Air Defender 2023: „Top Gun“ in Jagel – ein Besuch auf dem ...

14 Jun 2023
Top Gun

Im 1986 erschienenen Filmklassiker „Top Gun“ fuhr Tom Cruise alias Pete „Maverick“ Mitchell im Motorrad neben startenden Kampfjets her, spielte mit nacktem Oberkörper Beachvolleyball und verhalf nebenbei der Ray-Ban-Aviator-Sonnenbrille zum Kultstatus. Was davon findet sich auf dem Fliegerhorst Jagel im tiefsten Schleswig-Holstein – dort, wo die Luftwaffe der Bundeswehr in der seit Montag laufenden Nato-Großübung „Air Defender 2023“ ihren Hauptstadtort hat?

Pete rast nicht in Lederjacke mit seinem Motorrad die Startbahn entlang in die Abendsonne. So weit bekannt, verfolgt er auch keine blonden Instrukteurinnen abends in der Kneipe bis aufs Klo. In peinliche Gesangseinlagen und rasante Luftkämpfe ist er an diesem Tag ebenfalls nicht verwickelt.

Stattdessen steht der 35-jährige Kampfpilot der US-amerikanischen Air National Guard neben seinem Flugzeug und wartet. Es ist Medientag in Jagel, die Luftwaffe will über „Air Defender“ informieren und hat dazu ein Besuchsprogramm aufgelegt. In den kommenden beiden Wochen wird hier einiges los sein, am Boden und vor allem in der Luft. Allein die Amerikaner haben 1500 Tonnen Material, Dutzende Flugzeuge und Hunderte Soldaten mitgebracht – und hoffentlich einen Hauch von „Top Gun“.

Alles zum Thema Russisch-Ukrainischer KriegKaum einer trägt hier eine Aviator-Sonnenbrille

Der Soundtrack läuft im Kopf jedenfalls schon mal mit, als es mit dem Bus auf den Fliegerhorst geht: Die leisen Gongschläge der legendären Titelmusik von Harold Faltermeyer, als ein gerade gelandeter Tornado der Luftwaffe langsam über die Piste rollt. „Danger Zone“, als in der Ferne die ersten Jets starten. „Playing with the Boys“, als man sie schließlich sieht, die Amerikaner, wie sie da vor ihren akkurat aufgereihten Kampfjets stehen und auf die Medienbesucher warten. Die erste Enttäuschung: Niemand trägt eine Ray-Ban-Aviator-Sonnenbrille.

Was ist mit den Piloten los? Immerhin hatte Tom Cruise das Brillenmodell einst extra ausgesucht, die Aviator wurde auch durch den Film legendär. Ist der Ruhm der Fliegerbrille etwa verblasst? Eine Vorabanfrage bei der Luftwaffe hatte es schon befürchten lassen: Die Pressestelle in Berlin spricht nur von einer „gewissen Beliebtheit durch diverse Filmproduktionen“, führt aber – wenig erstaunlich – keine Statistik. Auch in der zivilen Luftfahrt bleibt die Spurensuche erfolglos: „Eine kurze Umfrage in unserem Haus hat leider keinen Fan dieser Brille zutage gefördert, den man dazu hätte befragen können“, heißt es bedauernd von der Pilotenvereinigung Cockpit. In Jagel sind es nach angestrengter Suche am Ende genau drei Personen, die eine Aviator tragen: ein deutscher Soldat, ein Amerikaner – und die Reporterin.

Es wird immer deutlicher: Die norddeutsche Geest ist nicht die Wüste, und Jagel ist nicht Fighter Town, nicht einmal mit viel Fantasie. Auch hier flirrt zwar die Luft in der Sommerhitze, die hier aber nicht golden ist wie in San Diego, dem früheren Standort der berühmten US Navy Fighter Weapons School, sondern eher fahl.

Was außerdem flirrt an diesem Tag, sind Hunderte, wenn nicht Tausende kleine Käfer. Sie fallen die Besucher und Soldaten an, alle fuchteln mit den Armen und versuchen die anhänglichen Insekten loszuwerden – vergeblich.

Gefährlicher Vogelschlag

In der Ferne machen sich unterdessen zwei F-16-Kampfflugzeuge bereit für den Start. Bis es wirklich losgeht, dauert es allerdings noch: Über der Startbahn haben sich Vögel versammelt, vielleicht sind sie wegen der Käfer hier, man weiß es nicht. Die Luftwaffe schwört Stein und Bein, gestern seien die Insekten noch nicht dagewesen, man könne sich das auch nicht erklären. Haben die Amerikaner sie mitgebracht? Oder die Russen sie geschickt?

Egal: Die Vögel müssen jedenfalls weg. Denn Vogelschlag ist für Kampfjets gefährlich. Triebwerke können ausfallen, Flugzeuge abstürzen. Ein Feuerwehrfahrzeug des Fliegerhorstes regelt die Sache schließlich. Als mit einem hartnäckigen Adler auch der letzte Vogel vergrämt ist, geht es los: Donnernd rast erst die eine, dann die zweite F-16 über die Piste, hebt ab und verschwindet über Jagel am schleswig-holsteinischen Sommerhimmel.

