Demi Moore in The Substance: Das Anti-Aging-Massaker
«The Substance» ist ein Monsterfilm über das Altern. Demi Moore zeigt sich in ihrer Comeback-Rolle nackt und entstellt – verstörend gut.
Publiziert heute um 17:28 Uhr
Elisabeth (Demi Moore) wird ausrangiert: «The Substance» ist eine blutig böse Satire auf den Schönheitswahn.
Foto: Filmcoopi
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«Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker», hat der verstorbene US-Autor Philip Roth geschrieben. Der Satz wird oft und gern herbeizitiert, wo es um Krankheit und Zerfall geht. Aber bis jetzt hat ihn vermutlich noch niemand so wörtlich genommen wie Coralie Fargeat aus Frankreich, Regisseurin der gefeierten Horrorsatire «The Substance».
Hier ist das Alter buchstäblich blutiges Massaker, ein fehlgeleitetes Experiment am eigenen Körper. Skincare als Monsterwerdung – deutlicher (und böser) könnte diese aufs Absurdeste reduzierte Karikatur des Jugendkults in Hollywood nicht werden. «The Substance» aber geht weiter als so manche Body-Horror-Farce.
Die Verjüngungsdroge hat ziemliche Nebenwirkungen, zum Beispiel diese Rückennarbe.
Foto: Filmcoopi
Das Alter wird hier auch zum Kampf. Zwischen Elisabeth (Demi Moore) und ihrem jüngeren Ich Sue (Margaret Qualley). Elisabeth tritt in Fitnessvideos auf, die an Jane Fonda erinnern, alles wirkt altbacken. Der Produzent der Sendung will sie durch eine jüngere Instruktorin ersetzen.
Elisabeth bekommt es zufällig im Klo mit, ihr Entschluss ist schnell gefasst: Sie bestellt «die Substanz», ein im TV beworbenes Jugendelixier, so steril verpackt wie Astronautennahrung. Die Aktivierungsdosis spritzt sie sich in den Arm.
Jetzt liegt Elisabeth bewusstlos auf dem Badezimmerboden, auf ihrem Rücken öffnet sich eine Spalte, und aus ihrem Körper schlüpft Sue, die jugendliche Version von Elisabeth, straff und stramm und mit einem Lächeln, das bald die ganze Welt entzückt.
Die 29-jährige Margaret Qualley spielt die jüngere Version von Elisabeth in «The Substance».
Foto: Filmcoopi
Gewisse Regeln sind bei der Anti-Aging-Droge zu befolgen, zum Beispiel muss alle sieben Tage der Körper gewechselt werden. Also eine Woche Sue, eine Woche Elisabeth und so weiter. Übertretungen führen zu Deformationen. Wie das halt so ist, wenn man sich nicht rigoros genug an ein Verjüngungsprogramm hält.
Und das passiert natürlich, Elisabeth erlebt die erste Mutation, sie kriegt einen Gollum-Finger. Von da an herrscht Krieg zwischen jüngerem und älterem Ich. Besonders Sue reagiert unerbittlich – als könne sie den Grusel des Alters aus sich selbst austreiben, als brutale Fanatikerin der glatten Haut.
Demi Moore ist die ideale Besetzung für «The Substance»Es wäre schwer vorstellbar, so einen Höllenritt mit, sagen wir, Nicole Kidman in der Hauptrolle zu drehen. Die 61-jährige Demi Moore ist die ideale Besetzung, weil sie schon länger keine prominente Rolle mehr hatte, in der sie sich mit dem Todesmut der erfahrenen Darstellerin selbst auseinandernehmen kann. Und ihr Star-Image gleich dazu, das ja eng verwickelt ist mit dem Altersthema.
