Es gibt einige echt abgefahrene Theorien zum Unglück der Titanic, die am 15. April 1912 im Nordatlantischen Ozean versank und dabei mehr als 1.500 Menschen mit sich in den Tod riss: War womöglich eine verfluchte Mumie an Bord schuld? Oder ist die Titanic womöglich gar nicht gesunken, sondern wurde kurz vor dem Unglück noch durch das Schwesternschiff Olympia ausgetauscht?
Solche offensichtlich absurden Theorien haben jedenfalls kaum jemanden an der offiziellen Lesart der Geschehnisse zweifeln lassen, der auch James Cameron 1997 in seinem Mega-Hit „Titanic“ weitgehend faktentreu folgt: Das Ergebnis war der bis dahin erfolgreichste Film aller Zeiten – und machte Leonardo DiCaprio endgültig zu einem globalen Superstar!
Lag James Cameron etwa falsch?Aber dann entwickelte sich zwischen 2004 und 2017 eine neue Theorie, die maßgeblich von dem irischen Journalisten Senan Molony vorangetrieben wurde – und so schließlich gar in der vielbeachteten Dokumentation „Titanic: The New Evidence“ (Erstausstrahlung am 1. Januar 2017 auf Channel 4 in Großbritannien) mündete. Der Kern der Theorie besagt, dass nicht der Eisberg der maßgebliche Grund für den Untergang war – sondern stattdessen ein schon vorher über Tage hinweg schwelendes Feuer im Kohlebunker.
Sollte es so gewesen sein, wäre nicht nur die vorangegangene Forschung zum Sinken der Titanic überholt, sondern eben auch der 200 Millionen teure Blockbuster „Titanic“, der sich mit seinen Einnahmen von mehr als 2,2 Milliarden Dollar trotz 25 Jahren Inflation seit 1997 bis heute auf Platz 4 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten gehalten hat – nur hinter „Avatar 2: The Way Of Water“ auf Platz 3, „Avengers 4: Endgame“ auf Platz 2 und „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ auf Platz 1 (und ja, James Cameron belegt tatsächlich allein drei der Top 4 Plätze).
Neue Beweise!?Senan Molony präsentiert in der TV-Doku damals neu aufgetauchte Fotos, die eine neun Meter lange Rußspur am Rumpf der Titanic zeigen. Nachdem dieser Fährte vorher noch niemand besonders sorgfältig nachgegangen war, fand der Journalist heraus, dass das Feuer in Kohlebunker 6 wohl sogar bereits vor dem Auslaufen im Bauch des Schiffes geschwelt haben soll: „Es handelt sich genau um den Bereich, der mit dem Eisberg kollidierte. Und offensichtlich gab es bereits eine Schwachstelle oder einen Schaden an der Außenhülle an dieser Stelle, noch bevor die Titanic Belfast verlassen hat.“
Auch Gerichtsunterlagen belegen die Existenz des Feuers: Dieses sei zwar bis zum 13. April 1912 gelöscht worden (also einen Tag vor der Kollision und zwei Tage vor dem Untergang), allerdings hätte die große Hitze von bis zu 1.000 Grad die Außenwand porös gemacht – und zwar genau an der Stelle, wo später der Eisberg den Rumpf des Schiffes aufgerissen hat: „Als die Titanic mit dem Eisberg kollidierte, war der Schiffsrumpf so stark beschädigt, dass er einfach aufreißen konnte“, erklärt Molony, bevor er in der Dokumentation schließlich „Feuer, Eis und kriminelle Nachlässigkeit“ als maßgebliche Ursachen-Kombination für das Unglück angibt.
Alles nur vertuscht?Laut „Titanic: The New Evidence“ wollte die Reederei White Star Line das Feuer möglichst unter Verschluss halten. Molony dazu: „Man wusste von dem Feuer, doch es wurde runtergespielt. Die Titanic hätte niemals in See stechen dürfen.“ Außerdem zitiert er den auf der Titanic beschäftigten Feuerwehrmann John Dilley:
„Dort waren hunderte Tonnen Kohle gelagert. Ich habe mit elf Mann das Feuer bekämpft. Vier Tage später wurde es schlimmer. Es hat bis Samstag gedauert, bis wir es löschen konnten. Die Kohle brodelte aber weiter. Wir durften nichts darüber erzählen.“
Um die Ausstrahlung herum schlug die Theorie ganz schöne Wellen – sie erschien nicht nur faszinierend, sondern auch argumentativ schlüssig, weshalb sie schnell auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde Anhänger*innen fand. Auch auf FILMSTARTS erschien schon damals ein Artikel mit der in der Rückschau womöglich etwas zu gewagten Überschrift: „James Cameron hat es falsch erzählt: Darum ist die Titanic wohl wirklich untergegangen“
Denn es gab von Anfang an auch Gegner*innen der Theorie – darunter etwa Malte Fiebing-Petersen, der Vorsitzende des Deutschen Titanic-Vereins, der die neu entdeckten Fotos des Rußes am Rumpf nicht als Beweis gelten ließ: „Ein Bunkerbrand kann eine Auswirkung auf den Untergang gehabt haben, aber das Foto ist kein Beweis. Ein Zusammenhang des mysteriösen Flecks mit dem Bunkerbrand kann ausgeschlossen werden.“ Das hätten entsprechende Vermessungen ergeben, wie er gegenüber Journalist*innen aussagte.
Und offenbar war er da auf dem richtigen Dampfer: Inzwischen gilt die Kohle-Brand-Theorie nämlich als so gut wie widerlegt – wie u.a. auch in diesem YouTube Video des Kanals Titanic Animations noch mal zusammengefasst wird:
Der Top-Kommentar von @Rossimint unter dem Video fasst dabei die zwischenzeitliche Faszination für die Theorie und ihren – Vorsicht Wortspiel! – Untergang auch noch mal sehr gut zusammen:
„Ich erinnere mich daran, diese Theorie vor ein paar Jahren gesehen zu haben, und ich muss zugeben, dass sie mich definitiv fasziniert hat. Der Gedanke, ein thermisch belastetes Metall zu haben, das vielleicht bei einer etwas geringeren Belastung versagt, ist für mich nicht abwegig. War es ein mitwirkender Faktor? Vielleicht, aber kein signifikanter. Die Tatsache, dass die Versagenslast um 10-20% niedriger lag, deutet darauf hin, dass die Nieten selbst weniger in der Lage gewesen wären, einen Aufprall aufzufangen. Aber der Aufprall mit dem Eisberg war wahrscheinlich groß genug, dass es ohnehin keine Rolle gespielt hätte. Also war es das katastrophale Ereignis, das die Titanic effektiv versenkte? Nein, das war der Aufprall mit dem Eisberg.“
James Cameron lag also doch nicht falsch. Zumindest nicht in einem so wichtigen Punkt! An einer anderen Stelle lag der „Titanic“-Regisseur aber sehr wohl daneben – und hat den Film deshalb sogar für die Heimkino-Fassung nachträglich digital verändert. Aber das ist noch einmal eine ganz andere Geschichte…
James Cameron hat das Finale von "Titanic" nachträglich verändert, ohne dass es jemand gemerkt hat!
Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.