Polizisten wegen Mordes belangt werden können, hält Barhoma für unwahrscheinlich. Er hält die Hürden für den Tatbestand zu hoch. Ritter hält es ebenfalls für schwer, den Mordvorwurf nachzuweisen. Angesichts der Gewalt in den Videos könne er sich aber vorstellen, dass dies gelinge.

Der Rechtsanwalt Neama Rahmani, ein früherer Bundesanwalt, hält Anklagen wegen Mord dagegen für angemessen. „Ich habe Polizisten angeklagt. Ich habe inhaftierte Polizisten gesehen. Ich habe viel gesehen“, sagte er. „Das ist wahrscheinlich eines der schlimmsten Dinge, die ich je gesehen habe.“

RND/sf

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