Schliesslich war Demi Moore, als sie 2005 Ashton Kutcher heiratete, 16 Jahre älter. In ihrer Autobiografie «Inside Out» schreibt sie, die Beziehung sei anfangs für einen PR-Stunt gehalten worden, weil kaum jemand glaubte, die beiden könnten ein echtes Liebespaar sein – angesichts der viel älteren Frau. Während sich das bei der neuen Frau ihres Ex-Partners Bruce Willis niemand gefragt hätte, trotz des noch grösseren Unterschieds von 23 Jahren. Heute bilden Moore, der an Demenz erkrankte Bruce Willis und dessen Frau Emma Heming Willis eine Art Patchwork-Familie, zwecks Unterstützung für den kranken Ex-Schauspieler.
Ashton Kutcher und Demi Moore waren von 2005 bis 2013 verheiratet, hier an einer Gala in New York im Jahr 2010.
Foto: AFP
All diese Bilder legen sich über «The Substance» wie eine weitere Bedeutungsebene. Moore schildert in ihrer Autobiografie auch, wie sie sich, um sich von ihrer unzuverlässigen Mutter zu emanzipieren, früh selbst organisieren musste und dafür auf ihre «raue Stimme» setzte, die sie älter wirken liess.
Als Schauspielerin hatte Moore in den 1990ern ihre grössten Erfolge, für «Striptease» erhielt sie ein Rekordgehalt von 12,5 Millionen Dollar. Heute, mit 61 Jahren, wird sich Demi Moore kaum für so wenig begehrenswert halten wie ihre Figur Elisabeth in «The Substance». Aber einen schauspielerischen Wagemut braucht es schon, um sich für diese Rolle splitternackt vor den Spiegel zu stellen und mit Selbstekel am eigenen Hintern herumzukneten.
«Striptease» machte Demi Moore zum Weltstar und brachte ihr eine Rekordgage ein.
Foto: Mary Evans (Imago)
Demi Moore ist da furchtlos bis in die Selbstzerstörung. Wobei Regisseurin Coralie Fargeat («Revenge») so schlau die digitalen Effekte in die Wirklichkeit einwebt, dass wir nie ganz sicher sein können, was wir sehen: Ist das jetzt Demi Moores visuell unbearbeiteter Körper? Oder ist das die falsche Frage, weil der Film absichtlich verwischt, was Realität, was kosmetische Optimierung und was visuelle Tricks sind?
Die Hyperästhetik von «The Substance» bewegt sich zwischen Hochglanz-Videoclip, Experimentalkino und der Gnadenlosigkeit von 4K-Pornografie. Das ist ein Film, der uns die gegenwärtige Bildproduktion ins Gesicht schlägt, weil er die Reize, die wir kennen, so lange überstrapaziert, bis wir sie erkennen. Die Fitness-Clips der jungen Sue fokussieren so übertrieben lange auf glattrasierte Bikinizonen und Booties, dass der Kult der Hardbodies ins Groteske kippt.
«Ich hatte mit 50 nicht das Gefühl, dass ich nicht mehr begehrenswert bin», sagte Demi Moore in einem Interview. In «The Substance» fällt genau dieser Satz: «Mit 50 endet es.»
Foto: AFP
Im Prinzip sind das die eigentlichen Monsterbilder, während die zusehends entstellte Elisabeth etwas Anrührendes bekommt. Menschlich halt, weil sie gegen die Tyrannei der Sexyness kämpft.
«The Substance» mündet denn auch in einen Racheakt, der einem berühmten anderen Horrorfilm die Reverenz erweist. Bloss stellt er die Szene auf den Kopf und bewaffnet das Opfer.
Bewaffnet die Frau, die keine andere Lösung sah, als sich durch eine riskante Kur zu verjüngen. Und die jetzt, vor dem Tribunal der Schönheitsdiktatur, endlich in der Lage ist, aus der Haut zu fahren.
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«The Substance», im Kino.
Pascal Blum hat Soziologie und Geschichte studiert und ist seit 2014 Kulturredaktor. Er berichtet vor allem über Film und Serien und hat ein Buchkapitel über Heidi im Film geschrieben. Mehr Infos
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