Am Boden geht derweil die Suche nach „Maverick“ weiter. US-Kampfpilot Pete heißt zwar genauso wie die berühmte, von Tom Cruise verkörperte Filmfigur, aber das war es dann auch schon. Sein Nachname ist nicht Mitchell, sondern Taylor, sein „Call Sign“ lautet „Fury“ und nicht „Maverick“ – und er fliegt auch keine schnittige F-18, sondern ein Warzenschwein. Der Kampfjet vom Typ A10 Thunderbolt heißt so, weil er so hässlich ist – Pete aber ist zufrieden, er liebt sein Flugzeug. Die Maschine wird vor allem zur Luftnahunterstützung eingesetzt, bekämpft Bodenziele wie etwa Panzer und ist dabei vergleichsweise leise und sehr wendig.

Vor seinem Jet hat Captain Pete zur Ansicht zwei Geschosse der Bordkanone aufgestellt – die möchte man tatsächlich nicht um die Ohren kriegen. Die besseren Stunts kann man dennoch mit der F-18 fliegen, was neben dem unvorteilhaften Äußeren vermutlich ausschlaggebend dafür ist, dass ein „Maverick“ im Warzenschwein nur schwer vorstellbar wäre.

Wenn es aber im „Air Defender“-Hauptquartier schon kein Tom-Cruise-Double gibt, nur sehr wenige Aviator-Brillen und überhaupt kein einziges Motorrad – dann ist die letzte Hoffnung bei der Suche nach „Top Gun“-Spuren das legendäre Beachvolleyballfeld. Doch auch hier werden die Erwartungen in Jagel enttäuscht. „So was haben wir hier auf dem Fliegerhorst nicht“, sagt ein deutscher Soldat, lacht – und fügt dann zumindest noch hinzu: „Aber den Amerikanern haben wir für ihr Containerdorf in Kropp eins aufgebaut.“

 Großmanöver simuliert Angriff einer Ost-Allianz auf Deutschland

„Air Defender 2023“ ist ein Manöver der Superlative: Bei der größten Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato proben Deutschland und 24 weitere Staaten – darunter auch der auf Aufnahme wartende Nato-Partner Schweden – die Verteidigung des Bündnisgebietes gegen einen Angreifer sowie die Rückeroberung umkämpfter Gebiete. An der Übung nehmen vom 12. bis 23. Juni unter deutscher Führung 10000 Soldaten mit 250 Flugzeugen teil, darunter 70 Militärmaschinen aus Deutschland. Die Übung findet vor allen in drei Lufträumen über Teilen Norddeutschlands und der Nordsee statt. Im Gastgeberland Deutschland führt der für den nördlichen Nato-Raum zuständige Gefechtsstand in Uedem am Niederrhein die Übung.

Seit 2018, also nach der russischen Annexion der Krim, aber noch deutlich vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs, wurde die Übung geplant. In dem Szenario ist das fiktive östliche Bündnis Occasus der Gegner. Nach einer jahrelangen Konfrontation mit Occasus hat der Konflikt die Bundesrepublik erreicht. Das westliche Bündnis löst den Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages aus. Die Occasus-Allianz versucht in dem Szenario zur Ostsee vorzustoßen und den Rostocker Hafen in Besitz zu nehmen. Sie nutzt dabei auch Sabotageaktionen und den Einsatz von Spezialkräften, die aus der Luft unterstützt werden.

Blau kämpft gegen Rot, den Feind. Es geht um Luftnahunterstützung („close air support“) eigener Soldaten im Kampf am Boden sowie „zwei gegen zwei“ in der Luft, also den Kampf von Flugzeugen gegen andere Flugzeuge.

Die Nato-Partner streben nach Luftüberlegenheit und gehen gemeinsam und mit Maschinen in der Luft den Ablauf von Missionen durch. Dazu sammeln sich Flugzeuge der unterschiedlichen Staaten in Gebieten, sogenannten „assembly areas“: Zunächst identifizieren und unterdrücken Spezialflugzeuge für den Elektronischen Kampf (Eloka) gegnerische Radar- und Flugabwehrstellungen. Jagdflugzeuge bekämpfen dann den Gegner in der Luft. Dann kommen Bomber gegen Ziele am Boden zum Einsatz. Über allem fliegen Aufklärungsmaschinen, und Tankflugzeuge sorgen für ausreichend Treibstoff – vereinfacht gesagt.

Geübt werden das Zusammenspiel und gemeinsame Taktiken, sagt Generalleutnant Günther Katz, Kommandierender General des Luftwaffentruppenkommandos, im Bundeswehr-Format „Nachgefragt“. „Wir zeigen Stärke, indem wir demonstrieren, dass wir bereit sind, jeden Quadratzentimeter des Bündnisgebietes gegen jeden möglichen Gegner zu verteidigen“, betont er. Der Luftkampf finde meist in bis zu 20 Kilometern Höhe statt, höher als zivile Fluggesellschaften fliegen. Tiefflüge gebe es vor allem auf Truppenübungsplätzen. (dpa)

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