Tijan Sila bekommt den Bachmannpreis, doch auch das ...

2 Tage vor
Tijan Sila

Mit „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“ gewinnt der in Sarajewo geborene Deutsche Tijan Sila den Bachmannpreis, auch Johanna Sebauer, Tamara Stajner und Denis Pfabe können sich freuen. Dafür geht einer ganz unerwartet leer aus.

Da sah es doch bis Samstag tatsächlich so aus, als sei das nicht gerade ein starkes Jahr für Österreich beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: Erstens gab es schon viele Jahre mit mehr heimischer Beteiligung, und zweitens sorgten die zwei österreichischen Beiträge am Donnerstag und Freitag für nicht mehr als Wohlgefallen. Aber dann kam doch alles ganz anders . . .

Auch wenn der Hauptpreis, der mit 25.000 Euro dotierte Bachmannpreis, am Sonntag an den bosnisch-deutschen, in Sarajewo geborenen Autor Tijan Sila ging. Er hat Germanistik und Anglistik studiert und ist Lehrer. (Wie übrigens der Ich-Erzähler in seinem Text. Zuletzt veröffentlichte Sila 2023 das autobiografische Buch „Radio Sarajevo“, das sich wie schon frühere Bücher von ihm mit dem bosnischen Bürgerkrieg und der Flucht seiner Eltern beschäftigte.

In „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“ besucht der erwachsene Ich-Erzähler an einem Augusttag 2007 seine Eltern, Akademiker, die einst vor dem Jugoslawien-Krieg flüchteten und in Deutschland arbeitslos wurden. Man erlebt, wie seine Mutter völlig überraschend für ihn gleich nach seinem Eintreten paranoide Beschuldigungen gegen ihn erhebt: Er sei einer von „denen“, die „Leute vom Amt hätten ihn „rumgekriegt“ . . . Dem Sohn wird klar, dass sie „verrückt“ geworden ist (die Diagnose heißt später „Schizophrenie“), und er findet im Rückblick keine Vorzeichen dafür, außer ungewöhnlichen Verhaltensweisen, die bei ihnen allen „normal“ gewesen seien: „Schließlich hatten wir den Krieg überlebt.“ Und was macht währenddessen der Vater? Schweigt zuerst wie üblich, steht ratlos im Vorzimmer herum, schreit dann, flüchtet sich ins Schlafzimmer, strampelt auf dem Bett, schreit weiter . . . Später wird dem Sohn klar, „dass meine Eltern gemeinsam verrückt wurden. Sie gingen Hand in Hand zum Abgrund“.

Am Donnerstag hatte dieser Text bei der Jury durchwegs große Anerkennung gefunden. Ost-westdeutsche Geschichte und Balkankrieg würden hier in kleiner Form meisterhaft aufgefächert, sagte etwa Laura de Weck, Philipp Tingler hob die Qualität des Tragikomischen darin hervor.

3sat-Preis und Publikumspreis für Sebauer

Wer aber das Publikum besonders für sich gewonnen hatte, schien am Samstag ziemlich klar: Die 1988 in Wien, aber heute in Hamburg lebende Johanna Sebauer traf mit ihrem humoristischen Text „Das Gurkerl“ wohl einen Nerv: Darin löst die im spontanen Ärger geschriebene Kolumne eines Redakteurs über die Gefährlichkeit von Gurkenwasser (er hat es ins Auge bekommen) einen Hype aus mit all den dazu gehörigen Empörungsspiralen aus, die unsere von den Dynamiken auf Social Media bestimmten Debatten heute prägen.

Dass Sebauer nun sowohl den mit 7.500 Euro dotierten 3sat-Preis als auch den BKS-Bank-Publikumspreis (7.000 Euro) bekommen hat, zeigt wohl neben der Qualität des Textes auch, wie groß mittlerweile das Bewusstsein für die verhängnisvollen Auswirkungen und der Überdruss daran zumindest in manchen Teilen der Gesellschaft ist . . .

Doch auch die aus Slowenien stammende Wahlwienerin Tamara Štajner (geb. 1987) kann sich freuen, sie erhielt den Kelag-Preis (10.000 Euro). „Luft nach unten“, Brief einer Tochter an eine Mutter, bei dessen Lektüre sie zwischendurch mit den Tränen rang, beeindruckte vor allem durch die in gelungene Literatur gegossenen Emotionen.

Deutschlandfunkpreis für Denis Pfabe

Ob die ins Surreale spielende Geschichte des Deutschen Denis Pfabe über einen Mann, der sich vor einer familiären Verlustgeschichte (Fehlgeburt?) im Baumarkt verkriecht, hoch subtil, ja „perfekt“ oder einfach nur langweilig sei, darüber konnte sich die Jury nicht einig werden. Pfabe erhielt aber den mit 12.500 Euro dotierten Deutschlandfunkpreis.

Und einer ging ganz unerwartet leer aus: Der finnisch-ungarische, in Deutschland lebende Henri Szanto. Er ließ in „Eine Treppe aus Papier“ originell und sprachmächtig ein Haus reden, in dem Gegenwart und (NS-)Vergangenheit sich ineinander schieben, Tote und Lebende zusammen hausen. Superlative aus der gesamten Jury hatte er am Freitag geerntet, Philipp Tingler etwa hatte von „Dingen“ gesprochen, „die man besser nicht ausdrücken kann“. Glück und Pech spielen halt auch mit beim Bachmannpreis.

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